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Alterscoolness statt Altersstarrsinn

Unser Bild von den Senioren ist höchst widersprüchlich. Da sind zum einen die jungen Alten, vital und dynamisch, und zum anderen die alten Alten, pflegebedürftig und einsam. Wie auch im hohen Alter ein gelingendes Leben möglich ist, war Thema eines Symposiums im Deutschen Hygiene Museum Dresden.

Von Peter Leusch | 12.07.2012
    "Ich habe ein Interview bei einer Dame, die 88 Jahre alt ist, ich klingle an der Tür, geöffnet hat eine Dame, die auf den ersten Blick einen sehr gebrechlichen Eindruck macht, sie steht auf ihren Rollator gestützt, bittet mich in ihre Wohnung und wir setzen uns auf die Couch. Und im Laufe unseres Gesprächs beginnt sie mir davon zu erzählen, dass sie gerade sehr intensiv mit der Aufschreibung ihrer Lebenserinnerungen beschäftigt ist. Und dann sagt sie: 'Ich profitiere davon, das macht mein heutiges Leben richtig gut, diese Rückschau auf das, was ich bis jetzt erlebt habe. Ich bin gerade in meinen sechziger Jahren.' Dabei ist sie ja 88."

    Der Kulturwissenschaftler Heinrich Grebe vom Marburger Institut für Europäische Ethnologie schildert eines seiner 75 Interviews mit alten Menschen über 75 Jahre. Seine Doktorarbeit gehört zu einem interdisziplinären Forschungsprojekt der Universitäten Heidelberg, Marburg und Dresden, das sich mit der Gruppe der Hochaltrigen befasst und dem Bild, das sich die Gesellschaft von ihnen macht. Es ist eine Bevölkerungsgruppe, so der Heidelberger Gerontologe Andreas Kruse, die immer bedeutsamer wird:

    "Wenn wir uns auf das hohe und höchste Lebensalter konzentrieren, die Gruppe der 80-Jährigen und Älteren, können wir sagen, dass heute ungefähr 5 Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland, das heißt etwas mehr als vier Millionen Menschen, 80 Jahre und älter sind. Und wir gehen davon aus, dass im Jahre 2040 ungefähr 12,13, manche sagen sogar 14 Prozent der Bevölkerung 80 Jahre und älter sein werden. Es gibt keine andere Altersgruppe, in der der quantitative Anstieg des Bevölkerungssegments so groß ist wie in der Gruppe der 80-Jährigen und älter - mit anderen Worten: Gerade das hohe Lebensalter wird in Zukunft immer mehr Gewicht in unserer Gesellschaft erlangen."

    Während die Gruppe der fitten jungen Alten dem Selbstbild der Leistungsgesellschaft entspricht und ein positives Image genießt, wird die Lebensphase der alten Alten, wenn nicht gänzlich tabuisiert, so in den düstersten Farben gemalt: körperlicher und geistiger Verfall, wo Alzheimer droht, wo bald gar nichts mehr geht, ein einziger existenzieller und finanzieller Abgrund. Doch das Altern, so hat die neuere Gerontologie erkannt, ist kein eindimensionaler, sondern ein vielschichtiger Prozess, der zudem individuell unterschiedlich verläuft. Deshalb müsse man das Bild des hohen Alters revidieren, ohne es allerdings schönzufärben.

    Im hohen Alter nimmt die Verletzlichkeit zu. Das Risiko einer körperlichen und hirnorganischen Erkrankung steigt rapide an, ebenso die Pflegebedürftigkeit, auf der anderen Seite beeindruckt die psychische Widerstandsfähigkeit hochbetagter Menschen. Sofern sie in einem positiven Umfeld leben, sind sie keineswegs häufiger von Depressionen heimgesucht als andere Bevölkerungsgruppen. Andreas Kruse:

    "Wir haben den Eindruck, dass Menschen, die das sehr hohe Lebensalter erreichen, vielleicht auch ganz bemerkenswerte psychologische Stärken zeigen wie die Fähigkeit, mit den eigenen körperlichen und emotionalen Kräften umzugehen, die Fähigkeit, bestimmte Verluste auszugleichen, oder auch die Fähigkeit zum Optimismus oder eine Zukunftsfähigkeit trotz sehr enger Zeit- Perspektiven aufrechtzuerhalten, indem man für die nächsten Wochen und Monate plant und nicht für die nächsten Jahre."

    Den körperlichen Einbußen stehen trotz nachlassenden Gedächtnisses zumeist gut erhaltene geistig-seelische Kompetenzen gegenüber, ein reges Gefühlsleben und soziale Kontaktfähigkeit. Gelungenes Leben im Alter sei aber kein Selbstläufer, vielmehr eine Herausforderung, ja eine Entwicklungsaufgabe, meint Kruse. Es gilt, körperliche Einschränkungen zu kompensieren, sinnvolle Beschäftigungen zu finden und zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen.

    Viele Alte seien dabei erfolgreich, weil sie eine spezifische Haltung entwickelt hätten. So das Fazit des Marburger Ethnologen und Kulturwissenschaftlers Harm Peer Zimmermann. Er nennt es Alterscoolness.

    "Damit meine ich, dass es Menschen gelingt, vom eigenen Alter Abstand zu gewinnen und zwar in einer Weise, dass man das Alter nun nicht leugnet, sondern dass man sagt, wenn ich die Defizite bemerke und wenn es mir schlecht geht, dann gerade kommt es auf eine bestimmte Haltung an. Wir haben von den Menschen immer wieder solche Antworten gehört wie 'Man soll das eigene Alter nicht zu ernst nehmen', 'man soll auch die Sache mit Humor angehen', das heißt, dass man in gewisser Weise herabgekühlt, was man an Problemen hat, um auf diese Weise durchzukommen und sich gut zu fühlen."

    Mehr Coolness gegenüber dem Alter und den Alten empfiehlt Zimmermann auch der gesamten Gesellschaft. Man solle die überhitzte Diskussion mit ihren Bedrohungsszenarien wie Rentnerberg und Altenlast herunterkühlen auf eine sachlichere und gelassenere Auseinandersetzung.

    Die Entwicklung eines anderen Verständnisses des hohen Alters, das nicht allein auf Defizite fixiert ist, sondern auch die Stärken und den Wert des Alters erfasst, sei Aufgabe der gesamten Gesellschaft, erklärt der Philosoph und Ethiker Thomas Rentsch von der Universität Dresden.

    "Dazu bedarf es einer längerfristigen Erziehung zum Älterwerden, zum Altwerden, ein Prozess, der im Augenblick noch völlig in den Kinderschuhen steckt, wir werden aufgeklärt bis zur Geschlechtsreife sozusagen, und dann ist die Aufklärung abgeschlossen, während in meiner philosophischen Perspektive es um eine Aufklärung über das ganze Leben gehen muss, und damit eingeschlossen ist Sterblichkeit, Endlichkeit, Verletzlichkeit - alle diese Aspekte."

    Es geht um ein differenziertes Bild des hohen Alters mit seinen hellen und mit seinen dunklen Seiten, mit seinen Einschränkungen ebenso wie mit seinen spezifischen Chancen. Dass ein gutes Leben auch im hohen Alter möglich ist, haben die Referenten auf der Tagung überzeugend dargelegt. Weitgehend unbeantwortet aber blieb die Frage, ob und wie das auch für Demenzkranke in einem fortgeschrittenen Stadium gelten kann. Das wollen die Wissenschaftler nun in einer Anschlussstudie untersuchen.