So führte Albert von Schirnding als Rezensent und Essayist ein aktives Leben in jenen Gefilden, die man gerne als "sekundär" bezeichnet. Im Laufe der Jahre verblassen die Primärtexte manchmal schneller als die Rezensionen darüber; wer sich Generalist einer Epoche verschreibt, hat gute Chancen mit diesem Bericht länger präsent zu sein als die einzelnen Autoren. Schirndings Zeit waren die späten fünfziger und frühen sechziger Jahre, vielmehr: die bis weit in die Siebziger hinein existierende Parallelwelt einer Literatur, von der nicht mehr allzuviel Notiz genommen wurde. Als einziger der Stars aus den Fünfzigern erlebte Ernst Jünger hochbetagt ein Revival seiner Literatur, die meisten Innerlichkeitsliteraten der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden von der Medieninszenierung der "Gruppe 47" derart überrollt, dass sich ihrer heute kaum noch die Germanisten erinnern. Wiechert, Carossa, Jünger, Bergengruen - das war Albert von Schirndings Jugendmilieu. Letzterer etwa schockierte den für literarische Aura-Bildung empfänglichen Knaben damit, dass er um ein Haar "Brutzer" statt "Bergengruen" geheissen hätte - denkbar vielleicht für einen Werbetexter, niemals aber für einen Dichter.
Ja, um Dichter geht es in diesem Buch, nicht etwa um Autoren oder Schriftsteller. Wie ein Rufer aus ururalten Zeiten kommt einem der Verfasser vor, so fernab hinter Nebeln und Spinnweben spielen sich seine geistigen Lehr- und Wanderjahre ab. Doch Schirnding war ein junger Mann, als er den gesetzten Herrn aus der Nachkriegsliteratur entgegentrat, er hat - wie er an einer Stelle vermerkt - den Bahnsteig zum Zug der Zeit schlichtweg verpasst. Da half auch keine Freundschaft mit Walter Jens in Tübingen, die Zeitgenossen entfernten sich im Sauseschritt - für einen Altphilologen nicht unbedingt katastrophal. Auch der Leser dieser Autobiographie profitiert von der randständigen Position des Autors im Literaturbetrieb - wenn, ja wenn er die nötige Bildung mitbringt. Dann eröffnet sich ihm eine faszinierende, untergegangene Welt aus Werten und Ritualen, wie sie im Medienzirkus unserer Tage kaum mehr existieren. Dem freilich entzieht sich auch der konservative Albert von Schirnding nicht. "Ein Dichter", sagt er, "darf verstummen. Ein verstummter Kritiker ist tot."