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Alles muss raus!

Das Warenhaus gilt als Auslaufmodell. Die früheren Konsumtempel der Wirtschaftswunderjahre können den speziellen Wünschen vieler Kunden nicht mehr gerecht werden. Shopping Malls und Spezialgeschäfte machen ihnen Konkurrenz.

Von Inge Breuer |
    Wer früher in die Stadt fuhr, fuhr eigentlich ins Warenhaus, steuerte die weit geöffneten Eingangspforten von Kaufhof, Karstadt oder Horten an, überschritt das markante Heißluftgebläse am Eingang und tauchte ein ins Wirtschaftswunderparadies, wo man von "Kurzwaren" über "Damenoberbekleidung" bis hin zur Abteilung "Kleintier" alles, einfach alles, bekommen konnte, wo rätselhafte Durchsagen wie "die 27 bitte die 43" durch die Etagen hallten - und wo der kleine Fritz, der seine Mutti sucht, an Kasse neun abgeholt werden konnte. Daran erinnert sich auch der Konsumforscher Rainer Pittroff vom Einzelhandelsinstitut in Köln:

    "Wenn ich mich erinnere, wie es früher mal war, aus meiner Kindheit heraus: Damals ist man zum Karstadt gegangen und unten hat man das Nähgarn gefunden, in der ersten Etage für den Vater die Wäsche geholt, für die Tante gab es dann eine Handtasche und ganz oben in der Spielwarenabteilung durfte ich dann spielen. Dann gab es drumherum noch ein paar selbstständige Einzelhändler, die dem Warenhaus nicht Paroli bieten konnten."

    Die Einzelhändler von damals - "Hemden Cuxdorf" oder "Sport Bülle" - sind längst schon den sogenannten "Filialisten" gewichen. Doch mittlerweile geht es auch den Kaufhäusern an den Kragen. Ihr Marktanteil im Einzelhandel liegt heute bei etwas über drei Prozent; vier waren es noch vor einigen Jahren und 14 Prozent in den 1970er-Jahren. Professorin Andrea Gröppel-Klein, Direktorin des Instituts für Konsum- und Verhaltensforschung an der Universität Saarbrücken:
    "Die Wettbewerbssituation im deutschen Einzelhandel ist gnadenlos. Die Kaufhäuser wurden im Prinzip von zwei Seiten attackiert. Zum einen mussten sie gegen die vielen Discounter, die in den letzten 20 bis 30 Jahren auf den Markt gekommen sind, konkurrieren; zum anderen aber auch mit Spezialgeschäften, die ein viel tieferes Sortiment für den Konsumenten bereithalten. Zudem sind auch noch neue Betriebsformen des Handels entwickelt worden, beispielsweise das Teleshopping, das E-Commercing. Und zudem ist es so, dass die Kaufhäuser mit einer anderen Klientel umgehen müssen. Das heißt, die Kunden haben sich verändert."
    Seit 150 Jahren prägen die Konsumtempel das Bild unserer Innenstädte. Emile Zola setzte in seinem Roman "Das Paradies der Damen" von 1883 dem modernen, damals noch neuen Phänomen des Warenhauses ein literarisches Denkmal. Er schildert, wie der geschäftstüchtige Pariser Kaufhausdirektor Octave Mouret mit seinem neuartigen und prächtigen Geschäft die kleinen Einzelhändler in den Ruin treibt und wie er die Damenwelt mit der Überfülle seines Warenangebots und seinen kunstvoll dekorierten Auslagen betört.

    "Vor allem aber fesselte sie - also sie, das ist Denise, die Heldin - das letzte Schaufenster. Eine Ausstellung von Samt, Seide und Atlas entfaltete hier in einer sanften und flimmernden Skala die köstlichen Blumenfarben: tiefes Schwarz, die rosenfarbene Atlasfarben, die blauen schillernden Seiden, ein wahrer Regenbogen","

    … zitiert Andrea Gröppel-Klein aus Emile Zolas Roman. Heute noch empfiehlt sie ihren Studenten diese Lektüre, wenn sie betriebswirtschaftliche Kenntnisse auf unterhaltsame Art erwerben möchten.

    ""Wenn man anschaut, mit welcher Detailliebe die frühen Kaufhausgründer auf die Ladengestaltung und Warenpräsentation Wert gelegt haben, dann ist man schon ein wenig enttäuscht, dass diese detailverliebte Warengestaltung heute so nicht mehr durchgeführt wird."

    Vorbild für Emile Zolas Roman war übrigens das heute noch existierende Kaufhaus Le Bon Marché, das damals gerade gegründet worden war. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verbreiteten sich, von Paris ausgehend, die großen Warenhäuser. Prächtige Paläste entstanden mit riesigen, fein dekorierten Schaufenstern, großzügigen Verkaufsflächen, imposanten Lichthöfen: Harrods in London, Macy's in New York oder das KaDeWe in Berlin geben heute noch Zeugnis davon. Sie alle waren gekennzeichnet durch eine bis dahin ungekannte Warenfülle, durch feste Preise, großzügiges Umtauschrecht und intensive Reklame. Und jeder konnte hindurchflanieren, ob er Geld hatte oder nicht. Dr. Kai-Uwe Hellmann, Leiter des Instituts für Konsum- und Markenforschung in Berlin und Herausgeber eines Buchs "Räume des Konsums":

    "Das Schlendern, das Flanieren in solchen Läden war ein Novum. Das gab es vorher nicht. Vorher betrat man den Laden, allen war klar, dass man eine eindeutige Kaufabsicht hatte und der musste man auch nachkommen. Diese Verpflichtung, die wurde aufgehoben mit den Kaufhäusern. Und das Ganze wurde sozusagen flankiert in Bezug auf die Räume, die Ausstattung und diese waren zurecht von vornherein auf einen Erlebnisaspekt ausgerichtet."

    Mit den Kaufhäusern wurden die Innenstädte zu attraktiven Einkaufsorten. Und dies erst recht, als mit dem Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit die Mehrheit der Bevölkerung erstmals mehr verdiente, als für die Befriedigung der Grundbedürfnisse nötig war. Die Kaufhäuser wurden zu Orten des Massenkonsums. Aber - Sachlichkeit war nun angesagt - der Prunk der frühen "Kathedralen des neuzeitlichen Handels" schwand dahin.

    Der Architekt Egon Eiermann entwarf schnörkellose Bauten für den Horten-Konzern und viele Architekten folgten ihm nach. Es entstanden gesichtslose Kästen, fensterlose Gebäude mit einem Höchstmaß an Stellfläche; oft verkleidet mit eckigen Fassadensteinen, die heute noch als "Horten-Kachel" bekannt ist. Das Kaufhaus wurde zum Zentralversorger des Durchschnittsdeutschen mit einem Durchschnittsangebot zu Durchschnittspreisen. Es bot Mittelmaß für die Mittelstandsgesellschaft. Es bot, wie es im Kaufhof-Werbespot hieß "tausendfach - alles unter einem Dach".

    "Kaufhäuser haben in dem Maße kein Kerngeschäft, sondern sie leben vor allem davon, dass ihr Gesamtsortiment eine hinreichende Nachfrage erzielt. Kaufhäuser leben von der Breite. Und wenn dann die Interessenlage der Käufer sich auf einzelne Segmente im Kaufhaus richten, dann funktioniert das Gesamtkonzept nicht mehr so gut, dann bedarf es einer fortlaufenden Quersubventionierung für die schlecht laufenden Bereiche. Und das scheint sich inzwischen als zunehmend problematisch zu erweisen, weil die Kaufhäuser ihr ursprüngliches Monopol verloren haben."

    "Früher", schreibt der Medienwissenschaftler Norbert Bolz in seinem "Konsumistischen Manifest", "ging es um klar artikulierbare Bedürfnisse, und der Kunde forderte: Befriedige mich". Als aber alle Bedürfnisse auf Dauer befriedigt waren, "forderte der Kunde: Verführe mich". Mit dem gesellschaftlichen Wohlstand wuchsen die Ansprüche an die Konsumgüter. Sie sollten die Menschen verzaubern. Dazu muss der Kunde aber emotional angesprochen werden, wie Konsumsoziologe Kai-Uwe Hellmann ausführt:

    "Die Art, wie wir heute konsumieren, ist eher darauf ausrichtet, dass wir über die Befriedigung sehr basaler Bedürfnisse hinaus unsere Hauptaufmerksamkeit darauf legen, Erlebnisse zu erfahren, bestimmte Erfahrungen mit uns zu machen, körperlicher Art, psychischer Art. Und diese hohe Aufmerksamkeit für die eigene Person und den Körper, das ist etwas, was sich bisher nicht abgezeichnet hatte."

    Die Warenhäuser mit ihrem Großsortiment können den hochindividualisierten "Erlebniswünschen" ihrer Kundschaft zunehmend weniger nachkommen. Ein großes Haus, das "alles" unter einem Dach liefert, verfügt über wenig Profil, gerade weil es "für alle" etwas bieten will. "Ich freu mich drauf", "Schöner Shoppen in der Stadt" oder "Zum Glück gibt's Hertie" sind Sprüche für alle und keinen, anders als "Geiz ist geil" oder "the world is our culture".

    Die Warenhäuser können das Kundenbedürfnis nach persönlicher Ansprache zunehmend weniger erfüllen. Sie werden so gesichtslos wie viele ihrer Hausmarken, mit denen sie sich ausgerüstet haben, meint Andrea Gröppel-Klein.

    "Das Problem ist vielleicht gewesen, dass man in diesen Kaufhäusern sehr auf Eigenmarken gesetzt hat, ohne dass man für die Eigenmarken auch die modische Kompetenz erworben hat, wie es Hennes und Mauritz, Zara et cetera geschafft haben. Ich glaube, dass das ein Problem ist, das gerade in den mittleren Kaufhäusern viele dieser Handelsmarken zu finden sind, die aber für den Konsumenten nicht attraktiv sind."

    Nach wie vor gehören Textilien zum Kerngeschäft der Warenhäuser. Doch gerade hier geht der Trend heute weg von der Mitte, während sowohl hochpreisige wie auch Discounttextilien weiterhin gute Umsätze erzielen.

    "Ich würde vermuten, dass auf Luxus kein Verzicht geleistet wird durch jene Schichten, die sich das leisten können. Wir beobachten aber ein Ausdünnen der Mitte. Das ist bei Marken gut beobachtbar. Das betrifft aber auch den Bereich des Einzelhandels. Hier sortieren die Leute schärfer als früher, wofür sie ihr Geld ausgeben, und das vor allem auf Kosten jener Häuser, die nicht ganz oben und nicht ganz unten im Discount sich befinden."

    Zudem kennt das traditionelle Warenhaus nur vier Modesaisons pro Jahr, während junge Modehäuser wie H&M oder Zara nahezu monatlich ihr Sortiment auswechseln können.

    "Es gibt Geschäfte, die nicht nur vier Mal im Jahr eine neue Kollektion auf den Markt bringen, sondern die zwölf bis 14 Mal neue Sortimentsteile für die Konsumenten bereithalten. Und gerade junge Konsumenten, die einen großen Wunsch haben nach Variety Seeker, finden in solchen Geschäften eher das Angebot, das ihnen zusagt."

    "Wenn man von den Warenhäusern spricht, dann ist das Element Kleidung vor allem angesprochen. Natürlich gibt es dann noch den Bereich Haushaltswaren, aber wenn man sich neues Porzellan, Gläser kauft, dann gibt es ja auch schon attraktive Filialisten wie Butlers oder das Depot, wo die Leute reingehen und da schauen. Und wenn sie da nichts finden, vielleicht noch mal zu Strauss Innovation - und dann geht man vielleicht noch mal zum Kaufhof."

    Den sich wandelnden, sich ausdifferenzierenden Konsumgewohnheiten versuchten die Warenhäuser mit einem sogenannten "Shop-in-Shop-Konzept" zu begegnen, bei dem den Markenherstellern eigene Flächen zur Verfügung gestellt werden. Doch richtig erfolgreich war das auch nicht. Denn der schicke Flagshipstore von Esprit um die Ecke bietet ja das viel tiefere Warensortiment.

    "Das war ein Entwicklung, die versucht hat am Ball zu bleiben mit Blick auf die Shoppingcenter. Das hat nur zum Teil funktioniert."

    Bereits seit den 60er-Jahren machen die Shopping Malls den Kaufhäusern Konkurrenz; große Einkaufszentren, in denen sich viele Einzelhändler angesiedelt haben. Zunächst lockten Baumärkte, Einrichtungshäuser und Discounter auf der grünen Wiese ihre Kundschaft mit schier unbegrenzten Parkmöglichkeiten an. Doch so richtig verschärfte sich die Situation, als Arkaden aus Stahl und Glas im Herzen der Städte entstanden und idyllische Einkaufsstraßen imitierten, wie Rainer Pittroff, Herausgeber einer Studie zu der Entwicklung der Shopping Malls, erläutert.

    "Dann mehrgeschossige städtische Standorte, 70 bis 80, die wurde abgewechselt für innerstädtische Passagen; dann das Thema Revitalisierung bestehender Zentren, was einen Entwicklungsschub bedeutete."

    Von 1990 bis Anfang 2008 erhöhte sich die Zahl solcher Shoppingcenter von 88 auf 399. Bis zum Ende des Jahres wird die Zahl auf 414 steigen, 51 weitere sind für die nächsten drei Jahre geplant. Sie bieten schließlich ebenfalls "alles unter einem Dach". Und dort lässt sich "schöner shoppen in der Stadt", offensichtlich besser inszenieren, als auf fünf Etagen mit Wühltischcharme. Auch wenn die Warenhäuser selbst versuchten, in Anlehnung an die Malls mit Optikern, Apotheken, Reisebüros und Friseuren einen neuen Typus Kaufhaus zu entwickeln.

    "Bei Shopping Malls kommt ja noch hinzu, dass die soziale Komponente eine entscheidender Antrieb war. Man hält sich in Shopping Malls auch auf, ohne dass man primär ans Kaufen denkt. Das sind auch soziale Orte geworden. Das hat das Kaufhaus nie realisieren können, diese weitere Funktion, als ein öffentlicher Treffpunkt zu agieren. Und das hat ebenfalls dazu geführt, dass Warenhäuser an Attraktivität verloren haben."

    Ist das Warenhaus alten Stils also ein Auslaufmodell? "Neupositionierung durch Orientierung an veränderte Konsumpräferenzen" soll für die Zukunft helfen. Doch wird dies, wenn überhaupt, eher den großen als den mittleren Häusern gelingen. Der Erosionsprozess des Kaufhauses in Richtung Fachgeschäft, Shoppingcenter und Discounter, so die Prognose vieler Konsumforscher, wird sich weiter fortsetzen. Denn der Konsument hat sich neue Einkaufstempel gesucht. Und der Kunde ist ja schließlich König.

    "Es sind ja einige Häuser von Karstadt vorhanden, die auch vom Erscheinungsbild attraktiv erscheinen. Das sind ja Filetstücke, die auch Kaufhof ganz gern erwerben würde, sodass man vorsichtig sein muss, Karstadt geht jetzt vollständig den Bach runter. Es gibt sehr viel Standorte, die die ganze weitere Entwicklung nicht überstehen, aber durchaus auch noch einige, die weiterhin existieren werden. Und wir finden ja häufig noch die Situation, dass Warenhäuser noch diesen innerstädtischen Centern angeschlossen sind. Und so wird es wahrscheinlich in der nächsten Zeit noch weitergehen."