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Altes neues Dresden

Es war das wohl einschneidendste Ereignis in der Geschichte Dresdens: Der Luftangriff im Februar 1945. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Stadt – vor allem die Altstadt – fast völlig zerstört. Der Wiederaufbau dauert bis heute an. Aber es gibt sie noch, die Spuren des alten Dresden.

Von Sören Brinkmann | 29.04.2012
    Viel barocke Pracht ist zurück in der Dresdner Altstadt; im Zentrum die Frauenkirche.

    "… mit der Frauenkirche und der umliegenden Bebauung – also das ist das Herz und die Seele dieser Stadt."

    Der helle Sandsteinbau ist gesprenkelt mit dunklen Flecken – den alten Steinen, die schon in der ursprünglichen Kirche verbaut waren.

    "Man muss allgemein sagen, dass in Dresden es ganz viel Altsubstanz gibt."

    Doch die Spuren des alten Dresden sind nicht überall schnell und einfach zu entdecken. Und teilweise muss man einige Meter unter die Erde steigen, um sie zu finden.

    "Das sehen wir hier an den alten Steinen, an den breiten Fugen, an dem sehr unorthodoxen Mauerwerk. Große Steine, kleine Steine – die sind also hier zusammengefügt worden, alles mit Handarbeit. Grad’ hier in den Katakomben im Raum der Stille sieht man diese Spuren."

    Und gerade in die unterirdischen Gewölbe ist viel neues Leben eingezogen.

    Bei der Suche nach Bruchstücken, die den Krieg überlebt haben, wird man an einigen Stellen fündig.

    Jeden Abend führt der Nachtwächter die Besucher durch Gassen, die es rund sechzig Jahre gar nicht gab. Erst seit dem Wiederaufbau der Altstadt sind Schlossstraße, Neumarkt und Salzgasse wieder als Straßen und Plätze erkennbar.

    Es geht vorbei an einer Fassadenfigur von Matthäus Daniel Pöppelmann, dem Erbauer des Zwingers, die aus den Kriegstrümmern geborgen wurde. Heute ziert sie einen der vielen Neubauten. Jahrelang gab es Auseinandersetzungen um die Gestaltung der neuen Bebauung. Letztendlich ist der Neumarkt mit vielen historisierenden Fassaden wiederentstanden. Dafür stark gemacht hat sich Thorsten Kulke vom Verein Historischer Neumarkt.

    "Der Außenruf Dresdens ist eigentlich besser als es in Wirklichkeit vor ein paar Jahren aussah. Und das war eigentlich die Notwenigkeit, jetzt auch die Wirklichkeit hier einkehren zu lassen, indem der Tourist, der jetzt hierher kommt, auch das vorfindet, was er sich eigentlich in seinen Gedanken vorstellt."

    Kritiker halten entgegen, dass eine Art Disneyland entstanden sei. Die meisten Touristen scheint das nicht zu stören.

    "Es gehört zu Dresden. Es ist also so wie man hier den Eindruck von früher noch mal wiedergewinnen kann, dadurch dass es eben weitgehend im alten Stil restauriert war."
    "Ist sehr historisch wieder aufgebaut. Das passt sich so schön an. Das ist gigantisch, ist sehr schön."

    "Also ich kenn‘ hier noch, da war nur ein Berg Schutt. Da haben wir davorgestanden und haben gesagt: Das war mal die Kirche. Und jetzt ist so was Schönes entstanden wieder; wunderbar."

    "Das macht auch das Bild von Dresden aus – und vor allen Dingen nachgebaut von früher und nicht bloß neu hergesetzt."

    Spurensuche an einer der wichtigsten Attraktionen Dresdens: Am Zwinger. Hier haben viele Grundmauern den Krieg überlebt. Heute aber sind sie nicht mehr zu unterscheiden von den ergänzten Teilen, erklärt Dirk Welich von den Staatlichen Schlössern, Burgen und Gärten.

    "Heute ist es einfach von einer denkmalpflegerischen Vermittlung her – so denke ich – in Dresden vor allem zu verstehen, dass man möchte, dass ein Denkmal einen ästhetischen Gesamteindruck hinterlässt. Es wird sehr stark vereinheitlicht und damit ist es zumindest nicht für den ungeschulten Blick – kein Lehrstück in dem Sinne, dass man sagen kann, hier sieht man Alt- und Neusubstanz sehr klar getrennt voneinander; und kann sich sozusagen mit diesem Thema im Zwinger bewegen, sondern der Eindruck ist eher ein geschlossener Eindruck."

    Ein Stückchen weiter gehen wir in die Altstadt hinein, vorbei am Taschenbergpalais und am Schloss. Hier lohnt sich ein genauer Blick, um auf Altsubstanz zu stoßen.

    "Man sieht ja immer die unterschiedlich starken Patinierungen der Steine auch. Das ist schon mal so ein Merkmal, wo man sagen kann, ein alter Stein ist dunkel und ein alter Stein ist hell"

    Und sofort fallen dem Kunsthistoriker Welich Beispiele auf.

    "Mit den Gewänden hier beispielsweise am Schloss kann man das sehr schön sehen, wo alt und neu ist. Also wo ein Söller oder ein Gewändestein einfach ersetzt worden ist beziehungsweise alt oder auch nur ergänzt worden ist. Und da ist es einfach bewusst belassen worden dieser Unterschied. Man kann das noch viel massiver zeigen oder man kann das auch noch viel weniger zeigen. Das Maß des Zeigens hat eine sehr große Bandbreite."

    Es rattern die Kutschen, klappern die Pferdehufe über das Kopfsteinpflaster, das inzwischen in fast der gesamten Altstadt verlegt wurde. Allerdings: Ganz verdrängt wurden die Autos noch nicht aus den kleinen Straßen. Unter dem Neumarkt wurde sogar ein mehrgeschossiges Parkhaus gebaut. Und auch hier lassen sich Spuren des alten Dresden finden.

    Mehrere Meter unter der Erde wurden die Parkbuchten durch zwei Betonmauern unterbrochen. In dieser Nische, direkt am Parkplatz Nummer 1194 sind die Überreste des alten Frauentors zu sehen. Im Bogen schwingen sich die Steine – durchsetzt von kleinen Gräsern – über einen.

    Der Weg führt wieder hinauf und nur wenige Schritte über den Neumarkt. Hier hat der Verein seinen Sitz, der sich für die Neubebauung stark gemacht hat.

    "Mit Thorsten Kulke, dem Vorstand des Vereins Historischer Neumarkt, steige ich nun ab in den Keller an der Rampischen Straße 29. Denn hier ist neu auf alt gebaut worden. Der Keller ist hier erhalten, wie er vor 1945 war. Herr Kulke, warum war Ihnen das wichtig?"

    "Einfach um die Symbiose von alt und neu darzustellen und den geschichtlichen Abriss, der hier stattgefunden hat vor 1945. Wir haben also hier den Keller weitestgehend versucht zu integrieren; Mauerwerk aus der Renaissance, aus der Barock-Zeit ist hier wieder hergestellt worden mit ziemlichem Aufwand. Wir haben also hier nach über 60 Jahren erst mal die Fugen wieder herstellen müssen."

    Viele der alten Gewölbe sind noch besser erhalten und werden heute neu genutzt. Unter dem Kurländer-Palais am Rand der Altstadt wird am Wochenende zu House- und Disco-Classics eingeladen.

    Und am Rand der Kasematten, der alten Stadtbefestigung geht es in der Studentenkneipe Bärenzwinger alternativ zu. Eine Dresdner Institution hat sich gleich vom Gewölbe für den Namen inspirieren lassen: der Jazzklub Tonne. Der künstlerische Leiter, Steffen Wilde, glaubt an das Besondere dieser alten Räume.

    "Ja, das schafft schon, wenn man rein kommt, eine ganz besondere Atmosphäre, denke ich, wenn man einfach in solche alten Räumlichkeiten kommt. Und es sieht irgendwie viel gemütlicher aus als in modern ausgestatteten Clubs. Man kommt rein und fühlt sich eigentlich irgendwie gleich geborgen, denke ich."

    Zurück an der Frauenkirche: Auf der Orgelempore gibt Organist Samuel Kummer einen Improvisationskurs für eine Gruppe Kirchenmusik-Studenten.

    Zwanzig Meter tiefer führt Ulrich Kettner Besucher durch die Frauenkirche – und hilft auch dabei die Bruchstücke des alten Dresden zu finden.

    "Also wir sehen zum Beispiel hier am Grabmal von George Bähr ein altes Gewölbe; die Rückwand ist auch noch original. Es sind dunklere Steine, sie sind abgedunkelt und dann natürlich auch die größeren Fugen. Denn früher sind ja die Steine alle mit Hand bearbeitet worden, mit Hand behauen. Logisch, dass da die Fugen breiter waren."

    Weiter auf der Spurensuche: Gegenüber der Frauenkirche erstreckt sich die Münzgasse hinab zum Elbufer. Es ist die Fressgasse für Touristen.

    Neben leckeren Häppchen aus Spanien gibt es Essen aus Australien. Gegenüber Steaks. Hier ist nichts vom alten Dresden zu sehen. Die Gebäude entstanden in den 70er und 80er Jahren. Durch ein weites Tor blickt man hinab zur Elbe. Hier wiederum ist ein Teil Dresdner Geschichte noch im Original zu bewundern.

    Seit rund 150 Jahren legen die Raddampfer der Weißen Flotte hier ab. Sie fahren elbaufwärts und elbabwärts und bieten dabei einen Blick auf noch etliche gut erhaltene Denkmale. Gerade in der Umgebung Dresdens ist die Spurensuche nach alten Gemäuern eigentlich ganz einfach. Dirk Welich von den Staatlichen Schlössern, Burgen und Gärten.

    "Schloss Weesenstein, Schloss Pillnitz oder Schloss Moritzburg: die sind in ihrer Grundsubstanz unzerstört und können da als noch originale, erhaltene Denkmale erlebt werden."