Vor dem Eingang der alten Munitionsfabrik, in der das Karlsruher ZKM untergebracht ist, stehen zwei Container als Sinnbilder einer gesichtslosen Architektur wie des totalen Konsums. In dem einen Kubus ist eine Dia-Arbeit von Dan Graham untergebracht, die Aufnahmen von einer kanadischen Shopping-Mall zeigt. "Death by Chocolate/Tod durch Schokolade" macht unmissverständlich klar: Konsum und die dazugehörige Architektur fördert tote Strukturen zutage. Mehrere Werke der Ausstellung "Zwischen zwei Toden" beschäftigten sich mit der schönen neuen Welt, die uns nicht mehr befriedigt. Kurator Felix Ensslin über den Titel und die Zielrichtung der Ausstellung:
"Die Metapher selbst haben wir entnommen aus der Psychoanalyse Jacques Lacans, der diese Metapher einführt in der Diskussion von Antigone. In den letzten Jahren ist sie von Autoren wie Slavoj Žižek angewandt worden, um zu beschreiben den Zustand zeitgenössischer Subjektivität. Was damit gemeint ist, ist, dass in einer Situation, in der jeder Einzelne ständig aufgerufen ist, sich flexibel neu zu erfinden , kein Zustand einer Verortung, eines Zuhauses, einer Stabilität erreicht werden kann."
Die allgemeine Verunsicherung schlägt sich beispielsweise in der Hinwendung zur Religion nieder. Die Amerikanerin Marlene McCarthy beschäftigt sich mit dem Milieu christlich-baptistischer Kirchen. In ihren wandfüllenden Kugelschreiber-Zeichnungen lässt sie die gegenseitige Überlagerung von gesellschaftlicher Konditionierung und Gewalt aufscheinen. Auf den ersten Blick sind betende Jugendliche zu sehen und die sie sanft dazu drängenden Eltern. Das Idyll wird ins Gegenteil verkehrt, wenn der Betrachter die ebenfalls dargestellten sekundären Geschlechtsmerkmale wahrnimmt und erfährt, dass sich die Künstlerin seit einiger Zeit mit weiblichen Jugendlichen auseinandergesetzt hat, die ihre Eltern getötet haben. Das Thema Sexualität taucht auf als unterdrücktes weibliches Begehren, aber auch als allgemein gefasster Begriff. Felix Ensslin:
"Dass die Sexualität eine so große Rolle im erweiterten Sinne spielt, liegt natürlich an dem psychoanalytischen Zugang der Theorie. Da ist Sexualität jetzt nicht verstanden, was zur Reproduktion oder Lustgewinnung da ist, sondern ein Begriff dafür, dass jenseits der religiösen Formen, der sozialen Formen und der gesetzlichen Formen immer ein Exzess da ist, ein Exzess, den zu verleugnen unsere Gesellschaft sehr viele Mittel findet, die Warenwelt, Therapiekultur."
Der Niederländer Erik van Lieshout etwa stellt in seinem Video "UP!" seine Neurosen schonungslos zur Schau. Der Betrachter wird Zeuge seiner Sitzung mit einem Sexualtherapeuten, er begleitet ihn zur Fußreflexzonen-Massage und belauscht ihn im Gespräch mit seiner Mutter. Die slapstickartige Dramaturgie nimmt der Sache seinen Ernst, so dass man unwillkürlich lachen muss. Aber auch abstrakte Themen wie Angst finden in der Ausstellung Niederschlag. Barnaby Furnas hat vor Ort ein riesiges Gemälde geschaffen, dessen blutrote Fluten den Betrachter zu umspülen scheinen. In der Mitte beginnt sich das Farbmeer zu teilen, so das wir wie Moses kurz vor dem Unmöglichen, der Bezwingung der Naturgewalten, stehen. Dieses Unmögliche wahrzunehmen, um aus der Depression auszuscheren, ist die, wenn auch nur vorsichtig formulierte, Botschaft der Ausstellung. Kuratorin Ellen Blumenstein:
"Wir kommen her von der Beobachtung von gesellschaftlichen und in der Öffentlichkeit debattierten Phänomen, die haben schon eine Geschichte im Kunstkontext. In den letzten zwei Jahren hat es eine ganze Reihe von Ausstellungen gegeben. Ganz klassisch beispielhaft ist die Melancholie-Ausstellung, die es schon im Titel trägt, oder die Wiederkehr der Romantik, die in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt stattgefunden hat. Und dann auch ganz wichtig die 4. Berlin-Biennale im letzten Jahr, die sich auf diesen Diskurs beziehen und das Widerspiegeln dessen in der Kunst thematisiert haben. Was wir in der Ausstellung machen, ist eigentlich, den Versuch zu unternehmen, über die Beschreibung des Phänomens hinauszugehen und den Umgang damit zu untersuchen."
Ohne den theoretischen Überbau wirken allerdings manche Arbeiten naiv und künstlerisch spannungslos, etwa Jutta Koethers malerische Auseinandersetzung mit einem Botticelli-Gemälde, auf dem Venus der Rücken aufgeschlitzt wird, oder Sue de Baers Video-Installation "Black Sun", die zwar den Verweis auf die Theorie Julia Kristevas im Titel trägt, aber künstlerisch nur auf einer blutleeren symbolischen Ebene funktioniert. Obwohl die Kuratoren beteuern, wie wichtig ihnen die gegenseitige Befruchtung von Theorie und Kunst war, hat die Theorie deutlich Oberhand gewonnen und dazu geführt, dass künstlerische Defizite zugunsten der Diskurszugehörigkeit hingenommen worden sind.
Service:
Die Ausstellung ist bis zum 19.8.2007 im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) Karlsruhe zu sehen. Der englischsprachige Katalog ist bei Cantz zum Preis von 29,80 Euro erschienen. Deutsche Texte und weitere Informationen über www.zkm.de.
"Die Metapher selbst haben wir entnommen aus der Psychoanalyse Jacques Lacans, der diese Metapher einführt in der Diskussion von Antigone. In den letzten Jahren ist sie von Autoren wie Slavoj Žižek angewandt worden, um zu beschreiben den Zustand zeitgenössischer Subjektivität. Was damit gemeint ist, ist, dass in einer Situation, in der jeder Einzelne ständig aufgerufen ist, sich flexibel neu zu erfinden , kein Zustand einer Verortung, eines Zuhauses, einer Stabilität erreicht werden kann."
Die allgemeine Verunsicherung schlägt sich beispielsweise in der Hinwendung zur Religion nieder. Die Amerikanerin Marlene McCarthy beschäftigt sich mit dem Milieu christlich-baptistischer Kirchen. In ihren wandfüllenden Kugelschreiber-Zeichnungen lässt sie die gegenseitige Überlagerung von gesellschaftlicher Konditionierung und Gewalt aufscheinen. Auf den ersten Blick sind betende Jugendliche zu sehen und die sie sanft dazu drängenden Eltern. Das Idyll wird ins Gegenteil verkehrt, wenn der Betrachter die ebenfalls dargestellten sekundären Geschlechtsmerkmale wahrnimmt und erfährt, dass sich die Künstlerin seit einiger Zeit mit weiblichen Jugendlichen auseinandergesetzt hat, die ihre Eltern getötet haben. Das Thema Sexualität taucht auf als unterdrücktes weibliches Begehren, aber auch als allgemein gefasster Begriff. Felix Ensslin:
"Dass die Sexualität eine so große Rolle im erweiterten Sinne spielt, liegt natürlich an dem psychoanalytischen Zugang der Theorie. Da ist Sexualität jetzt nicht verstanden, was zur Reproduktion oder Lustgewinnung da ist, sondern ein Begriff dafür, dass jenseits der religiösen Formen, der sozialen Formen und der gesetzlichen Formen immer ein Exzess da ist, ein Exzess, den zu verleugnen unsere Gesellschaft sehr viele Mittel findet, die Warenwelt, Therapiekultur."
Der Niederländer Erik van Lieshout etwa stellt in seinem Video "UP!" seine Neurosen schonungslos zur Schau. Der Betrachter wird Zeuge seiner Sitzung mit einem Sexualtherapeuten, er begleitet ihn zur Fußreflexzonen-Massage und belauscht ihn im Gespräch mit seiner Mutter. Die slapstickartige Dramaturgie nimmt der Sache seinen Ernst, so dass man unwillkürlich lachen muss. Aber auch abstrakte Themen wie Angst finden in der Ausstellung Niederschlag. Barnaby Furnas hat vor Ort ein riesiges Gemälde geschaffen, dessen blutrote Fluten den Betrachter zu umspülen scheinen. In der Mitte beginnt sich das Farbmeer zu teilen, so das wir wie Moses kurz vor dem Unmöglichen, der Bezwingung der Naturgewalten, stehen. Dieses Unmögliche wahrzunehmen, um aus der Depression auszuscheren, ist die, wenn auch nur vorsichtig formulierte, Botschaft der Ausstellung. Kuratorin Ellen Blumenstein:
"Wir kommen her von der Beobachtung von gesellschaftlichen und in der Öffentlichkeit debattierten Phänomen, die haben schon eine Geschichte im Kunstkontext. In den letzten zwei Jahren hat es eine ganze Reihe von Ausstellungen gegeben. Ganz klassisch beispielhaft ist die Melancholie-Ausstellung, die es schon im Titel trägt, oder die Wiederkehr der Romantik, die in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt stattgefunden hat. Und dann auch ganz wichtig die 4. Berlin-Biennale im letzten Jahr, die sich auf diesen Diskurs beziehen und das Widerspiegeln dessen in der Kunst thematisiert haben. Was wir in der Ausstellung machen, ist eigentlich, den Versuch zu unternehmen, über die Beschreibung des Phänomens hinauszugehen und den Umgang damit zu untersuchen."
Ohne den theoretischen Überbau wirken allerdings manche Arbeiten naiv und künstlerisch spannungslos, etwa Jutta Koethers malerische Auseinandersetzung mit einem Botticelli-Gemälde, auf dem Venus der Rücken aufgeschlitzt wird, oder Sue de Baers Video-Installation "Black Sun", die zwar den Verweis auf die Theorie Julia Kristevas im Titel trägt, aber künstlerisch nur auf einer blutleeren symbolischen Ebene funktioniert. Obwohl die Kuratoren beteuern, wie wichtig ihnen die gegenseitige Befruchtung von Theorie und Kunst war, hat die Theorie deutlich Oberhand gewonnen und dazu geführt, dass künstlerische Defizite zugunsten der Diskurszugehörigkeit hingenommen worden sind.
Service:
Die Ausstellung ist bis zum 19.8.2007 im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) Karlsruhe zu sehen. Der englischsprachige Katalog ist bei Cantz zum Preis von 29,80 Euro erschienen. Deutsche Texte und weitere Informationen über www.zkm.de.