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Mit Beginn des Wintersemesters wird es an der Universität Rostock ein juristisches Bachelorstudium geben. Der neue Studiengang läuft unter der Bezeichnung "Good Gouvernance" und soll nach dem Willen des Dekanats "Juristen eines neuen Typs" ausbilden.

Von Olaf Baale | 30.08.2010
    Seit 150 Jahren steht das juristische Staatsexamen in der Kritik. Die Ursprünge reichen zurück bis zur preußischen Staatsdienerausbildung und zum preußischen Allgemeinen Landrecht – eine große Tradition, welche die Juristenausbildung etwas verstaubt wirken lässt. Die Universität Rostock macht ernst mit der Kritik und wirbelt den Staub aus anderthalb Jahrhunderten auf: Entstanden ist ein neues, NC-freies, vier Jahre dauerndes Bachelorstudium. Jörg Benedict, Inhaber des Lehrstuhls für deutsches und europäisches Privatrecht an der Universität Rostock:

    "Da geht es in der Tat um die Frage, was genau muss ein Jurist können? Die einen sagen, er muss vor allem das geltende Recht kennen und anwenden können. Andere sagen, der gute Jurist muss auch die Zusammenhänge kennen aufgrund deren Recht entsteht, sich Recht verändert."

    Aus dem neuen Bachelorstudium, das ist der Anspruch, sollen Juristen hervorgehen, die Gesetze nicht nur anwenden können, sondern über ein umfassendes Verständnis für Gesetzgebungsprozesse verfügen. Aus diesem Grund startet das Studium mit einem starken volkswirtschaftlichen, soziologischen und philosophischen Anteil, und auch die Politikwissenschaft kommt nicht zu kurz. Gedacht ist daran, dem Bachelor einen Masterabschluss folgen zu lassen, wobei ein Schwerpunkt in der Gesetzgebungskompetenz, im Verfassen verständlicher, in sich schlüssiger Gesetzestexte liegen soll.

    Das hört sich zunächst einmal gut an, doch es gibt ein Problem: Das Studium führt nicht zum Staatsexamen. Und genau das ist der Grund, warum Ralph Weber, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht an der Universität Greifswald, das juristische Bachelorstudium für eine Mogelpackung hält:

    "Neben einem Staatsexamensstudium eine Alternative anzubieten, dagegen ist nichts einzuwenden, wenn man den Studenten klarlegt, wenn man ihnen also sagt, auf was sie sich einlassen, das heißt, dass sie keine Juristen sind mit diesem Abschluss, dass sie keinen klassischen juristischen Beruf – Rechtanwalt, Staatsanwalt, Notar, Richter – ergreifen können und nie vor Gericht auftreten und auch nur ein Versäumnisurteil abholen können."

    Dass es Kritik am Staatsexamen gibt, ist auch Ralph Weber bewusst. Er hält aber dagegen, dass die Juristenausbildung in den letzten 150 Jahren reformiert wurde. Nicht Staatsdiener würden herangebildet, sondern Studenten, die sich die Rechtsordnung kritisch aneignen:

    "Die Studenten, die die Prüfung bestanden haben, - die eine der schwersten sein dürfte, die wir im universitären Bereich in Deutschland haben -, sind universell in den ganzen Bereichen der Juristerei, überall wo Juristen gebraucht werden, einsetzbar. Und auch im Ausland anerkennt man, dass durch diese systematische Schulung es den deutschen Juristen leichter fällt als Juristen aus anderen Ländern, sich in fremde Rechtsordnungen einzuarbeiten."

    Beim Gros der Universitäten wird das Staatsexamen auch weiterhin das Nonplusultra der Juristenausbildung bleiben – das sieht auch Jörg Benedict von der Universität Rostock nicht anders. Trotzdem glaubt er nicht, dass seinen Bachelorstudenten – 80 haben sich bisher für den neuen Studiengang eingeschrieben – daraus Schwierigkeiten erwachsen:

    "Aufgrund dessen sind natürlich alle Absolventen dieses Studienganges gehalten, wenn sie von vornherein wissen, sie wollen genau in diese reglementierten Berufe gehen, das Staatsexamen anschließen zu lassen."

    Jörg Benedict versichert, dass es Verhandlungen mit anderen juristischen Fakultäten gebe. Doch derartige Verhandlungen laufen schon seit zehn Jahren – ohne Erfolg. Bislang gibt es in Deutschland keine Universität, die Juristen mit Bachelorabschluss übernimmt und in ein oder zwei Jahren zum Staatsexamen führt. Noch einmal Jörg Benedikt von der Universität Rostock:

    "Die Frage nach den Arbeitsplätzen würde ich erst mal so auffassen, dass die Universität sich besinnen muss, dass sie nicht primär eine Berufsausbildungseinrichtung ist, sondern dass die Universität zunächst die höchste Bildungseinrichtung ist."

    Das Rostocker Bachelorstudium ist eine Insellösung. Jedes Bundesland kreiert seinen eigenen Abschluss. Das verunsichert potenzielle Arbeitgeber und wirft die Frage auf, was ist eigentlich ein Bachelor aus Rostock, aus Hamburg, aus München wert und welche Berufschancen haben die Absolventen? Ralph Weber von der Universität Greifswald:

    "Die Klugen, die auch mit guten Examina abgehen, die finden ihr Auskommen, aber 80 Prozent der Bachelorabsolventen, denen entweder die gute Note oder die Cleverness, sich in der Gesellschaft zu behaupten, fehlt, die tun sich sehr schwer im Berufsleben."

    Infos:
    Jura in Rostock