Neugebauer: " Wir bestreiten nicht, dass Preußen ein Militärstaat war, auch im 19. Jahrhundert. Aber vielleicht hat diese sehr einseitige Sicht dieses Staates, der sich bisher auch sehr einseitig gegeben hat, eben die Entwicklung auf ganz anderen Gebieten, vor allem im 19. und 20. Jahrhundert verdeckt. Und wir wollen es entdecken, "
sagt Prof. Wolfgang Neugebauer, Leiter des Forschungszentrums "Preußen - Berlin" der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und widerspricht damit allen Vermutungen, das Bild Preußens in der Öffentlichkeit verharmlosen zu wollen. Aber Preußen war eben nicht nur ein Militär- sondern auch ein Kulturstaat. Und:
" Während im 17. und 18. Jahrhundert Kulturpolitik sehr residenz- und dynastiezentriert war, hat man doch schon seit den letzten Jahren des 18. und des ersten Jahren des 19. Jahrhunderts die ganze Bevölkerung, alle Schichten und Stände im Auge gehabt. Das meinen wir, wenn wir von "Kultureller Daseinsvorsorge" sprechen. Ich gebe ein Beispiel: Preußen war- und das ist unstrittig- in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Alphabetisierungsbewegung sogar Westeuropa eine ganze Generation voraus. "
Der Begriff "Kulturstaat" stammt aus der Zeit um 1800 und wurde von dem preußischen Philosophen Johann Gottlieb Fichte geprägt. Es ging ihm nicht mehr um die repräsentative Hochkultur, sondern um die Veredelung jedes einzelnen Menschen, der nun als autonomes Individuum begriffen wurde. Um die Kultur- und Bildungspolitik besser zu koordinieren, gründete Staatskanzler von Hardenberg 1817 das Ministerium für Kultur, mit zunächst 40 Beamten, darunter überwiegend Professoren, Lehrer, Kunstverständige. Dr. Bärbel Holtz, Arbeitsstellenleiterin des Akademie-Projektes "Preußen als Kulturstaat":
" Ein Kultusministerium dieser Art, wie es sich Preußen 1817 geleistet hat, gab es so noch nicht, es ist eines der frühesten überhaupt. Es versteht sich von selbst, dass die Bildungspolitik im Kultusministerium verankert war, die Kirchenpolitik gehörte dazu, und die Kunstpolitik, die allerdings erst im Anfang begriffen war, und als 4. Standbein, was man nicht unbedingt vermutet: das Medizinalwesen, weil der Anspruch des preußischen Staates war, dass man dieses Ministerium für den Menschen einrichtet und der Mensch mit 3 Dingen glücklich werde, nämlich mit Bildung, dem Geist, also dem geistlichen, religiösen kirchlichen Element und mit der Gesundheit, dem leiblichen Wohl und das hat man in diesem Ministerium zusammengefasst. "
Auch in Bayern gab es Überlegungen, Kulturpolitik staatlich zu organisieren. Bereits 1796 gab es erste Versuche, ein eigenes Ministerium zu etablieren, doch erst 1847 kam es unter gesellschaftlichem Druck zu dessen Gründung. Professor Hans-Michael Körner:
" Man hat natürlich in der ersten Jahrhunderthälfte, aber auch in der zweiten in realistischer Einsicht sich sagen müssen, in München, in Bayern, auf dem Felde der Wirtschaft, auf dem Felde des Militärs sind wir mit den beiden Großmächten, das gilt für Österreich, das gilt für Preußen, nicht konkurrenzfähig. Wenn wir gleichwohl so bedeutend bleiben wollen, dass man uns das Streben nach Souveränität und Unabhängigkeit auch abnimmt, dann müssen wir Bedeutsamkeit und Relevanz auf anderen Feldern der Politik herstellen, und da war es in beiden Hälften des 19. Jahrhunderts so, dass man dafür die Kulturpolitik ausersehen hat. "
Es war nicht zuletzt die Angst vor einer drohenden Revolution, die König Ludwig I dazu brachte, Bildung und Kunst, Kultur und Kultus zu pflegen. Unter ihm erlebte das Königreich eine künstlerische Blütezeit, er ließ die Neue und Alte Pinakothek bauen, gründete die Münchner Universität und gab zahlreiche Kirchenbauten und Klostergründungen in Auftrag. Auch nach seinem Rücktritt 1848 wurde Kulturpolitik in Bayern noch lange maßgeblich vom Hof beeinflusst.
" Das je unterschiedliche persönliche Profil eines Monarchen wirkt sicher daher auf die tatsächlich praktizierte Kulturpflege ganz massiv aus. Ludwig I war tiefbeseelt von dem Glauben, dass die Kunst den Menschen eigentlich veredeln kann, dass ein Mensch der sich mit Kunst beschäftigt- ich formuliere sehr flapsig- der macht keine Revolution. Max II, der hat's nicht mit der Kunst, nicht mit den Gemälden, nicht mit den Pinakotheken, der setzt auf die Karte Wissenschaft. Über Ludwig II in dem Zusammenhang zu sprechen ist schwierig, denn diese Rückzugsphänomene und diese Weltabgewandtheit- da kann wirklich das Ministerium Politik machen wie man sich das vielleicht vorstellt und das geht dann bis zu Ende der Monarchie, bis 1918 eigentlich ".
Auch in Österreich ging in Adelskreisen die Angst vor einer Revolution um. Hier kam noch die Furcht vor nationalistischen Kräften und dem Auseinanderbrechen des Vielvölkerstaates dazu. In neu errichteten barock- klassizistischen Prachtbauten feierte sich der Staat, sie sollten die Idee der starken, einigen k.u.k.-Monarchie symbolisieren. So entstanden die großen Opernhäuser, die Nationaltheater und Akademien in Wien, Prag und Budapest. Andreas Gottsmann, von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften:
" Kultur und Kulturpolitik spielt eine staatstragende Rolle. Es war der Wille der staatlichen Obrigkeit, aber auch des Hofes, eine plurinationale Kultur zu fördern, die den Nationalitätenstreit zumindest auf künstlerischem Gebiet etwas entschärfen sollte. Der Anlass war eindeutig die Revolution, und ein Modernisierungsschub, mit dem man versuchte die Revolution noch etwas aufzuhalten. Man hat versucht, über eine multinationale Kulturpolitik den Nationalitäten den Wind aus den Segeln zu nehmen. "
In Sachsen und in Russland betrieb man im 19. Jahrhundert verstärkt Kulturpolitik, meistens unter dem Gesichtspunkt: "Nutzt es dem Monarchen?". Zar Alexander I. befahl ab 1801 eine Schulreform, auch die erste Universität nach preußischem Vorbild wurde gegründet, bei der Einführung von Gymnasien ab 1830 orientierten sich russische Kulturpolitiker an der Humboldtschen Bildungstheorie.
" Also im 19. Jahrhundert der Wunsch nach eine bessere Ausbildung der Kinder und der Jugendlichen geht eindeutig von der Gesellschaft aus, und die Rolle des Staates ist es, diese Nachfrage ernst zu nehmen, und ihr zu antworten. Die Initiative kommt nicht vom Staat, "
meint Professor Etienne Francois von der Université Sorbonne in Paris. In Frankreich hatten die Monarchen ihre Lektion bereits auf blutige Art gelernt. In der Zeit nach Napoleon sah sich der König zunehmend vor allem als Mäzen der Schönen Künste, auch in den staatlichen Institutionen zog man sich auf eine Rolle als Förderer des öffentlichen Dienstes, des "service publique" zurück.
" Man sieht wie der Staat versucht, die Kunstrichtungen zu lenken bzw. seine eigenen Geschmacksrichtungen zu favorisieren. Aber spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ist das Unwohl der Bevölkerung mit dieser Form der Bevormundung so stark, dass der Protest schließlich gegen alle Ansprüche der Lenkung des Staates siegt, und der Staat dann ändert seine Politik und die Kunstpolitik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird liberal. "
sagt Prof. Wolfgang Neugebauer, Leiter des Forschungszentrums "Preußen - Berlin" der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und widerspricht damit allen Vermutungen, das Bild Preußens in der Öffentlichkeit verharmlosen zu wollen. Aber Preußen war eben nicht nur ein Militär- sondern auch ein Kulturstaat. Und:
" Während im 17. und 18. Jahrhundert Kulturpolitik sehr residenz- und dynastiezentriert war, hat man doch schon seit den letzten Jahren des 18. und des ersten Jahren des 19. Jahrhunderts die ganze Bevölkerung, alle Schichten und Stände im Auge gehabt. Das meinen wir, wenn wir von "Kultureller Daseinsvorsorge" sprechen. Ich gebe ein Beispiel: Preußen war- und das ist unstrittig- in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Alphabetisierungsbewegung sogar Westeuropa eine ganze Generation voraus. "
Der Begriff "Kulturstaat" stammt aus der Zeit um 1800 und wurde von dem preußischen Philosophen Johann Gottlieb Fichte geprägt. Es ging ihm nicht mehr um die repräsentative Hochkultur, sondern um die Veredelung jedes einzelnen Menschen, der nun als autonomes Individuum begriffen wurde. Um die Kultur- und Bildungspolitik besser zu koordinieren, gründete Staatskanzler von Hardenberg 1817 das Ministerium für Kultur, mit zunächst 40 Beamten, darunter überwiegend Professoren, Lehrer, Kunstverständige. Dr. Bärbel Holtz, Arbeitsstellenleiterin des Akademie-Projektes "Preußen als Kulturstaat":
" Ein Kultusministerium dieser Art, wie es sich Preußen 1817 geleistet hat, gab es so noch nicht, es ist eines der frühesten überhaupt. Es versteht sich von selbst, dass die Bildungspolitik im Kultusministerium verankert war, die Kirchenpolitik gehörte dazu, und die Kunstpolitik, die allerdings erst im Anfang begriffen war, und als 4. Standbein, was man nicht unbedingt vermutet: das Medizinalwesen, weil der Anspruch des preußischen Staates war, dass man dieses Ministerium für den Menschen einrichtet und der Mensch mit 3 Dingen glücklich werde, nämlich mit Bildung, dem Geist, also dem geistlichen, religiösen kirchlichen Element und mit der Gesundheit, dem leiblichen Wohl und das hat man in diesem Ministerium zusammengefasst. "
Auch in Bayern gab es Überlegungen, Kulturpolitik staatlich zu organisieren. Bereits 1796 gab es erste Versuche, ein eigenes Ministerium zu etablieren, doch erst 1847 kam es unter gesellschaftlichem Druck zu dessen Gründung. Professor Hans-Michael Körner:
" Man hat natürlich in der ersten Jahrhunderthälfte, aber auch in der zweiten in realistischer Einsicht sich sagen müssen, in München, in Bayern, auf dem Felde der Wirtschaft, auf dem Felde des Militärs sind wir mit den beiden Großmächten, das gilt für Österreich, das gilt für Preußen, nicht konkurrenzfähig. Wenn wir gleichwohl so bedeutend bleiben wollen, dass man uns das Streben nach Souveränität und Unabhängigkeit auch abnimmt, dann müssen wir Bedeutsamkeit und Relevanz auf anderen Feldern der Politik herstellen, und da war es in beiden Hälften des 19. Jahrhunderts so, dass man dafür die Kulturpolitik ausersehen hat. "
Es war nicht zuletzt die Angst vor einer drohenden Revolution, die König Ludwig I dazu brachte, Bildung und Kunst, Kultur und Kultus zu pflegen. Unter ihm erlebte das Königreich eine künstlerische Blütezeit, er ließ die Neue und Alte Pinakothek bauen, gründete die Münchner Universität und gab zahlreiche Kirchenbauten und Klostergründungen in Auftrag. Auch nach seinem Rücktritt 1848 wurde Kulturpolitik in Bayern noch lange maßgeblich vom Hof beeinflusst.
" Das je unterschiedliche persönliche Profil eines Monarchen wirkt sicher daher auf die tatsächlich praktizierte Kulturpflege ganz massiv aus. Ludwig I war tiefbeseelt von dem Glauben, dass die Kunst den Menschen eigentlich veredeln kann, dass ein Mensch der sich mit Kunst beschäftigt- ich formuliere sehr flapsig- der macht keine Revolution. Max II, der hat's nicht mit der Kunst, nicht mit den Gemälden, nicht mit den Pinakotheken, der setzt auf die Karte Wissenschaft. Über Ludwig II in dem Zusammenhang zu sprechen ist schwierig, denn diese Rückzugsphänomene und diese Weltabgewandtheit- da kann wirklich das Ministerium Politik machen wie man sich das vielleicht vorstellt und das geht dann bis zu Ende der Monarchie, bis 1918 eigentlich ".
Auch in Österreich ging in Adelskreisen die Angst vor einer Revolution um. Hier kam noch die Furcht vor nationalistischen Kräften und dem Auseinanderbrechen des Vielvölkerstaates dazu. In neu errichteten barock- klassizistischen Prachtbauten feierte sich der Staat, sie sollten die Idee der starken, einigen k.u.k.-Monarchie symbolisieren. So entstanden die großen Opernhäuser, die Nationaltheater und Akademien in Wien, Prag und Budapest. Andreas Gottsmann, von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften:
" Kultur und Kulturpolitik spielt eine staatstragende Rolle. Es war der Wille der staatlichen Obrigkeit, aber auch des Hofes, eine plurinationale Kultur zu fördern, die den Nationalitätenstreit zumindest auf künstlerischem Gebiet etwas entschärfen sollte. Der Anlass war eindeutig die Revolution, und ein Modernisierungsschub, mit dem man versuchte die Revolution noch etwas aufzuhalten. Man hat versucht, über eine multinationale Kulturpolitik den Nationalitäten den Wind aus den Segeln zu nehmen. "
In Sachsen und in Russland betrieb man im 19. Jahrhundert verstärkt Kulturpolitik, meistens unter dem Gesichtspunkt: "Nutzt es dem Monarchen?". Zar Alexander I. befahl ab 1801 eine Schulreform, auch die erste Universität nach preußischem Vorbild wurde gegründet, bei der Einführung von Gymnasien ab 1830 orientierten sich russische Kulturpolitiker an der Humboldtschen Bildungstheorie.
" Also im 19. Jahrhundert der Wunsch nach eine bessere Ausbildung der Kinder und der Jugendlichen geht eindeutig von der Gesellschaft aus, und die Rolle des Staates ist es, diese Nachfrage ernst zu nehmen, und ihr zu antworten. Die Initiative kommt nicht vom Staat, "
meint Professor Etienne Francois von der Université Sorbonne in Paris. In Frankreich hatten die Monarchen ihre Lektion bereits auf blutige Art gelernt. In der Zeit nach Napoleon sah sich der König zunehmend vor allem als Mäzen der Schönen Künste, auch in den staatlichen Institutionen zog man sich auf eine Rolle als Förderer des öffentlichen Dienstes, des "service publique" zurück.
" Man sieht wie der Staat versucht, die Kunstrichtungen zu lenken bzw. seine eigenen Geschmacksrichtungen zu favorisieren. Aber spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ist das Unwohl der Bevölkerung mit dieser Form der Bevormundung so stark, dass der Protest schließlich gegen alle Ansprüche der Lenkung des Staates siegt, und der Staat dann ändert seine Politik und die Kunstpolitik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird liberal. "