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Alles, was ist, endet

Nichts bleibt, wie es ist. Gerade auch hinsichtlich der Wahrnehmungen, die sich permanent verändern. Ein Kunstwerk wie ein Bayreuther "Ring des Nibelungen" in einer – wenigstens zunächst – erheblich anfechtbaren Interpretation verändert sich nicht nur von Jahr zu Jahr, weil durch die Wiederaufnahmeproben der Arbeitsprozess selbstverständlich fortschreitet und sich allein schon durch Umbesetzungen in wichtigen Partien neue Aspekte und Höreindrücke ergeben. Auch entwickelt sich das Verhältnis zur Sache selber weiter: Wagners Tetralogie wurde ja beispielsweise in der Zwischenzeit in Köln von Robert Carsen entschieden auf die virulenten Fragen von Krieg und Frieden zugespitzt (und damit vereindeutlicht), in Stuttgart aber von vier verschiedenen Regisseuren gestückt – und dabei von Joachim Schlömer, Christof Nel, Jossi Wieler und Peter Konwitschny aus einem in gewisser Hinsicht gleichgerichteten Geist eben doch als etwas fragiles Ganzes vorgeführt.

Von Frieder Reininghaus |
    Und dann, obwohl sie wegen des Verdachts, ästhetisch doch nur von marginaler Bedeutung zu sein, aus dem Blickfeld geraten war, noch einmal eine Gesamtansicht jener Produktion dieses Hauptwerks des 19. Jahrhunderts, die – weil im Jahr 2000 aus der Tauge gehoben – durch die Einrede der Quatsch-Medien als "Jahrtausend-Ring", wenigstens "Jahrhundert-Ring" genommen werden sollte. Sie ist weder das letztere geworden noch gar das erstere. Aber die Arbeit hat sich "eingependelt", ist sicherer und routinierter geworden. Über die Qualität der Nachbesserungen insbesondere im III. Aufzug der Götterdämmerung lässt sich diskutieren. Der Schluss wirkte im Jahr 2000 zumindest unfertig und auf unsinnige Weise utopistisch: da stand nach dem in schönem Design vollzogenen Weltuntergang ein reiner holder Knabe vor einer Gralsburg – eine wie auch immer geartete Erlösung annoncierte sich. Stattdessen schreiten jetzt die ganzen Choristen ins gleißende Licht, das vielleicht das einer jenseitigen oder künftigen diesseitig- besseren Welt ist: Brüder, zu Sonnen, zu Freiheiten ... .

    So und nicht anders ist und denkt und arbeitet er eben, der bekennende Sozialdemokrat Jürgen Flimm, der an eine mähliche Besserung der menschlichen Verhältnisse glauben und glauben machen möchte und die Schrecken einer Endzeit und der Menschheitserlösung durch Vernichtung nicht an sich und seine Bühne heranlässt. Da nun aber auf denkwürdige Weise der Komponist Richard Wagner eben nach dem großen Bühnendesaster, das den Hoffnungsträgerin Siegfried und Brünnhilde widerfährt, eine wenigstens tröstliche Des-Dur-Melodie à la Bellinis und damit erhebliche Beschönigung eintreten lässt, liegen Wonder und Flimm ja an diesem Final-Punkt nicht ganz daneben.
    Anfechtbar bleib nun am Ende zu allermeist die große Verkleinbürgerlichung, die Jürgen Flimm mit heiter-realistischer Rekonkretisierungen dem "Rheingold" und der "Walküre" angedeihen ließ. Doch indem der Regisseur und sein Team den Regierungssitz der niederrheinischen Gibichungen in der Architektur eines neuen Terminals des Flughafens Köln/Bonn anboten, trafen sie den Geschmack der grünsozialdemokratischen Landes- und Bundesregierungen ziemlich genau. Und nicht zufällig erinnert Yvonne Wiedstruck als Heldengattin Gutrune an die gegenwärtig noch aktuelle Politiker-Gattin Doris Schröder-Köpf. Akzeptiert man, dass "Die Götterdämmerung" insgesamt dergestalt geschröder-köpft wird, dann erscheint insbesondere der zweite Aufzug überzeugend – die schauspielerisch so genau gezeigte Intrige, die gegen und mit Brünnhilde vom Niederrheinischen Hof angezettelt wird. Und Evelyn Herlitzius, die sich einige Kraft-Reserven für den zweiten Teil des dritten Aufzugs aufsparte, erscheint als moderne Medien-Frau, die Klage darüber führt, wie übel ihr mitgespielt wurde: das erscheint stimmig.
    Jürgen Flimm hat angesichts der gewissen Irritationen, die Christoph Schlingenstiefs "Parsifal"-Bebilderung auslöste, in der Publikumsgunst aufgeholt. Nie mutet er seinem Publikum zu viel zu – und schon gar nicht zu schreckliche Einsichten in Wirklichkeiten. Das mag erklären, warum dies karnevalistisch grundgestimmte Naturell von Salzburg bis zur RuhrTriennale derzeit so gefragt und gut verkäuflich ist. Seine Heiterkeit wirkt in der Krise wie ein Husten-Mittel.