Montag, 06. Mai 2024

Archiv


Alt, grau, bunt

Ist Angst vor dem Alter berechtigt? Durchaus, meinte der Entwicklungspsychologe Paul Baltes mit Blick auf die Hochbetagten, die über 80-Jährigen. Das gelte aber nicht für das junge Alter der Menschen zwischen 60 und 80. Dennoch - die Sichtweise auf Herbst und Winter des Lebens hängt auch stark vom jeweiligen Naturell ab. Wie die Autoren Hellmuth Karasek, der Melancholiker, und Henning Scherf, der Optimist, belegen. Renate Faerber-Husemann rezensiert ihre Bücher.

Von Renate Faerber-Husemann | 11.12.2006
    Das Thema "Alter" kommt in Mode. Schriftsteller beschreiben die nachlassenden körperlichen Kräfte, rüstige Rentner suchen nach neuen Aufgaben, Bevölkerungswissenschaftler warnen vor der "demografischen Katastrophe". Die Gerontologin und Psychologin Ursula Lehr, Geburtsjahr 1930, sagt:

    "Ich ärgere mich immer, wenn man das Wort Überalterung hört. Wo ist die Norm? Wir haben nicht zu viele Alte, sondern wir haben zu wenig Junge."

    Alter beschäftigt auch die Literatur. Schriftsteller von Rang schreiben auf, was mit ihnen oder ihren Romanfiguren passiert, wenn die Knochen schmerzen, wenn der Kardiologe die Stirn runzelt, wenn das Gedächtnis nachlässt. Mal wütend, mal selbstironisch, mal resigniert und manchmal auch altersweise nach einer neuen Balance zwischen jungem Kopf und altem Körper suchend, setzen sich die über 70-Jährigen mit dem Winter ihres Lebens auseinander. Nicht alle so furios wie Philip Roth im "Jedermann", dessen ohnmächtig-zornige Feststellung, das Alter sei kein Kampf sondern ein Massaker, es schon zum geflügelten Wort gebracht hat. Hellmuth Karasek, 72 Jahre alt, hat dennoch den tapferen Versuch gemacht, dem Alter zumindest schreibend auch komische Seiten abzutrotzen. Sein Buch "Süßer Vogel Jugend oder Der Abend wirft längere Schatten" ist ein alles in allem vergnügliches, manchmal sogar tröstendes Buch. Wenn auch manches nervt, etwa die platten Witze nach der Melodie "kommt ein Mann zum Arzt...". Aber die Lesefreude überwiegt, gerade weil der vielseitig Gebildete recht schonungslos mit sich umspringt. Seine Prosa funkelt vor allem dann, wenn er sich selbst böse spottend bei der Bewältigung des Alltags zuschaut. Was tun, wenn unterwegs das Schuhband sich löst?

    "Ich gehe weiter, spähe nach einem Mäuerchen, einem Zaun, Gitter, Haus, suche am Straßenrand ein Auto mit geeigneter Stoßstange, ein Gebäude mit geeignetem Treppeneingang. Ich will mich nicht vornüberbeugen, mit verzerrtem Gesicht, in das feuerrot das Blut schießt. Ich will auch keine Kniebeuge versuchen....Ich könnte mich also zum Schuhzubinden bücken. Leicht. Aber wie würde ich dabei ächzen, welche Figur abgeben, wie würde ich aussehen, wenn mir beim Aufrichten jemand in das vor Anstrengung verzerrte Gesicht blicken würde. Lieber nicht."

    Hellmuth Karasek breitet seine umfassende Bildung vor uns aus, zitiert Homer, Jonathan Swift und deutsche Märchen, Wilhelm Busch und Bertolt Brecht, Karl Valentin , Helmut Qualtinger und immer wieder Nestroy. Das alles ist amüsant zu lesen, auch wenn der Feuilletonist nicht verschweigt, dass viele Gedanken sich zu den druckreifen Sätzen geformt haben, weil altersbedingte Schlaflosigkeit ihn ins Grübeln brachte. Auch wenn Karaseks Buch häufig sarkastisch-heiter ist, so lügt er doch sich und den Lesern nichts vor. Es gibt nichts Positives am Altern, außer dass es alternativlos ist, sagt er. Nicht einmal der Trost früherer Jahre bleibt, nämlich die begründete Hoffnung auf ein materiell abgesichertes Alter nach den Jahrzehnten des Existenzkampfes. Wer wird den Verteilungskampf gewinnen, fragt sich beklommen der Vater von vier Kindern? Er fürchtet, dass Politiker- den nächsten Wahltag immer im Blick - es nicht wagen werden, sich gegen die Mehrheit der Älteren auf die Seite der Jungen zu schlagen.

    "Alle Wähler denken: Es muss so bleiben wie es ist, was man auch Besitzstand wahren nennt. Aber sie denken auch: Es muss sich alles ändern! Und dann denken sie weiter: Aber möglichst nicht, solange ich noch lebe! Und da wir immer älter und wir Älteren immer mehr werden, denken so immer mehr und sagen das immer weniger laut. Da man aber beim Wählen nichts sagt, bekommen die, die gerade regieren, vor den Alten immer mehr Angst."

    Und die Alten immer mehr Angst vor den Jungen, denen sie zur Last werden, die für sie sorgen sollen. So endet Hellmuth Karaseks tapferes Buch über das Altern und den Tod nicht so heiter wie es begonnen hat:

    "Es ist das Alter selbst, das zur puren Last wird, wenn es lange währt. Und als Signal für das Skandalon der greisen Jahre steht die Angst als letzte Perspektive des Alterns - die Angst, zum hilflosen Säugling zu werden, den man ausrauben kann, um den man sich nicht mehr sorgen muss. Das ähnelt der Panik in früheren Zeiten, als man befürchtete, scheintot begraben zu werden."

    Ein optimistisches Zeichen setzt dagegen der langjährige Bremer Bürgermeister Henning Scherf. Sein Buch "Grau ist bunt - Was im Alter möglich ist" (Co-Autorin Uta von Schrenk) darf man als ein optimistisches Trostbuch lesen. Aber: der Mann ist erst 68 Jahre alt, er ist mit 67 Jahren freiwillig aus einem vom Terminkalender diktierten Leben ausgestiegen und hat immer noch reichlich zu tun. Er hält Vorträge, ist ein beliebter Talkshow-Gast und wird auf allen Kanälen gefeiert als Bewohner von Deutschlands berühmtester Wohngemeinschaft. Ein erfülltes Leben, eine gute Gesundheit, keine existenziellen Sorgen und ein Terminkalender, den er selbstbestimmt füllt - für die Altersforscherin Ursula Lehr ist das wohl die ideale Altersprophylaxe. Denn sie weiß aus ihren zahlreichen Untersuchungen, dass es die plötzlich fehlenden klaren Strukturen während des immer länger werdenden Lebens sind, die eben auch das Altwerden so schwierig machen. Genauer, aus wirtschaftlichen Gründen wird aufs Altenteil geschickt, wer dort noch längst nicht hingehört.

    "Schauen Sie, wir haben eine sonderbare Entwicklung. Bei uns zählt man bis zu 35 Jahren zur Jugend, in allen Parteien sind Sie da Jugendgruppe. Ab 45 sind Sie älterer Arbeitnehmer, ab 50 sind Sie zu alt um einen neuen Job zu finden und ab 55 greift die Seniorenwirtschaft nach Ihnen. Das kann doch nicht der Sinn unseres Lebens sein. Wir sind eine Gesellschaft ohne Lebensmitte. Vom Bafög in die Rente, könnte man beinahe etwas übertrieben sagen."

    Ein bewusst erlebtes Alter voller Neugier auf Neues, zu dem Henning Scherf seine Leser auffordert, ist ohne ein erfülltes Leben vor der Rente kaum vorstellbar. Wenn er fast trotzig über sich und seine Frau schreibt, sie hätten zwar ihren Job aber nicht ihr Leben an den Nagel gehängt, dann klingt das so sympathisch wie privilegiert. Anders wird das aussehen bei jenen, die erschöpft von Existenzkämpfen, gebeutelt von Arbeitslosigkeit und Angst um den Job auf das Alter zusteuern. Viele dieser Menschen hätten gerne länger gearbeitet, doch längst vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze fühlen sie sich an den Rand gedrängt, gemobbt und werfen angesichts des immer noch grassierenden Jugendwahns in der Wirtschaft resigniert das Handtuch. Diese wie die Forschung sie nennt "jungen Alten" haben bei oft enttäuschenden Rentenbezügen im Durchschnitt noch 23 bis 25 Jahre Leben vor sich haben, auf die sie nicht vorbereitet sind. Der Pragmatiker Henning Scherf plädiert in seinem Buch deshalb wie so viele Wissenschaftler und Politiker für ein Ende der starren Altersgrenzen, nicht nur wegen der leeren Rentenkassen und bald fehlenden Fachkräfte, sondern auch als Rezept gegen leere Tage. Das muss dann keine 40-Stunden-Woche mehr sein, das kann auch eine den ganzen Menschen fordernde ehrenamtliche Tätigkeit sein, wenn das Leben finanziell gesichert ist. Ursula Lehr:

    "Eine Berufstätigkeit, die weder unterfordert noch überfordert, ist die beste Gerontoprophylaxe. Eine Berufstätigkeit, die in Grenzen ist, hilft dabei, länger jung zu bleiben. Allerdings, es muss Arbeit da sein."

    Henning Scherf setzt sich nicht nur mit den praktischen Fragen wie Beruf, Rente, Wohnen im Alter auseinander. Sein Thema ist die Vereinsamung im Alter und die Entwicklung neuer Lebensformen. Er hält es für möglich, dass künftig wieder mehrere Generationen zusammen ziehen und sich im Alltag helfen. Das muss nicht die Familie sein - dagegen spricht häufig sogar vieles, wie er aus eigener Erfahrung schreibt. Scherf schweben Modelle vor, wie es sie schon gibt in einigen Städten. In Bremen beispielsweise mischt ein Bauunternehmer betuchte Ältere mit jungen Familien, die ihre Wohnung über Kredit finanzieren. Schon während der Planungsphase sprechen alle künftigen Eigentümer mit. Bisher scheinen solche Mehrgenerationenhäuser gut zu funktionieren. Ein Modell von vielen, das vielleicht einen Umzug in ein Alten- oder Pflegeheim ersparen kann.

    "Kommt allerdings ein hoher Grad an Pflegebedürftigkeit, dann bleibt nichts anderes als das Pflegeheim". "

    Dies sagt nüchtern Ursula Lehr, die als Wissenschaftlerin zahlreiche Modelle untersucht hat, die helfen können, auch im hohen Alter möglichst selbstbestimmt zu leben. Sie rät dazu, sich schon in jungen Jahren mit dem Thema Alter zu beschäftigen, zum Beispiel dann, wenn junge Paare ihren Traum vom Eigenheim verwirklichen:

    " "Reihenhäuschen, Einfamilienhäuschen mit zwei und drei Stockwerken, schmalem Grund, enger Wendeltreppe und auch in der Einrichtung entsprechend, das war nicht so weit gedacht, dass man da auch 70, 80, 90 Jahre alt werden kann. Also in diesem Punkt hat man schon sehr früh anzufangen."

    Renate Faerber-Husemann besprach Hellmuth Karasek: Süßer Vogel Jugend oder Der Abend wirft längere Schatten. Hoffmann und Campe Verlag Hamburg 2006, 272 S., 18,95 Euro und Henning Scherf: Grau ist bunt. Was im Alter möglich ist. Herder Verlag Freiburg 2006, 192 S., 19,90 Euro