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Als man mit Kunst Medaillen gewinnen konnte

Von 1912 bis 1948 konnte man mit Gedichten, Gemälden oder Skulpturen Gold, Silber und Bronze gewinnen. Das klingt skurril, aber 2012 in London lebt die Idee wieder auf: 360 Künstler haben sich angemeldet. Der Film "Feuer und Flamme für die Kunst" erzählt jetzt die Geschichte der Olympischen Kunstwettbewerbe.

Von Peter Backof | 24.07.2012
    "Vier Männer, ein Stab, vier Männer, ein Team, vier Männer ein Trikot" – rezitiert der heute 95-jährige Gilbert Proteau noch einmal aus seinem Staffellauf-Poem und schlürft an einem Glas Rotwein. Für "Rhythmus des Stadions" hatte er 1948 in London eine Bronzemedaille bekommen.

    Die Dokumentarfilmerin Alexa Oona Schulz hat ihn und andere vergessene Kunst-Medaillengewinner interviewt, für den Film "Feuer und Flamme für die Kunst".

    Gilbert Proteau: "Ich sollte im Dreisprung antreten, aber ich war verletzt. Stattdessen bekam ich die Medaille für Poesie. Das hat mich gefreut. Und Frankreich freute sich über eine zusätzliche Medaille. Denn wir hatten damals nicht so viele."

    Proteau zu Ehren hat der Bürgermeister einer Kleinstadt bei Nantes die Olympischen Ringe auf die Sporthalle pinseln lassen – und: Olympische Medaillen für künstlerische Beiträge, die wurden damals sehr ernst genommen. Aber doch wohl nicht ernster - denkt man sich - als wenn jemand heute mit einer Bronzemedaille in irgendeiner Disziplin im Medaillenspiegel auftaucht: Extrem kurzlebige, statistische Popularität, der Grund warum heute die meisten staunen: ach, Olympische Dichter sportlich zu bewerten, sondern weil man Künstlern den Amateurstatus nicht mehr zugestand. Schade! Kam doch so auch mancher süffisante feuilletonistische Schlagabtausch hernach nicht mehr zustande.

    Medaillen für Kunst - hat es gegeben?

    Abgeschafft wurden die Kunstwettbewerbe nach 1948 nicht etwa, weil man es skurril fand, einen Dichter sportlich zu bewerten, sondern weil man Künstlern den Amateurstatus nicht mehr zugestand. Schade! Kam doch so auch mancher süffisante feuilletonistische Schlagabtausch hernach nicht mehr zustande.

    n "Nun gilt nicht mehr, dass Kunst abgehoben ist und keinen Eingang in das Leben der breiten Masse findet, denn diese Ausstellung ist gewisslich demokratisch."

    Lobte Arthur Millier, Kritiker der Los Angeles Times. Die Spiele 1932 markieren den Höhepunkt in der Anerkennung. Die Ausstellung mit elfhundert Werken aus über 30 Ländern besuchen 15.000 Menschen täglich.

    "Wenn Sie natürlich einen verfeinerten Geschmack haben, werden Sie eine ganze Weile stochern müssen, bevor Sie verdauliche Happen finden. Die ausländischen Abteilungen sind unstrukturiert wie die Polnische oder langweilig wie die Deutsche und Englische."

    Worüber sich ein japanischer Leser echauffiert:

    "Mr Millier, lieber Herr, ich denke, Sie haben nicht richtig hingesehen. Vielleicht waren Sie müde oder Ihr Frühstück war nicht zuträglich für Ihre optischen Nerven. Nicht gut, diese Kritik. Sehr schlecht! So etwas gibt es in Japan nicht."

    Spiegel nationaler Animositäten der 1930er. Ausgestellt, gedichtet, komponiert, prämiert wurden überwiegend den Sport illustrierende Werke. Siegermärsche, Oden an den Sport.

    "O Sport, Du Göttergabe, Du Lebenselixier, der fröhlichen Lichtstrahl wirft in arbeitsschwere Zeit…"

    Aus dem Gedicht von Pierre de Coubertin, mit dem er 1912 unter Pseudonym teilnahm, um die Wettbewerbe überhaupt zu lancieren. Man schmunzelt über die vergilbte Wortwahl, aber Coubertin suchte nach Sinnbildern für das neue Jahrhundert, für den Lifestyle der Turbo-Industrialisierung. Die sah er im Sport. Alexa Oona Schulz lässt in ihrem Film Historiker und Kunstwissenschaftler zu Wort kommen. Mit Thesen, dass die Glorifizierung gesunder, austrainierter Körper, der "burschikose" Frauentyp, Reaktionen auf den Weltkrieg waren. Daher stellte man ausgesprochene Sieger in der Optik von Medaillen und Briefmarken aus. Auch die übersteigerte Gewinner-Ästhetik der Nazis war, nur rein ästhetisch betrachtet, ein internationales Phänomen.

    "Dieser neue, muskulöse, heroische Athlet taucht nun überall auf, ganz gleich, ob in Italien, in Deutschland oder in den Vereinigten Staaten."

    Die Olympischen Kunstwettbewerbe waren aber dann doch keine Erfolgsgeschichte. Schon 1912 in Stockholm sahen sich schwedische Künstler außerstande, ihre Leistungen von einem Sport-Komitee beurteilen zu lassen, bis Coubertin drohte:

    "Das gibt Krieg! Schließlich ein Telegramm aus Schweden: Wir akzeptieren."

    Aber von Anfang an mied die Avantgarde diese Wettbewerbe. Sucht man im Internet nach bekannten Künstlernamen im Teilnehmerfeld, wird man nur sporadisch fündig. Hier mal George Grosz, Max Liebermann, dort Igor Strawinsky in der Jury. Symptomatisch für die Resonanz beim Publikum: Die Siegerehrung der Künstler 1936 in Berlin fand zwar im Stadion statt, eine Stunde nach der für Jesse Owens. Aber da war das Publikum bereits gegangen. Sportwettbewerb und Kunstausstellung, parallele Universen. So wird das auch in London 2012 sein, wo man wieder Kunstwettbewerbe veranstaltet.

    "Als gäbe es inzwischen eine Sehnsucht nach größerer Strahlkraft. Vielleicht genügen die Rekorde nicht mehr, die mit allen Mitteln perfektionierten Athleten, um Menschen zu begeistern."

    ARTE zeigt den Dokumentarfilm "Feuer und Flamme für die Kunst" am 25. Juli 2012.