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alpha-Liponsäure stoppt Alzheimer zweitweise

Autor: Michael Engel

    Medizin. - Immer mehr Menschen, manche schon ab Mitte 50, sind von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Inzwischen schätzt man die Zahl der Kranken in Deutschland schon auf eine Million. Noch ist kein Medikament in Sicht, mit dem man die Krankheit auf Dauer aufhalten, geschweige denn heilen kann. Eine Gruppe von Wissenschaftlern konnte jetzt eine Art Etappensieg verbuchen. Mit dem Wirkstoff alpha-Liponsäure konnte der Krankheitsverlauf für ein bis zwei Jahre gestoppt werden, so die Ergebnisse einer Studie, die am Mittwoch in Hannover vorgestellt wurden.

    Alpha-Liponsäure ist kein neuer Wirkstoff: sogar der Patentschutz ist schon seit langer Zeit abgelaufen. Das Medikament - Handelsname Thioctsäure - fängt aggressive sauerstoffhaltige Verbindungen in der Nervenzelle ab. Bislang profitierten ausschließlich Diabetiker von dieser Wirkung. Das Präparat verhinderte nämlich nervlich bedingte Gefühlsstörungen in Armen und Beinen, erklärt Professor Klaus Hager von der Henriettenstiftung Hannover:

    Das war auch die Ausgangsbeobachtung für uns: Wir hatten vor vielen Jahren eine Patientin, die mit dem Medikament aus diesem Grund behandelt wurde und von der wir annahmen, dass sie ein beginnendes Stadium der Alzheimer-Demenz aufwies. Wir waren dann überrascht, dass sie nach ein-zwei Jahren sich immer noch nicht verschlechtert hatte. Unsere Idee damals war, dass dieses Medikament eventuell einen Einfluss haben könnte.

    Das nennt man "Kommissar Zufall". Vor zwei Jahren begann Klaus Hager mit einer offenen klinischen Studie, um zu sehen, was wirklich dran ist an dem Mittel. Zehn Patienten erhielten jeweils morgens und abends eine Tablette - hier zum Schutz der Nervenzellen im Gehirn. Ergebnis: Patienten mit leichter Demenz profitierten am meisten: in den ersten sechs Monaten verbesserte sich der Zustand sogar, und das höhere Hirnleistungsniveau blieb dann über zwei Jahre erhalten. Patienten mit mittelschwerer Demenz profitierten rund eineinhalb Jahre: so lange ließ sich der weitere Gedächtnisverfall stoppen, sagt Hager:

    Dafür haben wir mittlerweile auch bei zwei Patienten Hinweise. Wir konnten Gehirnproben, nachdem sie leider verstorben waren, gewinnen und konnten sehen, dass im Vergleich zu Alzheimer-Patienten dort die Entzündungsmarke im Gehirn deutlich weniger waren. Das hat uns in der Meinung bestärkt, dass wir damit die Folgen dieser Alzheimerveränderungen - nämliche die Entzündungen, die wiederum zu Gewebsschädigung führt - dass wir das mit dem Medikament unterdrücken können.

    Menschen mit weit fortgeschrittener Demenz hingegen konnten von der alpha-Liponsäure nicht profitieren. Hier - so die Erklärung - sind die krankhaften Eiweißablagerungen in den Nervenzellen bereits so massiv, dass die begleitenden Entzündungsreaktionen nicht mehr in den Griff zu bekommen sind. Der Wirkstoff ist ein sogenanntes "Antioxidanz", das heißt, die Liponsäure fängt schädliche Sauerstoffradikale in der Nervenzelle ab und verhindert auf diese Weise entzündliche Prozesse. Zweiter Effekt: die Nervenzellen werden mit Energie versorgt. Nur leider ist die Wirkung nur von vorübergehender Dauer, bedauert Hager:

    Auch dafür gibt es eine einfache Erklärung: Wir können mit dem Medikament die Entstehung dieser Eiweißstoffe im Gehirn wohl nicht verhindern. Wir können sozusagen nur die Folgen verhindern, dass aus diesen Eiweißstoffen, aus dem Zelluntergang dann das Bindegewebe im Gehirn eine Entzündungsreaktion hervorruft, die wiederum Nervenzellen und Nervenverbindungen zerstört. Wir therapieren an den Folgen der Entstehung der Eiweißstoffe, aber wir können die Eiweißstoffe noch nicht komplett stoppen.

    Eine ursächliche Heilung durch alpha-Liponsäure ist also nicht zu erwarten. Und deswegen will Prof. Klaus Hager auch nicht von einem Durchbruch sprechen. Gleichwohl: mit bereits existierenden Demenzpräparaten auf der Basis von Acetylcholinesterase-Inhibitoren lässt sich der geistige Verfall heute schon um durchschnittlich ein Jahr aufhalten. Mit der Liponsäure steht nun die Verdoppelung bis Verdreifachung dieser Zeit in Aussicht.