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"Als DJ bist du so ein bisschen der Highlander"

Der Berliner DJ Maximilian Lenz, besser bekannt als Westbam, feiert sein 30. Dienstjahr mit einem neuen Album. Dass sein Publikum immer gleich jung bleibe, halte auch ihn jung, erzählt er. Dennoch ist "Götterstrasse" ziemlich nostalgisch ausgefallen.

Das Gespräch führte Thomas Elbern | 04.05.2013
    Thomas Elbern: 30 Jahre Westbam, so steht im Info zu Ihrem aktuellen Album "Götterstrasse" zu lesen. 30 Jahre Nachtleben, 30 Jahre DJ-Kultur, 30 Jahre Entwicklung von Rave zu Elektro und wieder zurück. Wie fühlt sich das an?

    Westbam: Also, es ist ja so: Im Nachtleben bleiben die Leute immer so um die 20, insofern denkt man so nach den Jahrzehnten, man hat es mit ähnlichen oder denselben Leuten zu tun, aber es sind natürlich Generationen gegangen und Neue gekommen. Als DJ bist du so ein bisschen der Highlander, der die Generationen kommen und gehen sieht und dieselben Geschichten immer wieder hört. Ich glaube, das ist das, was mich in diesem Job, wie man so schön sagt, jung erhält, dass ich das Ganze auf eine ganz banale Beatsache reduziere, wo die Luft brennt und die spüren dieses Excitement zum ersten Mal. Und ich spüre das, was die fühlen und kann es mit deren Ohren hören und das fühlt sich dann immer wieder frisch an.

    Elbern: Ihr neues Album "Götterstrasse" hat etwas Nostalgisches. Alleine das Video zu "You Need the Drugs" beschwört den Geist des Berlin der frühen 8oer Jahre, das hat vor kurzem auch David Bowie getan, es gab auch eine Ausstellung dazu. Woher auf einmal die Nostalgie?

    Westbam: Also ich denke, viel davon ist Koinzidenz mit David Bowie. Da stimme ich zu. Lustigerweise war das auch ein Traum von mir gewesen, das der ein Lied singt. Als ich seinen Song dann gehört habe, bin ich fast vom Glauben abgefallen, weil ich dachte: Diese Texte hätten auch wunderbar in diesen Werkszyklus von mir gepasst. Die Beats und die Arrangements hätten sich anders angehört, aber da ist eine Übereinstimmung.Woran das insgesamt liegt, kann ich nicht sagen, in meinem speziellen Fall ist es so, dass diese Berliner Szene der frühen 8oer tatsächlich genau die war, die meine Urprägung ist. Aus dieser Welt komme ich ....

    Elbern: "Götterstrasse" ist eine bemerkenswerte Kollektion von Kooperationspartnern. Iggy Pop, Kanye West, Bernard Sumner von New Order ....nur um einige zu nennen. Kannten die alle Westbam und seine lange Geschichte? Wie sind die alle mit ins Boot gekommen?

    Westbam: Also ich kann's nicht bei jedem sagen, von Bernard gab es die Äußerung, er hätte von mir gehört, bei Iggy Pop weiß ich nicht genau, ob er mich nicht gegoogelt hat, weil in dem Text kommt ja so eine Passage vor wie " One million germans on dope" vor. Also allemal hat er was von der Loveparade gehört oder das selber recherchiert, so genau weiß ich's nicht ...

    Elbern: Die Stimmung auf "Götterstrasse" ist durchgängig irgendwo melancholisch. War das beabsichtigt oder hat sich das so entwickelt?

    Westbam: Auch die melancholische Stimmung hängt mit dem Betrachtungsfeld zusammen. Es gibt ja Kollegen, die ähnlich lange auflegen wie ich, die schon auf die Musik, die sie letztes Jahr gespielt haben, nicht mehr angesprochen werden wollen. Für die ist das immer ein abgeschlossenes Thema, ich lebe im Hier und Jetzt. Ich habe schon immer ein sehr starkes Gefühl für Zeit und Entwicklungen gehabt. Bei diesem Album kommt das, meiner Meinung nach, sehr stark heraus, es ist ein Album, was auch über Zeit und große Zeiträume handelt.

    Und ich glaube, dass jeder, der das Gefühl für Zeit hat, auch eine melancholische Ader hat. Und Leute, die sehr stark nur im Hier und Jetzt leben, teilen diese melancholische Ader nicht, verstehen sie auch nicht und haben keinen Zugang dazu.

    Elbern: Wenn ich mir Ihre Geschichte so anschaue, es gibt einen Moment, der sich durch 30 Jahre Westbam durchzieht: eine Art Punkattitüde. Ihr deutscher Beitrag mit Afrika Bambataa zum Eurovision Songcontest, ihre Version vom Abwärtsklassiker "Computerstaat."

    Westbam: Also das ist eine ganz klassische menschliche Sache, das man Prägungen bekommt. Und Prägungen bekommt man im Teenageralter und was da passiert, schleppt man sein Leben mit sich rum und das kommt auf die eine oder andere Art wieder raus. Punkrock und Pogo war die erste Musik, zu der ich getanzt habe und rumgesprungen bin. Was heißt Raven wieder? Raven heißt Toben. Und dieses Toben und Pogo, also Rumspringen, ist für mich die gleiche Sache. Bestimmte Aspekte vom New Wave und der elektronischen Musik, also Kraftwerk, aber auch DAF und diese Rockigkeit von Abwärts und diese ganz einfachen Pogostücke und diese Achtelbässe, das sind für mich Teenagerprägungen. Die Frage ist dann immer, setzt man die irgendwie um, oder hängt man denen nur nach? Ich hoffe natürlich, das ich da irgendwo was draus gemacht habe.

    Elbern: Noch mal zurück zu Ihrer aktuellen Single "You Need the Drugs". Passender könnte der Titel eigentlich nicht sein, wenn es um Technofans geht. Beispielsweise gäbe es ohne Drogen keine Afterhour-Partys. Songs wie "3 Tage wach" beschreiben eine Art Dauerparty auf Amphetaminen. Ist das Thema für sie ein zweischneidiges Schwert?

    Westbam: Das ist auf jeden Fall ein zweischneidiges Schwert. Die Plattenfirma schrieb ja auch, das sei ja jetzt ein Anti-Drogen-Song. Das liegt daran, dass ich auch gesagt habe, dass die Szene, die bei "You Need the Drugs" beschrieben wird, nicht gerade sehr einladend ist. Für mich ist diese Szene aber auch nicht passend da den Zeigefinger zu heben, nach dem Motto: Kinder seht, das passiert, wenn ihr Drogen nehmt. Mit diesem Anspruch nimmt man den Leuten die Freude an der Kunst. Wenn die Kunst mir gleich erzählt, wie ich sie zu lesen habe oder was ich zu denken habe, da hört der Spaß dann auf und das hat dann auch keinerlei erzieherische Erfolge. Nein, ich bin weder für noch gegen Drogen. Ein Aspekt, wo sich wirklich was verändert hat - Sie sagten eben, Afterhourkultur ist nicht denkbar ohne Drogen - das war früher so.

    Ich sehe aber da einen ganz anderen Trend: Zum Beispiel stehen heute in Berlin vor dem Club Berghain um 10 Uhr morgens die Leute Schlange. In den frühen 90ern wusste man, wenn man das gesehen hatte, all diese Leute sind noch von gestern übrig geblieben. Das ist bloß bei denen heute nicht mehr so. Die sind alle nur früh aufgestanden. Das kommt historisch aus einer Zeit des späten Ausgehens, wo Leute übrig blieben, wo sie vielleicht auf Speed waren und die ganze Nacht durchgefeiert haben und dann noch im letzten Schuppen den Tag verbracht haben. Das ist bei diesen Leuten nicht mehr so. Die stellen sich den Wecker, manche auf 4 oder 5 Uhr morgens, manche auf 9 Uhr morgens und die stehen um 11 irgendwo Schlange und das sind Tagesraver. Das ist etwas, was es in dieser Form früher nicht gab.

    Elbern: Letzte Frage: 30 Jahre DJ Dasein, haben Sie schon mal daran gedacht, eine Art Erlebnisroman zu schreiben?

    Westbam: Ja, habe ich häufig drüber nachgedacht. Einen Erlebnisroman zu schreiben oder eine Form zu finden, wo ich aus der Erinnerung aus diesen 30 Jahren, all diesen komischen Begebenheiten in irgendeine sprachliche Form bringe. Das habe ich tatsächlich häufig schon überlegt, ich ringe aber noch mit der Form. Ich will das nicht unbedingt in eine durchgehende Geschichte bringen, sondern eher bruchstückhaft erzählen, ohne dem Ganzen irgendeinen großen Sinn oder Richtung zu geben. Das überlege ich im Moment.