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Alles wie gedruckt

Mit der Erfindung des Buchdrucks bekam die schreibende Hand einst ernsthafte Konkurrenz. Jetzt will Hamburg als erstes Bundesland die Schreibschrift ganz abschaffen. In der Hansestadt müssen Lehrer ihren Grundschülern nach den Sommerferien keine Schreibschrift mehr beibringen.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 05.07.2011
    Da die Schule vielen Lehrern zu schwer ist, gibt es Bestrebungen, den Unterrichtsstoff ein wenig zu erleichtern. Zum Beispiel wäre es denkbar, grundsätzlich nur mit den Zahlen Null bis Fünf zu rechnen, aber in der Praxis stellt sich heraus, dass das nicht klappt. Manche Rechenoperationen produzieren dann Lösungen im Bereich des Unbekannten – es sei denn, man ersetzte das Dezimalsystem durch ein ganz anderes, auf fünf basierendes, was die Sache allerdings nicht unbedingt vereinfachen, sondern durchaus komplizierter machen würde.

    Eher lässt sich beim Schreiben an Lernaufwand sparen, indem man nicht einzelne Buchstaben weglässt, sondern eine ganze Schriftart, und zwar die Schreibschrift. Es fragt sich ja, wozu die überhaupt noch gut ist, wenn alles Wesentliche sowieso in Druckschrift vorliegt? Selbst persönliche Briefe, die letzte Domäne des Handschriftlichen, werden längst durch E-Mails ersetzt, und auch bei allen anderen Gelegenheiten bedient man sich zum Schreiben maschineller Hilfe. Man tippt auf Computer- und Handytastaturen oder diktiert in ein elektronisches Verschriftlichungsprogramm.

    Wenn aber die Schreibschrift nicht mehr gebraucht und nicht mehr gelehrt wird, wenn sie in der Schule durch Druckschrift ersetzt wird, dann verliert eines der nach wie vor juristisch wichtigsten Beglaubigungsmerkmale für persönliche Willensäußerungen dramatisch an Wert, nämlich die Unterschrift. Sie ist ja eine charakteristische Fortentwicklung aus der jeweiligen Handschrift. Das wird lustig werden, wenn alle nur noch in Blockbuchstaben unterschreiben.

    Die Handschrift als solche hat dann keine Aussagekraft mehr; verschwinden werden die Graphologen, die sie deuten oder zu deuten vorgeben. Gangster, die befürchten, an ihrer Klaue erkannt zu werden, brauchen sich in ihren Botschaften nicht mehr hinter ausgeschnittenen Druckbuchstaben zu verstecken. Apotheker werden es mit dem Entziffern von Rezepten leichter haben, und generell wird ein Spielfeld der Individualität für die Öffentlichkeit geschlossen.

    Die Schreibschrift vermittelt aber auch ein besonderes Verhältnis zum Text an sich, das fällt dann ebenfalls weg: es ist das Vorwärtsdrängende, das Schwungvolle, das Gebundene – im Gegensatz zum abgehackten Ansammeln einzelner Lettern. Auch um nationaltypische Besonderheiten, die es weniger bei den Druckbuchstaben, sondern vor allem bei den Schreibschriften gibt, wäre es schade. Immerhin kann man mit etwas Übung genau sehen, ob eine Hand in Frankreich, England oder Deutschland schreiben lernte. Doch das Lob der Schreibschrift bleibt einem im Halse stecken, wenn man einmal die angelsächsische Welt betrachtet: dort hat sich die Druckschrift wahrhaftig weitgehend durchgesetzt. Und das Abendland ist trotzdem nicht untergegangen.