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Alt, Marode, Unpünktlich

Es gibt viele Gründe, warum in Italien die Menschen trotz langer Staus und teurem Benzin lieber mit dem eigenen Auto als mit der Bahn fahren: zu unpünktlich, zu marode, zu schmutzig, das sind die häufigsten Argumente. Besonders auf Sizilien ist die Technik der Bahn veraltet. Karl Hoffmann berichtet.

Von Karl Hoffmann |
    Es ist wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten, aber auf vielen Provinzbahnhöfen in Italien immer noch in Betrieb: eine Klingel. Sie kündigt den nahenden Zug an. Der türkis und weiß gestrichene Triebwagenzug hält in der kleinen Station von Terrasini, westlich von Palermo. Es gibt nur ein einziges Gleis, an dem gerade repariert wird, mit Geldern auch aus Brüssel. Der Triebwagen ist überraschend modern, zumindest für sizilianische Verhältnisse.

    "Ein Kinderspiel ist dieser Zug, man fährt ihn mit diesen beiden Reglern. Einer steuert das Tempo automatisch, der andere manuell. Die Automatik reagiert auf die vorher eingegebene Höchstgeschwindigkeit. Es ist ein ganz neues Modell, wird von uns praktisch jetzt getestet. Allerdings muss man sagen, dass der Dieselmotor noch Probleme macht. Meiner Meinung nach sind diese Triebwagen nur für Kurzstrecken geeignet."

    Luigi Iacona zählt noch ein paar andere Mängel auf: die gefährlichen Treppchen im Fahrgastraum, die oft defekten Toilettentüren mit unangenehmen Folgen. Ist das Klo kaputt, darf der ganze Triebwagen nicht verkehren. Aber Luigi Iacona will nicht klagen. Bisher hat er über 40 Jahre alte Dieselloks auf wackeligen Gleisen durch Sizilien kutschiert, da macht so ein neues Modell richtig Spaß, so kurz vor dem Ruhestand. In zwei Jahren, wenn er 58 wird, hört der Macchinista Luigi auf.

    Lokomotivführer ist für viele Jungen ein Kindertraum. Aber nach so vielen Jahren auf dem Führerstand hat man von diesem Beruf irgendwann mal auch genug. Und der Verdienst?

    "Pro Monat, und wenn ich Schichtdienst mache, komme ich auf 1700, 1800, maximal 2100 Euro, je nachdem, welche Schichten ich fahre. Das ist so der Durchschnitt."

    Luigi sieht schmuck aus in seiner dunkelgrünen Uniformjacke. Er hat kurzes, graumeliertes Haar und einen gepflegten Schnauzbart. Erst ist klein und schlank, seine gepflegten Hände scheinen die Hebel und Knöpfe auf dem Armaturenbrett eher zu streicheln. Und dann verrät er, dass er eigentlich etwas ganz anderes im Leben vorgehabt hatte.

    "Ausgerechnet Lokführer, wo ich doch die Kunstakademie besucht und Malerei studiert habe. Ich habe sogar eine zeitlang als Aushilfe in Schulen unterrichtet. Aber leider gab es keine richtige Stelle. Und dann habe ich mich eben bei der Bahn beworben. Und so bin ich heute hier auf dem Führerstand."

    Die mangelnde wirtschaftliche Entwicklung im Süden zwingt nicht nur sich bei der Berufswahl mit den gegeben Verhältnissen zu arrangieren, sie ist auch der Grund für den miserablen Zustand der Bahn im Süden Italiens. Hier wurden alle ausrangierten Loks und Waggons aus dem Norden noch jahrzehntelang eingesetzt. Während sie Milliarden für teuere Autobahnen ausgaben, erklärten die Politiker die Bahn zum Stiefkind. Mit dem Auto legt man die Strecke Messina-Palermo in eineinhalb Stunden zurück, auf der großen teils eingleisigen Bahnstrecke braucht man vier. Luigi Iacona geht gerne in Rente, bevor auch seine Arbeit den letzten Charme des Jungentraumes verloren hat:

    "Nun, sie sparen immer mehr mit dem Personal. Früher waren wir zu zweit auf dem Führerstand, heute sind wir alleine, und das, obwohl die neuen Sicherheitsnormen noch gar nicht feststehen. Dafür sind die neuen Züge jetzt mit Elektronik und Computer ausgestattet. Und daran müssten wir uns gewöhnen. Allerdings ist das für jemanden wie mich nicht so leicht, der über 30 Jahre lang auf den alten Loks gefahren ist, mich plötzlich auf Computer umstellen."


    Programmtipp: Samstag, 28. April, 11.05 bis 12.00 Uhr im Deutschlandfunk, "Gesichter Europas": "Europäische Lebenswelten: Einsam an der Spitze - Lokführer in Europa"