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"Alles ist miteinander vermischt"

Eine Seitenstraße im Zentrum von Kairo am Abend. Die Hauptstraße nebenan ist mit Stacheldraht und von Polizisten gesichert, sie führt zum Tahrir-Platz. In der ruhigen Seitenstraße geht es einige Treppen hinunter in den Musikklub .

Von Berit Hempel | 10.02.2012
    Im Souterrain ein großer Raum, bestückt mit einem alten Filmprojektor, nostalgischem Röhrenradio und einem grauen Ventilator an der Decke. Das Licht ist gedämpft. Im Stockwerk darüber liegt das Büro von Ahmed el Maghraby, ausgestattet mit einem Computer auf dem Schreibtisch und neuem Programm für die Musikproduktion.

    Ahmed el Maghraby ist der Leiter des unabhängigen Ägyptischen Zentrums für Kunst und Kultur. Davor war er Professor für italienische Literatur, Kulturattaché an der ägyptischen Botschaft in Paris, Übersetzer und Redakteur. Er liebe nun mal Veränderungen, sagt er. Jetzt also der Musikklub, mit dem er traditionelle Musik schützen will.

    "Wir suchen überall in Ägypten die Alten, alte Menschen, die noch die Tradition ihrer Musik kennen. Wenn wir zulassen, dass unsere Kultur verschwindet, dann wird es früher oder später keine Orte mehr geben, an die man zurückkehren kann, keine Heimat mehr. Die kulturelle Vielfalt ist sehr wichtig. Das ist eines unserer Ziele: die Vielfalt zu erhalten."

    Darum verbindet er den Klang alter Instrumente aus der Pharaonenzeit wie bestimmte Flöten, Saiteninstrumente oder Trommeln, mit dem Sound moderner, westlicher: mit der Gitarre und dem Saxofon. Für Ahmed el Maghraby bedeutet diese Arbeit die Erfüllung eines Traums:

    "Der Traum ist, eine neue Musik zu schaffen, neue traditionelle Formen, die sich mit traditioneller Musik aus anderen Regionen mischen. Denn nichts ist zu 100 Prozent traditionell, alles ist miteinander vermischt. Wir arbeiten mit verschiedenen Gruppen aus aller Welt zusammen, um Musik auszutauschen."

    Eine Musik, die manchen politischen Gruppen ein Dorn im Auge sein könnte, wie den Salafisten zum Beispiel. Diese islamistische Gruppe hat unerwartet viele Stimmen bei der Wahl erhalten und ist nun neben der Muslimbruderschaft die zweitstärkste Kraft im Land ist. Sie lehnt solche Institutionen wie das Kulturzentrum ab, befürchtet Ahmed el Maghraby:

    "Natürlich, denn sie mögen nichts Schönes, nichts, was anders ist. Sie sind gegen Musik, gegen Schönheit, gegen gute Gefühle. Alles muss geregelt sein, verboten. Deshalb mögen sie keine Musik."

    Ahmed el Maghraby steht auf und führt uns eine Etage tiefer. Unter seinem Büro liegt der Raum, der Bühne, Studio und Teestube in einem ist. Gegenüber weichen Sitzkissen und harten Holzstühlen hat sich bereits das jüngste musikalische Projekt des Kulturzentrums für einen Auftritt versammelt: die Gruppe Nass Makan. Sie besteht aus rund zehn Personen in traditionellen Gewändern oder Jeans und Pulli. Eine Frau mit schwarz geschminkten Lippen tritt aus der Gruppe heraus und beginnt zu singen.

    Die Sängerin heißt Mediha. Sie ist die Tochter einer Sudanesin und eines Ägypters. Sie spricht kein Englisch und ich kein Arabisch. Deshalb hilft ein Dolmetscher. Auf die Frage, was ihr Musik bedeutet, antwortet sie, übersetzt vom Dolmetscher:

    "Mit Musik fühle ich mich wohl, mit Musik geht es mir gut. Und ich habe sie von meiner Mutter gelernt."

    Und wenn Musik verboten würde?

    "Das kann nicht sein, das darf nicht sein, denn Musik ist etwas ganz Wichtiges und etwas, was auch psychisch sehr wichtig ist."

    Da ist sich Mediha sicher. Doch auf die Frage, was sie sich von einem Ägypten nach der Revolution erwartet, bleibt die Musikerin, auch auf Nachfragen hin, vage:

    "Das Land muss sich ändern, es muss sich zum besseren ändern und die, die jetzt kommen, müssen bessere Politik machen, als die bisher."

    Oben, in seinem Büro, beschwört Ahmed el Maghraby eine positive Entwicklung seines Landes. Denn er ist überzeugt:

    "Ägypter sind nicht islamistisch. Der Islam und das Christentum sind sehr, sehr, sehr tolerant."

    Alle Beiträge der Themenwoche:
    "Neustart am Nil - Corso in Kairo" - Die Kulturszene nach dem Sturz von Hosni Mubarak