Dirk Müller: Fangen wir mit dem französischen Präsidenten an:
O-Ton Francois Hollande: "Unser Ziel ist einzig die Erhaltung der Arbeitsplätze. Alles muss unternommen werden, damit die Unternehmen diese Priorität einhalten: die Erhaltung der Arbeitsplätze."
Müller: Der französische Präsident Francois Hollande gestern in Paris. Er steht zwischen Cowboys und Teutonen, der Kampf um die Übernahme des französischen Alstom-Konzerns. Sticht General Electric den deutschen Siemens-Konzern aus?
93.000 Mitarbeiter, 20 Milliarden Euro Umsatz – der französische Energie- und Transportkonzern Alstom. Aber seit Jahren schwer angeschlagen, immer wieder Verluste, immer wieder Konkurrenten, die besser sind. Zwei davon wollen es jetzt haben, das Unternehmen, das unter dem Schutz des französischen Präsidenten steht, politisch jedenfalls, weil die zwei Ausländer sind: einmal Amerikaner, der US-Gigant General Electric, und zum anderen ein deutscher Konzern, nämlich der Münchner Siemens-Konzern.
Beide Multis wollen vor allem die Energie von Alstom, sind nahezu bereit, alles dafür zu geben. Also müssen beide versuchen, auch Francois Hollande zu überzeugen: mit guten Argumenten und mit vielen Milliarden Euro oder auch Milliarden Dollar. Jetzt stehen die Zeichen offenbar auf General Electric. Das hören wir aus Paris.
Pro General Electric, das ist im Moment die Lesart. Darüber sprechen wir nun mit Professor Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts. Guten Morgen!
Thomas Straubhaar: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Straubhaar, Franzosen und Amerikaner, seit wann passen die zusammen?
Straubhaar: Das ist eine berechtigte Frage, die letztlich nur betriebswirtschaftlich beantwortet werden kann. Volkswirtschaftlich, denke ich, ist es eigentlich unwichtig, wer jetzt mit wem zusammengeht, weil letztlich hier ja nicht die Nationalität eine Rolle spielt, sondern die Qualität, die Frage, ob das betriebswirtschaftlich Sinn macht, ob man ein Geschäftsmodell hat, ob das profitabel sein wird, ob es nachhaltig ist und ob es letztlich auch nachhaltig Arbeitsplätze wird sichern können.
"Bei Fusion spielt Qualität eine Rolle - nicht die Nationalität"
Müller: Spielen Unternehmenskulturen keine Rolle mehr?
Straubhaar: Selbstverständlich spielen in jeder Fusion diese Fragen der Unternehmenskultur eine ganz herausragende Rolle, und es zeigt sich ja auch immer und immer wieder, wie sehr gerade diese Fragen unterschätzt werden. Deshalb sind Fusionen sehr, sehr oft eine lukrative Angelegenheit für die Finanzindustrie, die diese Fusionen begleiten kann, und weniger für die Aktionäre, die in aller Regel da durchaus ihren Preis bezahlen müssen, indem der Aktienwert in der Summe nicht steigt, sondern lange Zeit auch fallen kann.
Müller: Wenn Sie sagen, Herr Straubhaar, das ist nach wie vor ein ganz wichtiges Kriterium, ist das so, dass hier beide zueinander finden könnten, dass das kompatibel ist?
Straubhaar: Das kann ich sehr, sehr schlecht beurteilen. Aber ich denke, aus deutscher Sicht ist vor allem wichtig, dass hier das nicht eine Frage von Politik ist, sondern letztlich eine Frage ist, die von den Vorständen, vom Management der Siemens AG zu beantworten ist, weil die Ironie der Geschichte ist ja gerade, dass wir sehen, dass ein Einmischen der Politik in solche Fragen sich negativ auswirken kann, weil Frankreich das ja historisch immer gemacht hat und gerade Frankreich industriell dadurch ausgeblutet ist und ganz offenbar nicht über Firmen verfügt, die international wettbewerbsfähig sind, was ja das Beispiel Alstom einmal mehr belegt.
Müller: Und Siemens braucht sich da im Grunde keine großen Hoffnungen mehr zu machen? Siemens ist raus?
Straubhaar: Das kann ich nicht beurteilen. Aber auf jeden Fall ist es natürlich auch spannend, als Außenstehender zu sehen, dass gerade durch das Einsteigen eines weiteren Konkurrenten natürlich auch der Preis sicher für General Electric nach oben getrieben werden wird und dass das auch in einem Übernahmepoker durchaus attraktiv sein kann, plötzlich einen weiteren Interessenten vorweisen zu können, und deshalb muss man auch sehr, sehr aufpassen, dass man da nicht als Medien oder als Außenstehender eine Sache, die letztlich betriebswirtschaftlich zu lösen ist, überbewertet. Hier geht es um betriebswirtschaftliche Interessen zu allererst und um nichts anderes letztlich.
"Es geht zu allererst um betriebswirtschaftliche Interessen"
Müller: Herr Straubhaar, als wir gestern miteinander telefoniert haben, die Frage an Sie gestellt haben, haben Sie morgen früh um 8.10 Uhr für uns hier im Deutschlandfunk Zeit, haben Sie gleich gesagt, klar, kein Problem, wir reden über Alstom. Unsere Verabredung ursprünglich sollte sich drehen einerseits um Unternehmenskulturen, aber vor allem um die vermeintliche Dimension einer solchen Fusion.
Wir haben schon große Fusionen gehabt, Daimler und Chrysler, das ist nicht so gut gegangen. Wir haben EADS und BAE zum Beispiel gehabt, was nicht funktioniert hat. Wir haben über die Mitarbeiter gesprochen: Siemens 360.000 Mitarbeiter, General Electric, die geben an, die Amerikaner, mehr als 300.000, es sind vermutlich viel, viel mehr. Alstom 90.000. Das sind Riesen-Konglomerate. Sind die noch zu managen?
Straubhaar: Das ist eine sehr gute Frage, und gerade deshalb ist es umso wichtiger, immer auch wieder darauf hinzuweisen, dass sich die Politik letztlich, auch wenn das gigantische Zahlen sind, die Sie eben genannt haben, nicht nur um die Großen kümmern muss, sondern dass es gerade die eigentliche Stärke Deutschlands ist, dass wir einen breiten, gut aufgestellten Mittelstand haben, der tagtäglich als unsichtbare Hand im Alltag für Millionen von Jobs sorgt, die in der Summe weit über dem liegen, was die Großen in Deutschland zu tun in der Lage sind.
Deshalb darf sich Politik nicht um diese Großen alleine kümmern, auch wenn das gigantische Zahlen sind, die Sie genannt haben, sondern der Mittelstand, so plakativ das klingen mag, bleibt das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, und das ist der Unterschied auch zu Frankreich und das zeigt sich in dieser Diskussion ganz besonders gut.
Müller: Und dennoch hätte es ja auch, Herr Straubhaar, potenziell Siemens werden können. Dann hätten wir 360.000 plus 90.000, ich sage mal, 450.000 Mitarbeiter. Kann ein Manager mit all seinen Mitarbeitern, mit der gesamten Führungsspitze, die zur Verfügung steht, kann er das leisten, kann er das unter Kontrolle haben?
Straubhaar: Ich würde das auf gar keinen Fall ausschließen. Das ist letztlich ganz sicher eine Frage von Organisation, von Führung, von der Struktur, vom Geschäftsmodell einer Unternehmung. Aber ganz sicher ist natürlich, dass erst recht, je größer diese Konglomerate werden, eher dann die Politik geneigt ist, einzugreifen, und eher das tut, was politisch geboten ist, als das, was betriebswirtschaftlich sinnvoll ist. Gerade deswegen, denke ich, sind wir gut aufgestellt, dass wir auch in der Breite einen Mittelstand haben und diese großen Konglomerate, die in der Tat historisch ja auch immer wieder zerfallen sind, nicht alleine in den Vordergrund rücken.
"Erpressungspotenzial gegenüber Politik und Steuerzahler"
Müller: Sind diese Konglomerate, die großen Multis andererseits so mächtig, dass sie Politik maßgeblich mitbestimmen?
Straubhaar: Ja absolut! Ich meine, die Zahlen haben Sie ja genannt, und dass da auch ein Erpressungspotenzial gegenüber der Politik, gegenüber dem Steuerzahler aufgebaut wird, ist ja selbstredend, weil schlagartig auf einen einzigen Fall geht es um Hunderttausende von Jobs, und dass dann da die Politik weiche Knie kriegen kann und geneigt ist, die sichtbare Hand spielen zu lassen und einzugreifen und zu handeln und zu tun, gegenüber einer unsichtbaren Hand, die zwar viel wichtiger und wirkungsvoller ist, aber die man nicht sieht, das ist irgendwo ziemlich selbstverständlich.
Müller: Die Arbeiter, die Angestellten dieser Konzerne, jetzt hier Alstom und General Electric oder Siemens in dem anderen Falle, die müssen sich dann auch warm anziehen. Ist das immer eine Konsequenz, dass es Arbeitsplatzverluste gibt bei diesen Fusionen?
Straubhaar: Das, denke ich, ist im Hintergrund natürlich ein ganz, ganz wichtiger Faktor, weil letztlich ja ganz offensichtlich eine Firma hier einen starken Partner sucht, die selber nicht international wettbewerbsfähig ist, und wenn es dann zu einer Fusion kommt, dann ist völlig klar, gibt es Doppelspurigkeiten, es gibt Doppelbelegungen, es gibt Funktionen, die jetzt noch in zwei verschiedenen Firmen erfolgen und die irgendwo zentralisiert oder neu strukturiert werden, und dass das in der Regel zu einem Abbau von Arbeitsplätzen mindestens in der ersten Phase führt, würde ich so erwarten.
Müller: Sie sind Volkswirt, Sie sind Ökonom, Sie kennen viele Unternehmen, Sie kennen auch die Volkswirtschaften, also auch die größeren Bedingungen, die Rahmenbedingungen und verfolgen viele Dinge, soweit das möglich ist, weltweit im Detail. Jetzt haben wir ja auch über Siemens geredet, immer noch Teil dieses Bieterverfahrens, wenn auch jetzt mit schlechten Karten, wie wir heute Morgen aus Paris gehört haben.
"Fusion eher kein Mehrwert für Aktionäre, Eigentümer und Beschäftigte"
Aber Siemens will zugleich einerseits Alstom kaufen, übernehmen die Sparte, zugleich 15.000 Arbeitsplätze vermutlich selbst abbauen, selbst alles umstrukturieren, weil es nicht vernünftig in diesem Konzern im Moment oder effizient genug funktioniert, und gleichzeitig die Arme ausgreifen in Richtung Frankreich. Geht das, das miteinander zu kombinieren?
Straubhaar: Das ist eine Frage, die ich mir natürlich auch stelle, weil eigentlich ja in diesen Tagen Siemens auch hätte bekannt geben wollen, wie es neu aufgestellt sein will und in welcher Art und Weise es in Zukunft unterwegs sein möchte, und da frage ich mich natürlich auch, ob in einer solchen Phase, wo man intern sich gerade umstrukturiert, eine solch gewaltige Übernahme oder eine Fusion nicht dann auch die Kraft des Managements und der Organisationsstruktur überfordert, die ja gerade auf eine andere Perspektive ausgerichtet war.
Da, denke ich, ist es in der Tat sicher mit einem großen Fragezeichen zu versehen, ob da auch ein Mehrwert für die Aktionäre, für die Eigentümer und auch für die Beschäftigten geboten werden wird.
Müller: Jetzt haben wir, Herr Straubhaar, ganz viele Fragezeichen zumindest gesetzt. Sie haben das auch getan. Ganz viele Gruppen, die Probleme haben werden oder haben könnten, die ins Hintertreffen geraten könnten. Wer profitiert denn jetzt nun von dieser Fusion?
Straubhaar: Ganz sicher ist das ein Thema, was in Frankreich von fundamentaler Bedeutung ist. Alstom ist eine der letzten Industriebastionen Frankreichs und Frankreich sieht natürlich mit Schrecken, wie es gerade im Bereich der industriellen Produktion und Fertigung und Herstellung von Gütern ins Hintertreffen gerät, und kann über die Grenze in Deutschland nachverfolgen, wie wichtig es ist, die Industrie als Kern zu haben, um den herum dann viele Dienstleistungen plötzlich auch sehr attraktiv werden.
Deshalb, denke ich, ist es vor allem ein Thema, was Frankreich bewegt, viel, viel weniger Deutschland, und von daher gesehen sollten wir in Deutschland das als Entscheidung, betriebswirtschaftliche Entscheidung von Siemens interpretieren und nichts, was von politischer, volkswirtschaftlicher Bedeutung ist, wo es irgendwo einen Handlungsbedarf für die Politik geben würde.
Müller: Professor Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch, auf Wiederhören.
Straubhaar: Gern geschehen.
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