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Als Juden zu preußischen Staatsbürgern wurden

Das Emanzipationsedikt von 1812 ermöglichte es den Juden in Preußen, die Staatsbürgerschaft zu erlangen. Doch eine vollständige Gleichstellung bedeutete das Gesetz von König Friedrich Wilhelm III. keineswegs. Es enthielt Beschränkungen, die sich für die Integration der Juden verhängnisvoll auswirken sollten.

Von Christian Berndt | 11.03.2012
    "Welche Worte haben die Größe, um die Dankgefühle kräftig an den Tag zu legen, die uns bei der Erblickung der uns zuteil gewordenen Würde, der Klasse der Staatsbürger einverleibt zu sein, ergriffen."

    Die jüdische Gemeinde von Breslau sendet ein Dankesschreiben an den preußischen Staatskanzler Karl August von Hardenberg. Und in ganz Preußen huldigen die Juden dem König aus Dankbarkeit für dieses Edikt. Denn es beendet für sie den Fremdenstatus, eine bloße Duldung im Staate, die Jahrhunderte galt und erst mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert problematisiert wurde. In Deutschland war es vor allem eine Schrift, die 1781 eine Reformdebatte auslöste: Christian Wilhelm Dohms "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden":

    "Alles, was man den Juden vorwirft, ist durch die politische Verfassung, in der sie jetzt leben, bewirkt. Und jede andere Menschengattung, in dieselben Umstände versetzt, würde sich sicher eben derselben Vergehungen schuldig machen."

    In seiner Schrift formulierte der preußische Kriegsrat Dohm den Gedanken, dass der Staat durch diskriminierende Vorschriften und Berufsverbote die Masse der Juden in Isolation, Armut und Wuchergeschäft getrieben habe. Um aus den Juden "nützliche Staatsbürger" zu machen, müssten sie befreit werden - allerdings nicht durch sofortige Gleichstellung, sondern erst im Verlauf eines Erziehungsprozesses.

    In Preußen traf die Schrift auf fruchtbaren Boden, Berlin war das Zentrum der jüdischen Aufklärung, und hier gab es eine kleine Gemeinde selbstbewusster, jüdischer Bürger. Aber erst nach dem Tod Friedrichs des Großen 1786 waren konkrete Schritte möglich. Der Antisemitismusforscher Werner Bergmann:

    "Es beginnt mit einer Petition der Juden selbst in Preußen, also vor allem der Berliner Juden, an den preußischen König mit der Bitte sozusagen um gesetzliche Verbesserung. Und das wird aufgenommen in der preußischen Bürokratie, wird mehrere Jahre lang verhandelt, und das Ergebnis, was dann rauskommt, ist nicht besonders umfassend. Was dann wieder von jüdischer Seite auf Kritik stößt, die sagen sehr deutlich, dass sie damit überhaupt nicht zufrieden sind. Das heißt also, man muss sie wirklich als aktive Partner in diesem Reformprozess sehen."

    Es kommt in den folgenden Jahren zu einigen Verbesserungen. Aber erst die katastrophale Niederlage Preußens gegen Napoleon 1806 sorgt für neue Bewegung. Überfällige Reformen des erstarrten Landes werden nun von einer fortschrittlichen Bürokratie in Angriff genommen. Die wegweisende Städteordnung bringt den Juden 1808 das Stadtbürgerrecht.

    Im gleichen Jahr gibt König Friedrich Wilhelm III. Order, den Entwurf einer Verfassung für die Juden zu erarbeiten. Die Ernennung des begeisterten Reformers Hardenberg zum Staatskanzler 1810 beschleunigt die Ausarbeitung. Am 11. März 1812 ergeht durch den König das "Edikt betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem preußischen Staate".

    "Die in unseren Staaten jetzt wohnhaften, mit General-Privilegien, Schutzbriefen und Konzessionen versehenen Juden und deren Familien sind für Einländer und preußische Staatsbürger zu achten. Die für Einländer zu achtenden Juden sollen, insofern diese Verordnung nichts Abweichendes enthält, gleiche bürgerliche Rechte und Freiheiten mit den Christen genießen."

    Das Edikt ist progressiv, obwohl sich die preußische Bürokratie lange gegen eine Gleichstellung stemmte:

    "Die Idee einer völligen Gleichstellung stand, glaube ich, jetzt für diese Beamten nicht auf der Tagesordnung. Was sie gesehen haben ist, dass es eben Hemmnisse gab in der rechtlichen Stellung der Juden, die jetzt auch die Nützlichkeit der Juden für den Staat eingeschränkt hat und dass man Teilreformen wird durchsetzen müssen. Und zwar eben zum Wohl auch des preußischen Staates. Und wenn man das berücksichtigt, dann muss ich sagen, geht es ja auch sehr weit."

    Theoretisch waren die Juden den Christen gleichgestellt. Allerdings wurde ihnen der Zugang zu öffentlichen Ämtern verwehrt. Statt des französischen Modells der Gleichheit als Grundrecht, wie es durch die Revolution 1791 auf einen Schlag gewährt worden war, blieb man in Preußen beim Erziehungsgedanken Dohms.

    Erst nach einem Lernprozess sollte volle Gleichberechtigung erfolgen. Aber in der Restaurationsepoche ab 1815 stagnierten die Reformen. Wirtschaftlich erlebten die Juden zwar einen sensationellen Aufstieg, doch die Einschränkungen, die informell bis 1918 bestehen blieben, konservierten den Sonderstatus – mit fatalen Folgen.