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Alligatorblut – ein ganz besonderer Saft

Medizin. - Die US-amerikanische Chemische Gesellschaft trifft sich derzeit in New Orleans, deren Umgebung reich an wenig charmanten Tieren ist: Alligatoren. Nützlich könnte jedoch deren Blut sein, wie die Forscher jetzt herausfanden. Denn seine Wirkstoffe stimulieren das Immunsystem.

Von Arndt Reuning | 07.04.2008
    Mark Merchant von der McNeese State University in Lake Charles hat es nicht mehr rechtzeitig geschafft zur Eröffnung des Chemikertreffens in New Orleans. Er war noch auf Wege zurück aus Südamerika. Vorher hatte er einige Zeit in Australien verbracht. Ein ganz besondrer Saft ist es, der ihn um die ganze Welt reisen lässt: Blut von Alligatoren und anderen Krokodilen. Und wenn er ganz dringend mal eine Probe benötigt, dann hat er die Reptilien gleich vor der Haustür, sagt sein Forscherkollege Kermit Murray von der Louisiana State University in Baton Rouge.

    "Er muss die Alligatoren zunächst einmal einfangen. Er hält sie auf einer Alligatorenfarm an der McNeese State. Oder er fährt mit dem Boot raus in die Bayous, mitten in der Nacht, und spürt die Alligatoren auf. Es braucht immer ein paar Leute, die dafür sorgen, dass die Tiere nicht um sich beißen. Dann nimmt Mark eine 60 Milliliter Spritze mit einer 18er Nadel, setzt sie an der richtigen Stelle am Hals des Alligators an und kann das Blut entnehmen."

    Das Serum durchsucht Kermit Murray anschließend systematisch nach Substanzen, die nützlich sein könnten, um daraus neue Arzneimittel herzustellen. Mittel gegen bestimmte Krankheitserreger für Menschen mit einem schwachen Immunsystem. Aids-Patienten zum Beispiel oder Empfänger von transplantierten Organen. Dass die Chemiker ausgerechnet im Blut von Alligatoren nach solchen Substanzen suchen, hat einen Grund: Die Immunabwehr der Krokodile ist ausgesprochen robust. Im Gegensatz zum Menschen können Alligatoren zu Beispiel auch solche Krankheitserreger schnell und sicher bekämpfen, die das Immunsystem bisher noch nicht gekannt hat. Eine Anpassung der Tiere an ihre Lebensweise.

    "Das ist etwas, was man schon vorher beobachtet hat: Alligatoren verhalten sich Artgenossen gegenüber recht aggressiv. Sie fügen sich gegenseitig kleine Verletzungen zu. Die heilen normalerweise aber, ohne dass es zu einer Infektion kommt. Man kann also Komponenten aus dem Blut isolieren und dann ihre Abwehrkraft bestimmen gegenüber Mikroben, Pilzen und Viren. Und meisten zeigt sich, dass diese Substanzen hochwirksam sind."

    Besonders eine Klasse von Substanzen haben die Wissenschaftler aus Louisiana im Blick: so genannte kationische Peptide. Also Eiweißverbindungen, die positiv geladen sind. Sie töten im Laborversuch eine Vielzahl von Krankheitserregern ab. Darunter auch MRSA, ein besonders hartnäckiges Bakterium, das resistent ist gegenüber den meisten Antibiotika. Verantwortlich für Tausende von Todesfällen jedes Jahr. Die Peptide aus dem Alligatorblut könnten eine neue Waffe gegen die MRSA-Keime darstellen, so Lancia Darville von der Louisiana State University.

    "Das ist wirklich gut möglich. Im Laborversuch hat das Serum des Alligatorenbluts die MRSA-Erreger komplett zerstört. Allerdings wissen wir nicht, ob die Substanzen dann im Körper genau so wirken wie im Labor."

    Und noch eine weitere Hürde gilt es zu überwinden: Die kationischen Peptide sind zwar hochwirksam, aber im menschlichen Körper zeigen sie eben auch unerwünschte Nebenwirkungen.

    "Für klinische Anwendungen in hohen Dosen können sie schon ziemlich giftig sein. Wenn eine Substanz solch eine breite antibakterielle und antivirale Wirkung besitzt, dann kann das gleichzeitig bedeuten, dass eine große Menge davon für den Körper toxisch ist."

    Die Chemiker versuchen nun, die natürlichen Moleküle künstlich so zu verändern, dass sie gegen Keime noch immer wirksam sind, aber den menschlichen Organismus nicht schädigen. Sollte der Spagat gelingen, kann man in ungefähr zehn Jahren mit ersten Alligatoren-Medikamenten rechnen.