Mich hat interessiert, dass ich in dieser alten Sage einen doch sehr gegenwärtigen Stoff entdeckt habe. Dass der Stoff so vorbelastet ist, hat mich im Gegenteil, sehr motiviert daran zu arbeiten, nämlich an dem Ursprünglichen, das durch die Rezeptionsgeschichte immer wieder verschüttet wird. Die Rezeption der Nibelungen ist ja fast bekannter als der Stoff selber. Der Reflex aller Regisseure und Bearbeiter, immer wieder auf den Nationalsozialismus einzugehen und sich gewissermaßen dafür zu rechtfertigen, dass sie diesen Stoff behandeln, hat mich gestört, weil die Geschichte an sich lohnenswert ist zu erzählen. Ich habe diesen Reflex vermieden, indem ich diesen teil der Rezeption gar nicht beachtet habe, was meiner Ansicht nach eine viel größere Strafe für die Nationalsozialisten ist: wenn man sie gar nicht mehr bedenkt.
Sie haben die "Nibelungen" ursprünglich für die Wormser Festspiele, also für eine weite Freilichtbühne geschrieben. Das Radio ist ein ganz anderes Medium. Man hört es in seinem Zimmer oder im Auto und ist dabei womöglich allein. Außerdem sieht man nichts. Was hat sich – nach Ihrem Empfinden – an dem Stück geändert durch die Hörspieladaption?
Das ist ein richtiges Kammerspiel geworden. Das hat der Leonhard Koppelmann ganz großartig hinbekommen. Ich habe das Stück auf einer Zugfahrt gehört und habe mich so richtig hineinträumen können. Ich fand es sehr klug gemacht, wie er die Regieanweisungen für die Bühne im Hörspiel umgesetzt hat. Er hat das, was man im Theater nur sehen kann, aufgelöst in der Stimme des Sportreporters Koch, den ich aus den Abstiegsduellen des 1.FC Nürnberg kenne. Und so hat sich vor meinem geistigen Auge der Abstiegskampf des 1. FC Nürnberg vermischt mit dem Untergang der Nibelungen.
Ihr Theatertext bricht die Feierlichkeit der alten Sprache durch zeitgenössische Lockerheit. Siegfried zum Beispiel klingt wie der Anführer einer Großstadtgang. Leonhard Koppelmann hat ihre Vorlage zusätzlich gebrochen. Er montiert in seiner Hörspielbearbeitung Zitate aus dem Nazifunk, Reportagen, zeitgenössische Geräusche in das Stück. Empfinden Sie das als eine Bereicherung?
Ja, es liegt ja oft ein Klangteppich drunter. Hunde bellen plötzlich in der Nacht in einer Szene zwischen Kriemhild und Siegfried, Lärchen rufen, Herr Koch kommt mit seiner Reportage und dann hört man plötzlich wieder Flugzeuge fliegen, als ob es einen Bombenangriff gäbe. Das ist sehr assoziativ. Das finde ich sehr schön.
Was ist für Sie der Reiz an diesen archaischen Figuren?
Ich habe gemerkt, dass ich mit dem Stoff der Nibelungen auf relativ spektakuläre Weise Themen meiner Generation erzählen kann. Dieser Staat der Burgunder - Gunter regiert, Hagen berät – das ist ein Helmut-Kohl-Staat für mich. Reformstau liegt über Burgund. Giselher und Kriemhild sind die Opponierenden. Sie wollen diesen Staat ändern, wissen aber gar nicht wie und es geht ihnen eigentlich ja auch gut. Sie opponieren innerhalb einer satten Struktur. Jung –alt, das war ein Thema, das mich interessiert hat. Dann die fatalistische, mechanische Rachewut der Kriemhild: Ich habe mal länger in Israel recherchiert: Was sind Selbstmordattentäter? Was treibt Fundamentalisten in diesen Wahn? Das sind ja Themen, die gar nicht weit weg liegen, in dem Stück.
Sie sind nach einem Studium der Theaterwissenschaft zunächst Journalist geworden und haben dann angefangen, Stücke zu schreiben. Wie kommt man von der Reportage zum Drama?
Die Wege zum Drama sind ja nie so vorgezeichnet. Aber, was mich an Reportagen interessiert hat, war, mich in Menschenleben hineinzuversetzen und das hat ja viel mit dem Schreiben über Menschen als dramatische Figuren zu tun.
Könnten Sie sich vorstellen auch einmal ein Originalhörspiel zu schreiben?
Ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Ich finde das eine sehr interessante Form und habe jetzt zum ersten Mal mitbekommen, wie ein Stoff von mir im Radio umgesetzt wird. Und ich war ob der Phantasie des Regisseurs und der wunderbaren Schauspieler sehr, sehr begeistert.
Das Stück "Nibelungen" von Moritz Rinke ist am Sonntag, den 20. Juli auf NDRinfo zu hören. Im Herbst wird es im Hörverlag auf CD erscheinen.