Dabei hatte der wortgewandte Regierungschef noch vor seiner Abreise nach Brüssel öffentlich versichert, Kroatien habe bereits sämtliche Verpflichtungen erfüllt. Der Beginn der Beitrittsverhandlungen werde an keine weiteren Bedingungen geknüpft. Genau das ist jetzt aber eingetreten. Und die Bedingung hat auch einen Namen: Ante Gotovina. Der kroatische General ist vom UN-Tribunal wegen Kriegsverbrechen an Serben bei der Rückeroberung der Kraijna im Kroatien-Krieg angeklagt. In weiten Teilen der kroatischen Bevölkerung, vor allem auch bei den Wählern von Sanaders Kroatischer Demokratischer Gemeinschaft, HDZ, gilt Gotovina aber als Kriegsheld. Dank der Unterstützung dieser Kreise und der Duldung der sozialdemokratischen Vorgängerregierung konnte der ehemalige Fremdenlegionär vor drei Jahren untertauchen. Sanaders selbst hatte noch als Oppositionsführer Gotovina als Volksheld gelobt und erklärt, es sei eine Schande einen solchen Mann festzunehmen. Als Regierungschef, der sein Land in die Europäische Union führen möchte, hofft Sanader jetzt, dass ihm Gotovina eine Festnahme erspart und sich stattdessen freiwillig stellt. Echte Helden hätten schließlich keine Angst vor einer Vernehmung, heißt es dazu aus Sanaders Umfeld. Im Gegenteil, mit einer Aussage in Den Haag könne der General doch endgültig beweisen, dass die Anschuldigungen gegen ihn falsch seien. Ante Gotovina denkt aber offenbar nicht daran, der kroatischen Regierung diesen Gefallen zu tun. Also wird Ministerpräsident Sanader in den nächsten drei Monaten aktiv werden müssen, um der Europäischen Union zu beweisen, dass er ihre Forderung ernst nimmt und tatsächlich alle Hebel in Bewegung setzt, Gotovina zu fassen. Eine schwierige Aufgabe, auch weil sich Sanader dazu mit Teilen seines eigenen Sicherheitsapparates anlegen müsse, erklärt der Zagreber Politologe Nenad Sakocek, der sich ausführlich mit dem Kroatien-Bericht von UN-Chefanklägerin Carla del Ponte befasst hat.
Der Bericht von Carla del Ponte hat schon auf einen sehr wichtigen Aspekt hingewiesen und das ist diese Spaltung im staatlichen Apparat oder bei den Behörden, in dem Sinne ob das jetzt toleriert wird von politischen Akteuren oder auch nicht. Aber dass bestimmte Teile des Sicherheitsapparates, des Verteidigungsministeriums, der Polizei offensichtlich nicht nur mit Gotovina sympathisieren sondern ihn auch decken.
Noch drastischer formuliert es der kroatische Verleger und Autor Nenad Popovic:
Carla del Ponte sagt es gebe eine parallele Machtstruktur in Kroatien, welche Gotovina und ähnliche Kriminelle schützt. Das ist natürlich der Prüfstein für Sanader, denn wenn er die Geheimdienste auflösen kann, bzw. diese paramilitärischen Strukturen. Wenn er sie zerschlagen kann, dann geht er in die kroatische Geschichte ein. Wenn nicht, wird er ihre Geisel bleiben, so wie wir unser Lebtag Geiseln sind dieser Stasis, die so symbiotisch mit uns leben, von unseren Steuergeldern und ihre Geschäfte betreiben.
Aber es gibt auch andere Stimmen. Viele Kroaten empfinden es als ungerecht, dass die EU-Perspektiven ihres Landes vom Verhalten eines einzelnen Mannes abhängig gemacht werden soll. Noch dazu von einem Mann, von dem die Regierung sagt, sie wisse nicht, wo er sich befindet, möglicherweise sei er längst außer Landes. Diese Auffassung wird auch von jenen EU-Staaten geteilt, die in Kroatien große wirtschaftliche Interessen haben, wie Deutschland, Österreich und Frankreich. Dagegen beharren vor allem Großbritannien und die Niederlande rigoros auf der Auslieferung Gotovinas. Die britische Haltung wird in Zagreb auch mit der Nähe zu Washington begründet. Die USA sollen vor dem Brüsseler Gipfeltreffen bei den EU-Außenministern dafür geworben haben, die Beitrittsgespräche mit Kroatien bis auf weiteres aufzuschieben. Der kroatische Politologe Nenad Sakocek glaubt, ein Grund dafür könnte gewesen sein, dass die USA über die Haltung Zagrebs im Irak-Krieg verärgert seien.
Weder hat Kroatien Irak-Invasion unterstützt. Noch sind die amerikanischen Staatsbürger von der Auslieferung an den internationalen Strafgerichtshof unterstützt. Also so gesehen ist Kroatien näher an der Position Frankreichs und Deutschlands innerhalb der EU.
Der langjährigen politischen Berater und Wirtschaftsprofessor Ante Cicin-Sain fürchtet allerdings weniger eine amerikanische Einflussnahme. Er warnt vielmehr, die EU-Kommission könne sich bei ihrer endgültigen Entscheidung Verhandlungen mit Kroatien aufzunehmen oder nicht zu stark von Carla del Ponte beeinflussen lassen, die seiner Meinung nach manchmal übers Ziel hinausschießt.
Ich glaube schon, ich glaube schon, dass sie mit einem schwizzerischen Übereifer ihre Rolle...na, hm...Aber wenn sie auf die Carla del Ponte eingehen: Eine Sache, die sich jetzt auch in Kroatien grundlegend geändert hat: Die grundsätzliche Einstellung der Mehrheit der kroatischen Bevölkerung und der politischen Kräfte gegenüber dem Gerichtshof in Den Haag hat sich glaube ich fundamental gewandelt. In den Anfangsjahren hieß es, das wäre ein Gerichtshof gegen die Kroaten. Mit dieser Behauptung kommt jetzt niemand mehr. Und ich glaube die Überzeugung setzt sich mehr und mehr durch, dass die internationale Staatengemeinschaft grundsätzlich etwas Nützliches und Vernünftiges mit diesem Gerichtshof getan hat.
Aber Cicin-Sain betont auch: Eine rigorose Haltung der Europäischen Union im Fall Gotovina nutze nur den EU-Gegnern.
Bis vor kurzem hat es in Kroatien eine fast unbeschränkte Unterstützung für den EU-Beitritt gegeben. Jetzt scheint das etwas abgeglitten zu sein, und das wird glaube ich auch zum großen Teil von Seiten der Kirche offen oder versteckt unterstützt.
Immer häufiger wird in den kroatischen Medien darauf hingewiesen, dass die Schweiz und Norwegen schließlich auch gut als Nicht-EU-Mitglieder überleben könnten. Ein Hauptargument der EU-Skeptiker lautet, Kroatien habe jahrhundertelang um seine Eigenstaatlichkeit gekämpft. Jetzt dürfe man die endlich erlangte Souveränität nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
Das zweite Argument ist, ich glaube das sind zunehmende Zweifel an der christlichen Orientierung der EU. Es wurde sehr viel darüber geschrieben, dass die europäische Verfassung keine ausdrückliche Referenz an die christlichen Wurzeln Europas macht. Und das dritte, was den Leuten nicht gefällt, ist eine grundsätzlich liberale Ausrichtung der EU. Und der ganze Liberalismus ist den Nationalkonservativen Kräften nicht genehm.
In einer Sache sind sich allerdings EU-Befürworter und –Skeptiker einig:
Zunächst ist festzuhalten, dass Kroatien wesentlich höher entwickelt ist als Bulgarien und Rumänien. Unser Volkseinkommen pro Kopf ist mindestens zwei Mal so hoch wie das bulgarische und das rumänische. Im Vergleich zu diesen zwei Ländern ist Kroatien ein reiches Land, ein entwickeltes Land.
Dass Rumänien und Bulgarien sozusagen vor Kroatien in die EU kommen ist natürlich auch ein Witz. Aber es ist auch gut so. Rumänien und Bulgarien sollen nach Möglichkeit schnell in die EU. Ich wäre auch dafür, dass Bosnien, Albanien, Mazedonien und der Kosovo auch schnell in die EU kämen, denn diese Länder brauchen schnell wirtschaftliche Hilfe. Sie sind in einem desolaten Zustand. Kroatien hat eigentlich den Beitritt zur EU nicht besonders nötig. So wie die EU Kroatien nicht besonders nötig hat. Ich glaube dass die Auswirkungen zum Beitritt eher schlecht sind, wir sind überschwemmt von drittrangigen Landwirtschaftsprodukten aus der EU. Unsere Landwirtschaft ist mittlerweile kaputt. Auf dem Markt kann man keine genießbare Paprika mehr kaufen. Das kommt alles aus Holland, Dänemark oder vom Nordpol.
Tatsächlich fürchten vor allem die kroatischen Bauern um ihre Existenz. Immerhin sind derzeit 25 Prozent der Bevölkerung direkt oder indirekt von der Landwirtschaft abhängig. Aber die Intellektuellen in Zagreb teilen trotzdem längst nicht alle die düsteren Ansichten des Verlegers und Autors Nenad Popovic. Der Politologe Nenad Sakocek zum Beispiel meint:
Also für Kroatien ist es aus meiner Sicht aus zwei Gründen unbedingt wichtig, in die EU einzutreten. Einmal ist es für die politische Stabilisierung notwendig. Also wir haben ein Potential an Populismus und Nationalismus in Kroatien, der beispielsweise nur langfristig pazifiziert werden kann, durch die europäische Einbindung. Ja vielleicht nicht unähnlich mit der Erfahrung mit Deutschland, man weiß, dass man nur in einem größeren Staatenbund diese extremistischen Tendenzen neutralisieren kann. Und zweitens ist es wirklich aus wirtschaftlichen Gründen und insgesamt Gründen der Durchführung von Reformen in der Wirtschaft, in der Verwaltung, in der Justiz nötig. Der wichtigste Druck kommt von diesen Verpflichtungen. Also die inneren politischen Akteure sind nicht stark genug, um diese Reformen durchzuziehen.
Und in ökonomischer Hinsicht, da ist sich der Wirtschaftsexperte Ante Cicin-Sain sicher, könne sich Kroatien einer EU-Mitgliedschaft gar nicht widersetzen. Immerhin seien die Länder der europäischen Union schon jetzt die mit Abstand wichtigsten Handelspartner. Mit einem Wirtschaftswachstum von derzeit vier Prozent, könne Kroatien außerdem in zwei bis drei Jahren auf dem EU-Binnenmarkt konkurrenzfähig werden. Bei der Privatisierung der ehemaligen Staatsbetriebe seien zwar viele Fehler gemacht worden, aber allgemein gelte:
Wir haben bereits eine volle makroökonomische Stabilisierung durchlaufen. Das Preisniveau in Kroatien hat sich dem Preisniveau in Westeuropa bereits angepasst. Da sind keine bösen Entscheidungen zu erwarten. Wir haben eine volle Geldwertstabilität erreicht. Tatsächlich könnten wir morgen zum Euro überwechseln. Und die Einfuhr ist voll liberalisiert. Und das was kaputtgehen sollte, ist schon kaputt gegangen. Ich glaube, es ist nichts Schlimmes zu erwarten. Aber auch nichts Spektakuläres.
Auch die Europäische Union könnte von einem Mitgliedsland Kroatien profitieren. Denn die ehemalige jugoslawische Teilrepublik könnte für die EU einen politischen und wirtschaftlichen Brückenkopf in Südosteuropa schaffen. Einen Brückenkopf, der im Süden bis zur Bucht von Kotor und im Osten bis hundert Kilometer vor Belgrad reicht.
Und vielleicht eine Frage, die sie mir nicht gestellt haben, die aber zu diesem Gespräch gehört: Das ist die Einstellung der Kroaten und der kroatischen Politik gegenüber der größeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit in der Region, vor allem mit den Ländern des Ex-Jugoslawien. Ich glaube in der Hinsicht laufen die Dinge sehr gut, da sind auch die emotionalen Hindernisse fast ganz und gar aus der Welt geschafft worden.
"Na klar", meint dazu Nenad Popovic zynisch...
Denn die Beziehungen regeln sich auf der wirtschaftlichen Ebene. Es geht jetzt darum, dass die neuen Eigentümer der Wirtschaft in der Region Geschäfte miteinander machen. Das ist erfreulich. Es ist natürlich ein bisschen traurig, dass es nicht vielleicht Theater sind, die sich gegenseitig besuchen, sondern zuerst Wirtschaftsdelegationen. Aber so ist das nun einmal. Genauso wie der Krieg eine Neuverteilung der Ressourcen Jugoslawiens war. So ist diese "süße Normalisierung" auch die Anknüpfung neuer und alter Wirtschaftsbeziehungen aber mit anderen Eigentümern. Diese müssen natürlich ihre drittrangigen Waren in der Region verkaufen, denn woanders geht das ja nicht. Unsere Gurken sind zwar sehr gut, aber in der EU gibt's genug davon. Jetzt werden wir uns die Gurken eben gegenseitig verkaufen. Und Drogen, Waffen und was so zu unserer Folkore gehört. Ich freue mich natürlich über jedes Abkommen, persönlich, das die Situation normalisiert. Ich bin einer, der sehr gerne Museen besucht in Belgrad, sehr gerne dort Bücher verkauft. Ich habe dort Bekannte und Freunde wie jeder. Es ist ja nur 395 Kilometer von Zagreb. Auf der Autobahn sind das etwa 3 Stunden Fahrt. Aber das sich vor allem so konservative Parteien besuchen, wenn sie an der Macht sind. Wie zum Beispiel die HDZ aus Kroatien, die dann zu Besuch bei einer HDZ in Serbien ist. Das kann einen nur freuen und ist natürlich ein Treppenwitz.
Wie dem auch sei wird sicherlich Sanaders Regierung viele Impulse für diesen Weg in die EU geben. Er hat sicher eine sehr wichtige Rolle. Er hat die kroatische Rechte in Richtung Europa umgebogen. Das ist sehr wichtig, denn das war ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Tudjmans Zeit und noch im Jahr 2000. Und Sanaders Umkehr im Jahr 2002, erst da. Er ist schon an der Parteispitze seit dem Jahr 2000. Aber damals war er zu schwach. Aber seit dem Jahr 2002 verfolgt er eine Politik, die eindeutig liberaldemokratisch und europäisch ist. Ich stimme mit vielen Kommentatoren überein, dass seine Partei in manchen anderen Parteien noch die alte geblieben ist. Zum Beispiel weil alle Posten noch immer ausschließlich mit Parteileuten besetzt werden. Sie wissen, dass Kroatien noch immer nicht sein Team für die Verhandlungen mit der EU zusammengestellt hat, weil Sanader offensichtlich nur HDZ Leute haben möchte. Und er will weder Parteilose noch Gott behüte Leute von der ehemaligen Koalition engagieren. Also den ehemaligen Europaminister, der wirklich ein erfahrener Verhandlungsführer ist, will er nicht mehr engagieren. Das sind alles negative Punkte. Aber ich glaube, dieser eine Aspekt ist von großer, großer Bedeutung. Also ohne diese rechte Regierung, die europaorientiert ist, wäre es für Kroatien schwer, die Forderungen zu erfüllen. Also jetzt hat man eine Konstellation, in der alle Parteien europaorientiert sind, sonst wären wir praktisch in einer ständigen Konfrontation. Ich glaube nicht, dass ich Sanader jemals meine Stimme geben werde, aber trotzdem hoffe ich, dass er politisch erfolgreich ist, denn es gibt Szenarien, die viel schlimmer sind.
Am zweiten Januar wird jetzt ersteinmal der Präsident gewählt. Nach den Umfragen liegt der bisherige sozialdemokratische Amtsinhalber Stipe Mesic vor seiner HDZ-Herausfordererin, der stellvertretenden Ministerpräsidentin Jadranka Kosor. Beide haben angekündigt, das Land in die EU führen zu wollen. Mesic wirbt damit, dass er schon in seiner bisherigen Amtszeit Kroatien gegenüber Europa und der Welt geöffnet und auf Reformkurs habe. Und deshalb, so der bisherige und vermutlich künftige kroatische Präsident, könne Kroatien zu Recht erwarten, dass es 2008 spätestens aber 2009 EU-Mitglied wird.