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Alter Palast für Neue Kunst

Während die Altertümer Italiens aus der Klassischen Antike weiter vor sich hin bröckeln, die historischen Städte Herculaneum und Pompeji unter Geldmangel leiden, geschieht in Neapel Erstaunliches. Eben hat – mitten in der Altstadt im Pallazzo Rucella – ein neues Museum für zeitgenössische Kunst seine Pforten geöffnet.

Von Thomas Migge |
    "Wir hier in Neapel glauben nicht, dass man Kunst und Kultur von den Problemen unserer Stadt trennen kann. Kunst und Kultur helfen uns die Probleme besser in den Griff zu bekommen und das soziale Gewissen unserer Bürger anzuregen. Es gibt nur ein Neapel und nicht nur das gute und das schlechte Neapel."

    Rosa Russo Jervolino ist sicherlich keine Liebhaberin zeitgenössischer Kunst. Die Bürgermeisterin von Neapel zieht Barockes vor. Trotzdem hat sie mit viel städtischem Geld das Projekt PAN Realität werden lassen. PAN ist das größte italienische Museum für zeitgenössische Kunst. Untergebracht ist es mitten im chaotischen Neapel, im spätbarocken Palazzo Roccella, in der Via dei Mille. Direktor des 6000 qm großen Museums ist der Ungar Lorand
    Hegyi:

    "Neapel war immer eine Stadt, die sehr an zeitgenössischer Kunst interessiert ist. Sogar viel stärker als Rom. Bis heute gibt es kein Museum für zeitgenössische Kunst in Mailand, in der Stadt der Geburt des Futurismus."

    Dafür jetzt aber in Neapel. Die Stadt unter dem Vesuv gilt seit den 60er Jahren als Italiens Metropole für zeitgenössische Kunst: es waren neapolitanische Galeristen, die zum ersten Mal überhaupt Joseph Beuys und Andy Warhol, Rauschenberg und Twombly nach Italien holten. Die meisten italienischen Sammler zeitgenössischer Kunst leben in Neapel. Was lag da näher, dachte man sich im Rathaus, als ein Museum für das künstlerischen Schaffe der Gegenwart einzurichten. Eine Institution, die nicht nur die italienische Szene wiederspiegelt, sondern ein internationales Spektrum präsentiert.

    Lorand Hegyi hat 38 Künstler gebeten ein Werk für 38 Säle des neuen Museums PAN zu schaffen. Unter ihnen auch Hermann Nitsch. In einem langgestreckten Saal legte er auf Tischen und in Regalen Innereien von Schweinen und Rindern aus. Auf dem Fußboden errichtete er kleine Mäuerchen aus Papiertaschentüchern. Sie sollen die Trennlinie zwischen seinem Werk und den Besuchern deutlich machen.
    Nitsch ist davon überzeugt, dass Neapel der ideale Ort für ein Museum für zeitgenössische Kunst ist:

    "Es ist ein sehr sinnliches und enthusiastisches Volk hier. Auch der Zugang, den sie zum Christlichen und Heidnischen haben, zum Blut. Ich fühle mich da irgendwie zuhause. Es ist die gemeine Barocktradition, die katholische Tradition. Es ist ein sinnliches Volk."

    Lorand Hegyi ist es gelungen für das PAN Kunstwerke von Luigi Ontani und Ilya Kabakov, von Marina Abramovic und Kiki Smith zu erhalten. Auch Dennis Oppenheim und Mimmo Paladino, Jan Fabre, Roman Opalka, William Kentridge und Gilbert & George stellen in dem spätbarocken Labyrinth aus Sälen und Korridoren, Terrassen und Kammern aus. Museumsdirektor Hegyi gab der ersten Ausstellung den Titel ³The Giving Person² - die Inspiration dazu kam ihm nach der Lektüre eines Texts von Gilbert & George. Alle Künstler schenkten dem Museum ihre Werke - als Hommage gewissermassen, für die in wirtschaftlichen Krisenzeiten sehr mutige Idee eine Institution wie das PAN zu schaffen. Eine Institution, erklärt Hegyi, die in Neapel in keiner Weise eine isolierte Position einnimmt:

    "Es gibt neue Galerien, Aktivitäten vieler junger Künstler, die aus Neapel kommen. Die Stadt fühlte sich verantwortlich, dass dieser Reichtum auf der Ebene der Kunstproduktion bisher keine institutionelle Antwort bekommen hatte."

    Hegyi nimmt sich auch italienischer Nachwuchskünstler an. In seinem großen Museum sollen regelmäßig Wechselausstellungen stattfinden. Filmemachern steht ein Auditorium mit Kino zur Verfügung.
    Neapel wird damit endgültig zu einer kann ohne Übertreibung als eine der wichtigsten Städte Europas für zeitgenössisches Kunstschaffen.