Märkte und Plätze am Rande von Kabul sind gute Stimmungsbarometer. Das gilt vor allem für den Treffpunkt, an dem die Taxis Richtung Süden warten; in die unruhige Provinz Wardak und weiter Richtung Kandahar. Wer Fragen stellt, stößt wie in Afghanistan die Regel, auch hier auf freundliche und offene Gesichter. Ausländer sind gern gesehen. Im Vergleich zum Wahljahr 2005 scheint dennoch etwas anders: Viele sehen in der ISAF, der internationalen Afghanistan-Schutztruppe, keine Freunde oder Aufbauhelfer mehr.
Einer der Fahrer der hier Zigaretten rauchend auf Kunden wartet, hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg:
"Es ist heute das Recht und die Pflicht jedes Afghanen, gegen die ausländischen Truppen zu kämpfen und sie aus unserem Land zu werfen."
"Kein Wunder", meint ein junger Mann, der Englisch spricht und dieses Viertel kennt. Der Taxenplatz in Richtung Wardak sei voll von Aufständischen und ihren Spionen.
Gegen die Taliban beziehungsweise ihre Freunde, die sich schon in der Hauptstadt aufhalten, kann Leutnant Fricaz nichts machen. Er hat den Auftrag, die Straße Richtung Norden zu schützen und im Vorfeld der Wahlen in den Bergen ein paar Wahllokale zu inspizieren. Für die Sicherheit Kabuls und der Gebirgsregion nördlich davon ist die französische Armee zuständig. Fricaz und seine Aufklärungseinheit sollen verhindern, dass die Taliban aus ihren Schlupfwinkeln in den abgelegenen Tälern ausbrechen und Dörfer unter ihre Kontrolle bringen. An der Spitze seiner Kolonne rollt der 24-Jährige im Führungspanzer und späht angespannt aus seinem Ausguck in die Berge.
"Im Augenblick sind wir in der Dessabsebene, 30 Kilometer nordöstlich von Kabul. Östlich von uns liegen die Berge von Koheh Safeh. Unsere Aufgabe ist es, zu verhindern, dass die Aufständischen aus den Bergen runterkommen, wie im vorigen Monat. Manchmal steigen sie nachts in die Ebene herunter und begehen dort Ausschreitungen, legen Straßenbomben oder bedrohen die Familien von Polizisten oder afghanischen Soldaten. Manchmal verteilen sie auch Flugblätter in den Dörfern. Deshalb führen wir auch die ganze Nacht dort unsere Patrouillen durch."
In einem kleinen Dorf treffen Fricaz und seine Patrouille auf eine Stimmung, die zugleich etwas Beruhigendes und etwas Beunruhigendes hat. Die gute Nachricht: Hier gibt es zwar keine Aufständischen. Die schlechte: Das Gros der Einwohner verhält sich den Wahlen gegenüber gleichgültig. Der Leutnant wirkt entnervt.
"Also: Seit zwei Monaten fahren wir die Büros zur Wählererfassung ab und befragen dort die Menschen. Sie wissen nicht einmal, wer sich als Kandidat zu den Präsidentenwahlen aufstellen lässt. Das gibt den Wahlen, gelinde gesagt, eine ziemlich geringe Bedeutung."
"Nicht überraschend", meint der örtliche Polizeichef. Was für die Menschen hier zähle, das sei sowieso nicht die Regierung.
"Unser Dorf hat einen Dorfchef namens Sufi Abderrazak, der früher ein wichtiger Anführer bei den Mudschaheddin war."
Warlords als Säulen der Stabilität. Dieser Struktur versucht die Obama-Regierung, mit einem neuen Konzept Rechnung zu tragen. Unnachgiebige Aufständische noch härter bekämpfen. Gesprächsbereite Fundamentalisten einbinden; insbesondere die wetterwendischen Stammeschefs und Provinzmachthaber. So lautet auch Obamas Vorgabe an seine Truppen. Nach deren vermeintlichen Erfolgen im Irak testen amerikanische Militärberater zurzeit die Idee der Stammesmiliz. Colonel Greg Julian, Sprecher der US-Armee in Kabul:
"Aus unserer Erfahrung im Irak gibt es viele Lehren zu ziehen. Einige lassen sich tatsächlich auf Afghanistan übertragen. Zum Beispiel der Aufbau einer einheimischen Schutztruppe. Das heißt: Die Einwohner der Provinzen und Distrikte nehmen selbst die Sicherheit für ihre eigenen Gouverneure und Einrichtungen in die Hand. Das scheint bis jetzt sehr gut zu funktionieren. Das Programm wird im Augenblick auf immer neue Distrikte in der Provinz Wardak ausgedehnt. Wir hoffen, in Zukunft dieses System auf ganz Afghanistan ausweiten zu können."
Vorbei die Zeit, als die Idee des Nation Building, des Aufbaus eines Rechtsstaats, ganz oben auf der Tagesordnung stand. Die bestehenden Machtstrukturen nutzen, Stabilität um jeden Preis herstellen, das ist nicht nur die Devise der Militärs. In der afghanischen Politik hat sich ein ungeschminkter Nihilismus ausgebreitet.
Um im Amt zu bleiben, schmiedet Präsident Karzai Wahlbündnisse der sonderbarsten Art mit Warlords, Kriegsverbrechern und Erzfundamentalisten; zum Beispiel mit der Hizb Islami, die alle diese Aspekte in sich vereint. Die Partei des Paschtunenführers Hekmatyar ist mit den Taliban verbündet und kämpft gegen die internationalen Truppen. Ihr Ideal ist die Einführung eines fundamentalistischen Scharia-Staatswesens nach saudischem Vorbild. Ein legaler Ableger der Hizb Islami verfügt seit 2005 sogar über Abgeordnete im Parlament. Offiziell haben sie sich vom Widerständler Hekmatyar getrennt. Lokale Beobachter halten das aber für eine Schutzbehauptung. Vorsitzender der legalen Hizb Islami ist Hekmatyars langjähriger Schatzmeister und politischer Stratege Abdel Hadi Arghandewahl:
"Präsident Karzai hat die meisten dieser Bedingungen akzeptiert. Die Scharia beispielsweise ist für uns ein ausgesprochen wichtiger Punkt. Wenn die afghanische Bevölkerung denkt, dass die Scharia sie von der Korruption erlösen kann und von dem augenblicklichen System, das ja nicht funktioniert, dann sind wir die Ersten, die sich darüber freuen. Außerdem wollen wir endlich Frieden für unsere Gesellschaft. Und zwar schnell. Ich glaube, keine Nation auf der ganzen Welt will sehen, dass die Soldaten anderer Länder in ihrem Land herumlaufen."
Gleichgültigkeit. Politischer Nihilismus. Das prägt die Stimmung auf einem anderen Taxenplatz am Rand Kabuls. Ob die ausländischen Truppen blieben oder abziehen, meint ein Fahrer, sei eigentlich ziemlich einerlei. Dadurch würde sich die Lage weder verschlimmern noch verbessern. Und was ein Kollege aus seiner Alltagserfahrung schildert, gewinnt beinahe symbolische Bedeutung.
"Manchmal kommt uns auf einer engen Straße ein Konvoi ausländischer Militärs entgegen. Dann haben wir nur die Wahl, auf sie zuzufahren und in ihrem Kugelhagel zu sterben oder von der Straße weg zu steuern, in ein möglichst tiefes Loch."
Es scheint als hätten sich die internationale Gemeinschaft und die afghanischen Entscheidungsträger schon für das Loch entschieden - als eine pragmatische Exit-Strategie. Afghanistan: weg von der Route Richtung Rechtsstaat, ab in den Graben, hinein zu Warlords und Fundamentalisten. Im zukünftigen Loch dürfte es dann zwar höchst schmutzig zugehen. Aber wenigstens könnte man das außerhalb Afghanistans nicht sehen.
Einer der Fahrer der hier Zigaretten rauchend auf Kunden wartet, hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg:
"Es ist heute das Recht und die Pflicht jedes Afghanen, gegen die ausländischen Truppen zu kämpfen und sie aus unserem Land zu werfen."
"Kein Wunder", meint ein junger Mann, der Englisch spricht und dieses Viertel kennt. Der Taxenplatz in Richtung Wardak sei voll von Aufständischen und ihren Spionen.
Gegen die Taliban beziehungsweise ihre Freunde, die sich schon in der Hauptstadt aufhalten, kann Leutnant Fricaz nichts machen. Er hat den Auftrag, die Straße Richtung Norden zu schützen und im Vorfeld der Wahlen in den Bergen ein paar Wahllokale zu inspizieren. Für die Sicherheit Kabuls und der Gebirgsregion nördlich davon ist die französische Armee zuständig. Fricaz und seine Aufklärungseinheit sollen verhindern, dass die Taliban aus ihren Schlupfwinkeln in den abgelegenen Tälern ausbrechen und Dörfer unter ihre Kontrolle bringen. An der Spitze seiner Kolonne rollt der 24-Jährige im Führungspanzer und späht angespannt aus seinem Ausguck in die Berge.
"Im Augenblick sind wir in der Dessabsebene, 30 Kilometer nordöstlich von Kabul. Östlich von uns liegen die Berge von Koheh Safeh. Unsere Aufgabe ist es, zu verhindern, dass die Aufständischen aus den Bergen runterkommen, wie im vorigen Monat. Manchmal steigen sie nachts in die Ebene herunter und begehen dort Ausschreitungen, legen Straßenbomben oder bedrohen die Familien von Polizisten oder afghanischen Soldaten. Manchmal verteilen sie auch Flugblätter in den Dörfern. Deshalb führen wir auch die ganze Nacht dort unsere Patrouillen durch."
In einem kleinen Dorf treffen Fricaz und seine Patrouille auf eine Stimmung, die zugleich etwas Beruhigendes und etwas Beunruhigendes hat. Die gute Nachricht: Hier gibt es zwar keine Aufständischen. Die schlechte: Das Gros der Einwohner verhält sich den Wahlen gegenüber gleichgültig. Der Leutnant wirkt entnervt.
"Also: Seit zwei Monaten fahren wir die Büros zur Wählererfassung ab und befragen dort die Menschen. Sie wissen nicht einmal, wer sich als Kandidat zu den Präsidentenwahlen aufstellen lässt. Das gibt den Wahlen, gelinde gesagt, eine ziemlich geringe Bedeutung."
"Nicht überraschend", meint der örtliche Polizeichef. Was für die Menschen hier zähle, das sei sowieso nicht die Regierung.
"Unser Dorf hat einen Dorfchef namens Sufi Abderrazak, der früher ein wichtiger Anführer bei den Mudschaheddin war."
Warlords als Säulen der Stabilität. Dieser Struktur versucht die Obama-Regierung, mit einem neuen Konzept Rechnung zu tragen. Unnachgiebige Aufständische noch härter bekämpfen. Gesprächsbereite Fundamentalisten einbinden; insbesondere die wetterwendischen Stammeschefs und Provinzmachthaber. So lautet auch Obamas Vorgabe an seine Truppen. Nach deren vermeintlichen Erfolgen im Irak testen amerikanische Militärberater zurzeit die Idee der Stammesmiliz. Colonel Greg Julian, Sprecher der US-Armee in Kabul:
"Aus unserer Erfahrung im Irak gibt es viele Lehren zu ziehen. Einige lassen sich tatsächlich auf Afghanistan übertragen. Zum Beispiel der Aufbau einer einheimischen Schutztruppe. Das heißt: Die Einwohner der Provinzen und Distrikte nehmen selbst die Sicherheit für ihre eigenen Gouverneure und Einrichtungen in die Hand. Das scheint bis jetzt sehr gut zu funktionieren. Das Programm wird im Augenblick auf immer neue Distrikte in der Provinz Wardak ausgedehnt. Wir hoffen, in Zukunft dieses System auf ganz Afghanistan ausweiten zu können."
Vorbei die Zeit, als die Idee des Nation Building, des Aufbaus eines Rechtsstaats, ganz oben auf der Tagesordnung stand. Die bestehenden Machtstrukturen nutzen, Stabilität um jeden Preis herstellen, das ist nicht nur die Devise der Militärs. In der afghanischen Politik hat sich ein ungeschminkter Nihilismus ausgebreitet.
Um im Amt zu bleiben, schmiedet Präsident Karzai Wahlbündnisse der sonderbarsten Art mit Warlords, Kriegsverbrechern und Erzfundamentalisten; zum Beispiel mit der Hizb Islami, die alle diese Aspekte in sich vereint. Die Partei des Paschtunenführers Hekmatyar ist mit den Taliban verbündet und kämpft gegen die internationalen Truppen. Ihr Ideal ist die Einführung eines fundamentalistischen Scharia-Staatswesens nach saudischem Vorbild. Ein legaler Ableger der Hizb Islami verfügt seit 2005 sogar über Abgeordnete im Parlament. Offiziell haben sie sich vom Widerständler Hekmatyar getrennt. Lokale Beobachter halten das aber für eine Schutzbehauptung. Vorsitzender der legalen Hizb Islami ist Hekmatyars langjähriger Schatzmeister und politischer Stratege Abdel Hadi Arghandewahl:
"Präsident Karzai hat die meisten dieser Bedingungen akzeptiert. Die Scharia beispielsweise ist für uns ein ausgesprochen wichtiger Punkt. Wenn die afghanische Bevölkerung denkt, dass die Scharia sie von der Korruption erlösen kann und von dem augenblicklichen System, das ja nicht funktioniert, dann sind wir die Ersten, die sich darüber freuen. Außerdem wollen wir endlich Frieden für unsere Gesellschaft. Und zwar schnell. Ich glaube, keine Nation auf der ganzen Welt will sehen, dass die Soldaten anderer Länder in ihrem Land herumlaufen."
Gleichgültigkeit. Politischer Nihilismus. Das prägt die Stimmung auf einem anderen Taxenplatz am Rand Kabuls. Ob die ausländischen Truppen blieben oder abziehen, meint ein Fahrer, sei eigentlich ziemlich einerlei. Dadurch würde sich die Lage weder verschlimmern noch verbessern. Und was ein Kollege aus seiner Alltagserfahrung schildert, gewinnt beinahe symbolische Bedeutung.
"Manchmal kommt uns auf einer engen Straße ein Konvoi ausländischer Militärs entgegen. Dann haben wir nur die Wahl, auf sie zuzufahren und in ihrem Kugelhagel zu sterben oder von der Straße weg zu steuern, in ein möglichst tiefes Loch."
Es scheint als hätten sich die internationale Gemeinschaft und die afghanischen Entscheidungsträger schon für das Loch entschieden - als eine pragmatische Exit-Strategie. Afghanistan: weg von der Route Richtung Rechtsstaat, ab in den Graben, hinein zu Warlords und Fundamentalisten. Im zukünftigen Loch dürfte es dann zwar höchst schmutzig zugehen. Aber wenigstens könnte man das außerhalb Afghanistans nicht sehen.