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Als Musik mobil wurde

Sie ist klein, handlich und machte selbst aufgenommene Musik mobil: die Kassette. Sie revolutionierte den Tonträgermarkt und ermöglichte die fleißige Aufnahme mit Radiorekordern. 1963 wurde die erste Kompaktkassette mit Recorder auf der Funkausstellung vorgestellt.

Von Tobias Barth |
    So klang es vor 50 Jahren: Fanfare der Funkausstellung 1963

    "Berlin auf jeder Welle, Berlin ruft alle Welt, fahr hin dann biste helle, da wird's Neueste ausgestellt …"

    Das Neueste: Das war damals der Taschen-Recorder 3300 und die dazugehörige Magnetbandkassette. Vorgestellt von der holländischen Firma Philips, gedacht vor allem als Diktiergerät für den Heimgebrauch - auch außerhalb des Heims:

    "Der Recorder verschafft Ihnen die Möglichkeit, auch außerhalb des Steckdosenbereiches Aufnahmen zu machen. So können Sie zum Beispiel das pulsierende Leben der Großstadt oder auch die Laute der freien Natur einfangen."

    Die Kassette ist klein, handlich und macht selbst aufgenommene Musik mobil. Bald schon revolutioniert diese Erfindung den Tonträgermarkt.

    "Dass man seine eigene Musik hatte, die man hören konnte, wenn man wollte, das war gerade in der Pubertät ein Befreiungsschlag, weil man dann wirklich für sich autonom war."

    Erinnert sich Olaf Parusel, Filmkomponist aus Halle an der Saale. Vor allem Jugendliche stellen nun ihre eigenen Tapes zusammen, kopiert von der Schallplatte oder aufgenommen aus dem Radio. In England reagiert die Musikindustrie mit plumpen Plakatkampagnen.

    "Home taping is killing music."

    Schon damals reizt das zur Parodie: "Home sewing is killing fashion" - "Selber nähen vernichtet Mode" - sagen die Kassettenfans und fleißig spult der Radiorekorder. 1968 bringt Philips das Autoradio mit Kassette auf den Markt, und 1979 SONY den Walkman – eine weltweite Erfolgsgeschichte – die selbst den Weg über den Eisernen Vorhang fand:

    "Später mit dem Walkman konnte man sich auch komplett abschotten von der grauen Einöde, so, man hat sich den Kopfhörer aufgesetzt und ist in eine andere Welt geflüchtet."

    In Ostdeutschland machten Kompaktkassetten bestimmte Musik überhaupt erst hörbar – hatte einer eine Westplatte, dann wurde sie zigmal kopiert.

    "Die alternative Szene, die Punk-Szene die tauschte sich über Kassetten aus. Die sind durch die ganze Republik gewandert eigentlich über Kassetten und man hat sich das überspielt. Und wenn einer an einer Stelle mal aus Versehen auf Aufnahme gekommen ist und ein wupp drinne war, dann war das, ob man in Rostock war oder in Erfurt oder in Berlin, überall höret man die gleiche Aufnahme, überall diesen Wuuhp, weil sich das alle gegenseitig überspielt haben."

    Das Ende der Kassette: Es kam schleichend. Anfang der 80er-Jahre kommt die CD auf den Markt, Ende der 80er-Jahre erfinden Ingenieure am Frauenhofer-Institut in Erlangen das MP3-Format für den Computer. Aus den reichen Ländern des Nordens ist die Kassette fast verschwunden, in der ärmeren Hälfte der Welt aber gibt es sie noch.