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Alter Grantler zwischen Glückserinnerung und Trauer

Ein durchaus virtuoses Spiel bietet Klaus-Maria Brandauer als der 69-jährige Krapp, der im Monolog "Das letzte Band" auf sein Leben blickt. Die textgetreue Inszenierung schafft aber nicht den Übergang vom Theater zum Leben, bleibt ohne tiefere Bewegung.

Von Hartmut Krug | 17.03.2013
    Wenn das Publikum in den langen Bänken der Neuhardenberger Schinkelkirche Platz nimmt, sitzt Klaus Maria Brandauer schon in seinem schwarzen, vor den Altar gestelltem Bühnenkasten. Der 69-jährige Schauspieler gibt Becketts 69-jährigen Krapp als uralten Mann. Anfangs schläft er, den Kopf mit den nach beiden Seiten spitz ausfransenden grauen Struwwelpeterhaaren auf den Tisch zwischen Tonband und Spulenschachteln gelegt. Der Aufgewachte zeigt lange kein Leben im greisenhaft weißgeschminkten Gesicht mit der knubbelig roten Nase, bis er, 20 sprachlose Minuten lang, Krapps von Beckett penibel vorgezeichnete Eingangspantomime übergenau durchexerziert. Also verzieht er den Mund zum schiefen, grotesken Zeichen und reißt ein Auge weit auf, wenn er auf seine Taschenuhr schaut. Er faltet ausführlich einen kleinen Zettel auseinander, in den er, wie später in ein Buch, den Kopf so tief hineinsteckt, dass er mit der Nase auf dem Papier landet. Dabei schnieft, hustet und brabbelt er unentwegt.

    Habe gerade, ich bedaure es, sagen zu müssen, drei Bananen gegessen. Und mich nur mit Mühe einer vierten enthalten. Das ist Gift für einen Mann mit meiner Darmtätigkeit. Das wird gestrichen.

    Wenn er eine Banane aus der Schreibtischschublade holt, ist das vor allem ein schauspielerischer Bravourakt. Auf unsicheren Beinen, den Schlüsselbund umständlich inspizierend, geht er um den Schreibtisch herum. Die Banane hält er sich, sie streichelnd, erst glücklich vors Gesicht, dann schält er die Frucht, steckt sie senkrecht in den Mund und läuft wie ein Nashorn hin und her. All dieses Wirkungsspiel aber ist nie clownesk oder einfach nur komisch. Brandauers Krapp, der später mit piepsig gequetschter Stimme zu sprechen beginnt, wirkt als Kunstfigur, nicht als Mensch, so, wie er zum Beispiel bei aller Komik doch von Martin Held in Becketts Berliner Inszenierung gespielt wurde.

    Es ist merkwürdig: Obwohl Regisseur Peter Stein auf die clowneskere Urfassung von Beckett zurückgreift, obwohl er dem Text getreu bis in die Regieanweisungen folgt, schaut man auf diese 1,5-stündige Beckett-Bedeutungsschau nie mit tieferem Interesse oder gar existentieller Betroffenheit. Der Zahn der Zeit hat doch mächtig an Becketts Textkonstruktion genagt und lässt einen fast denken, das Stück sei einst doch arg überschätzt worden.

    Wenn sich Krapp aus den Stapeln auf dem Schreibtisch die Schachtel 3, Spule 5 herausholt, auf der er als 39-Jähriger über die Liebe abschließend und Abschied nehmend reflektiert, beginnt der 69-Jährige mal lustvoll, mal ärgerlich, mal kommentierend oder widersprechend, mit der Konfrontation mit sich selbst:

    Nichts mehr zu sagen. Nicht mehr mal piep. Was ist schon ein Jahr heutzutage. Soll ich wiedergekäutes. Und steinharter Stuhl. Schwelgte in dem Wort Spule... Spule.

    Wenn Krapp sich mit seiner Hoffnung auf Sinn und Liebe auseinandersetzt, wenn er seine Meinung als 39-Jähriger angeht, sich widerspricht, auch mal ein Lexikon zu Rate zieht, weil er einst benutzte Fremdwörter nicht versteht, dann zeigt uns Brandauer einen alten Grantler zwischen Glückserinnerung und existenzieller Trauer.

    Es ist durchaus virtuos, wie Brandauer durch Krapps Erinnerungen tobt, wie er nicht einverstanden ist und ein neues Band zu besprechen beginnt. Und wie er dann alle Geräte vom Tisch fegt. Aber es bleibt immer aufgesagte tiefere Bedeutung und vorgezeigtes Mimenspiel. Während andere Darsteller nach Martin Held, wie Bernhard Minetti, Ulrich Wildgruber, auch Gert Voss und 2007, ebenfalls in Neuhardenberg, Joseph Bierbichler, clownesk waren, weil sie einen Menschen spielten, dessen Scheitern ihn zum traurigen Clown machte, findet bei Stein und Brandauers texttreuer Inszenierung kein Übergang vom Theater zum Leben statt. Brandauer zelebriert seine Gänge, Gesten und Haltungen so bedächtig wie ungemein kunst- und bedeutungsvoll. Und wir nehmen all das ohne tiefere Bewegung hin.

    Am Schluss, als Krapp konstatiert, seine besten Jahre seien vorbei und er wünsche sie nicht zurück, schaut er nicht regungslos vor sich hin, sondern legt sich wie tot längs auf den Tisch.

    Erst langsam erhob sich dann der Achtungsapplaus.