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Althaus gegen neue Sicherheitsgesetze

Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus hat die von der Union geplante Anhebung der Mehrwertsteuer verteidigt. Mit Blick auf die Terroranschläge von London sprach er sich gegen neue Sicherheitsgesetze aus. Die bestehenden Regelungen in Deutschland seien ausreichend, betonte der CDU-Politiker, die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Sicherheitsbereich sehr professionell.

Moderation: Matthias Thiel |
    Thiel: Eigentlich wollten wir uns heute vorrangig mit dem Wahlprogramm der Union beschäftigen, Herr Ministerpräsident, aber angesichts der grauenvollen Terroranschläge in der vergangenen Woche müssen wir uns zu Beginn leider wieder einmal über die Sicherheit auch hier in Deutschland unterhalten. Absolute Sicherheit kann es nicht geben, Herr Althaus, das ist klar. Aber haben wir alles getan in Deutschland, oder gibt es Ihrer Meinung nach noch Lücken?

    Althaus: Zu allererst: Auch ich bin entsetzt über diesen erneuten Terroranschlag mitten in Europa, in London. Und er macht deutlich, dass dieser Terrorismus, der international agiert, präsent ist und dass er in der Lage ist, mitten in das Herz der Kultur, mitten in das Herz der Menschen zu treffen. Ich glaube, dass wir nach dem 11. September, den Anschlägen in New York und Washington, natürlich sehr viel getan haben, um Sicherheit in Deutschland, in Europa, aber auch weltweit zu verbessern. Wir haben, glaube ich, auch Nester dieses internationalen Terrorismus ausgehoben, aber trotzdem bleibt die Aufgabe noch, zu überprüfen, ob es möglicherweise gemeinsame Aktionen geben kann, um den Terrorismus noch stärker zu bekämpfen. Und was Deutschland betrifft: Wir sind als Länder, als Bund, aber auch in den Kommunen aufgefordert, ein ganz enges Sicherheitsnetz zu knüpfen. Das ist vorhanden, aber es muss immer wieder überprüft werden, wo möglicherweise noch Nachbesserungen möglich sind.

    Thiel: Wo sind Nachbesserungen Ihrer Meinung nach nötig? Brauchen wir neue Sicherheitsgesetze?

    Althaus: Nein, ich glaube nicht. Ich denke, dass wir da ausreichend gesetzlich geregelt haben, und wir sind glaube ich auch in der Zusammenarbeit zwischen Ländern und Bund sehr professionell. Was wichtig ist, dass wir halt gerade auf Brennpunkte bezogen oder zu Großveranstaltungen – in diesem Jahr zum Beispiel das Weltjugendtreffen –, dass man da eine besondere Aufmerksamkeit hat und jeden Bürger auch bittet, besonders aufmerksam zu sein, dass man sensible Orte im Blick hat und dass man auch darüber exakt wacht, wer in Deutschland zu Hause ist, wer hier wohnt, wer hier lebt, wo sich möglicherweise Terroristen mitten in der Gesellschaft aufhalten. Und an der Stelle ist ein gutes Informationsmiteinander notwendig.

    Thiel: Müssen da die Sicherheitsbehörden mehr vernetzt werden?

    Althaus: Das sind sie. Wir haben nach dem 11. September, dem grausamen Terroranschlag, eine ganz enge Vernetzung organisiert zwischen den einzelnen Ländern und dem Bund. Und dieser Informationsaustausch ist auch ganz wichtig. Er muss kurzfristig erfolgen, und auch die Sicherheitskräfte müssen sehr eng zusammenarbeiten.

    Thiel: Heftige Auseinandersetzung gibt es mit Ihrem möglichen Koalitionspartner FDP um Rechts- und Sicherheitsfragen. Ich nenne mal ein anderes Stichwort: Der große Lauschangriff. Den wollen die Liberalen gerne abschaffen nach der gewonnenen Bundestagswahl. Ist das mit Ihnen eigentlich zu machen?

    Althaus: Nein, ich glaube, wir wollen beides. Wir wollen Freiheit, aber wir wollen auch Sicherheit. Und da muss man den Feinden der Freiheit frühzeitig auf die Spur kommen. Und dazu ist es auch wichtig, zum Beispiel den großen Lauschangriff zu haben, um bei Gefahren auch entsprechend rechtzeitig Informationen zu bekommen. Damit wird letztlich nicht die Freiheit eingeschränkt, sondern damit wird die Sicherheit gewährleistet. An dieser Stelle also muss die Union darauf achten, dass beide wichtigen Prinzipien der Gesellschaft in Einklang bleiben. Deshalb werden wir auch unser Prinzip beibehalten.

    Thiel: In diesem Zusammenhang taucht auch immer wieder die Forderung auf, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen. Soll die Bundeswehr zur Abwehr von möglichen Terrorattacken auch in Deutschland eingesetzt werden?

    Althaus: Ja, das ist ja auch ein Vorschlag der Union. Wir werden also, wenn wir die Chance haben, sicherlich diesen verstärkten Einsatz für die Bundeswehr möglich machen. Es ist deshalb wichtig, weil natürlich die Bundeswehr, wenn es um internationalen Terrorismus geht, auch sehr viel Erfahrung hat und weil sie natürlich auch durch ihre Infrastruktur und auch durch ihre Ausstattung hervorragend geeignet ist, um im Einzelfall mitzuhelfen. Es geht ja nicht darum, sie ausschließlich darauf zu konzentrieren, aber es geht darum, auch ihre Möglichkeiten für den inneren Schutz vor internationalem Terrorismus stärker tragbar zu machen.

    Thiel: Auf einer gemeinsamen Vorstandssitzung von CDU und CSU in Berlin soll morgen das Wahlprogramm der Union verabschiedet werden. Versprochen sind ein ehrliches Programm und Politik aus einem Guss. Herr Ministerpräsident Althaus, in den letzten Tagen wurde noch heftig gestritten zum Beispiel über die geplante Mehrwertsteuer-Anhebung. Jetzt werden die Probleme in einem Spitzengespräch gelöst. Wird sich da Ihre Vorsitzende und Kanzlerkandidatin Angela Merkel durchsetzen?

    Althaus: Nun ja, es ist sicher eine Diskussion, aber ich würde das nicht als Streit bezeichnen. Wir wollen mehr Wachstum, mehr Beschäftigung. Das ist das Allerwichtigste, weil nur über Wachstum und Beschäftigung auch die sozialen Sicherungssysteme erhalten und umgebaut werden können. Und ein wichtiges Problem ist unsere hohen Lohnnebenkosten. Deshalb ist es wichtig, diese Lohnnebenkosten zu senken. Wir wollen die Mehrwertsteuererhöhung genau dazu nutzen, das heißt, Wachstum und Beschäftigung durch die Absenkung der Lohnnebenkosten. Und wir sind uns da inzwischen mit der CSU auch einig, dass wir dazu eine Gegenfinanzierung auch brauchen. Und die Gegenfinanzierung kann durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer erfolgen.

    Thiel: Da kommen aber noch andere Grausamkeiten auf die Bürger hinzu. Welche haben wir denn zu erwarten?

    Althaus: Na, ich würde das gar nicht Grausamkeiten nennen. Ich bin bei dieser martialischen Rhetorik, die manchmal in den letzten Wochen da war, eher geneigt zu sagen: Sind wir denn im Moment in einer guten Situation? Sind denn unsere sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest? Ist denn die Sorge vor Arbeitslosigkeit nicht gegeben? All diese Fragen würde ich mit ‚nein‘ beantworten. Wir haben ein großes Problem in Deutschland, wir haben eine zunehmende Angst vor Arbeitslosigkeit, wir haben auch ein hohes Maß an Arbeitslosigkeit. Und die sozialen Sicherungssysteme, zum Beispiel Rente und Gesundheit, sind überhaupt nicht zukunftsfähig. Sie brechen uns in den nächsten Jahren zusammen, wenn wir nicht bald etwas tun. Und die demographische Entwicklung in Deutschland ist katastrophal. Das heißt, wir müssen etwas tun, um wieder soziale Sicherheit und auch Wohlstand zukunftsfähig zu machen. Und deshalb werden wir in unserem Programm unsere Bestandteile der Politik benennen – im Arbeitsmarkt, beim Steuerrecht und auch beim Sozialstaatsrecht, und auch im großen Thema ‚Verschlankung des Staates‘, weil wir unter der Überschrift ‚Vorfahrt für Arbeit‘ und ‚Perspektive für Familien‘ diese beiden Perspektiven für Deutschland natürlich wieder mit einer besseren konsolidierten Politik untersetzen wollen. Und deshalb sind das keine Zumutungen, sondern es sind Perspektiven, die da aufgezeigt werden.

    Thiel: Sie wollen auch Steuererleichterungen versprechen. Wie ist das angesichts der leeren Kassen überhaupt zu machen?

    Althaus: Ein Problem Deutschlands ist ja, dass unser Steuerrecht über die Jahrzehnte zu sehr im Regelungswust angewachsen ist. Wir haben ein Übermaß an Steuergesetzen, ein Übermaß an Verwaltungsvorschriften, und wir werden vom World-Öconomic-Forum auf Platz 104 geredet. Das heißt, wir brauchen ein Steuerrecht, das der Globalisierung Rechnung trägt. Unser Steuerrecht trägt derzeit mittlerweile dem nicht Rechnung. Es ist mehr für ein nationales Ökonomiesystem ausgedacht. Wir leben aber nicht mehr in eine nationalen Ökonomie. Und deshalb brauchen wir Transparenz im Steuerrecht, wir brauchen eine ganze Reihe von Entregelungstatbestände, wir müssen also dieses Steuerrecht schlank machen. Und gleichzeitig müssen wir unsere Steuersätze mehr auf Anreize hin ausrichten, das heißt, sowohl der Spitzensteuersatz als auch der Eingangssteuersatz müssen in geringem Umfang gesenkt werden. Und wir versprechen uns dadurch Wirtschaftswachstumsimpulse aber auch Binnenkonjunkturimpulse.

    Thiel: Da gibt es aber Streit mit der CSU. Sie sagt eindeutig, sie wollen keine Erleichterungen, sondern nur Vereinfachungen. Wo könnten da die Einigungslinien liegen?

    Althaus: Gut, im Detail muss man das dann auch in der Gesetzgebung besprechen. Aber auch die CSU weiß, dass unsere große Regelungsvielfalt, unser großer Bestandteil an Lenkungssteuern nicht wirklich große Wirkungen erzielt haben, sondern im Gegenteil. Das Steuerrecht wurde so kompliziert, dass heute die Umgehungstatbestände, die Ausnahmetatbestände vor allen Dingen die bevorteilen, die ein hohes Maß an Beratungsmöglichkeit nutzen können, die da sich ein hohes Maß an Kompetenz kaufen können. Das heißt, eigentlich ist dieses Steuerrecht im Inneren nicht mehr wirklich gerecht. Wir müssen dafür sorgen, dass Familien entlastet werden, dass Geringverdiener entlastet werden, und dass im Spitzensteuersatz wieder mehr Geld auch beim Einzelnen verbleibt, damit er in der Lage ist, zu investieren. Und das bringt, glaube ich, für Wachstum und Beschäftigung die besten Fortschritte.

    Thiel: Die CSU verlangt einen verbindlichen Zeitplan für den Schuldenabbau. Ist der denn möglich in der nächsten Legislaturperiode unter einer unionsgeführten Regierung?

    Althaus: Also, dass die Staatsverschuldung bei Bund, Ländern, aber auch die Verschuldung bei Kommunen und den Sozialkassen ein Riesenproblem darstellen, da sind wir uns einig, und auch, dass diese Staatsverschuldung in den nächsten Jahren reduziert werden muss. Aber ob wir jetzt schon eine konkrete Zielzahl und ein konkretes Jahr angeben können, das glaube ich nicht. Denn wir müssen ja erst einmal wieder die dynamischen Elemente entwickeln. Das heißt, wir brauchen erst einmal wieder Wachstum, um Beschäftigung zu generieren, damit wir Steuereinnahmen in einem größeren Umfang möglich machen. Und dann kann man auch gleichzeitig die Staatsverschuldung deutlicher reduzieren. Und wir sollten auf jeden Fall durch einen föderalen Konsolidierungspakt sowohl die bundesdeutsche Staatsverschuldung als auch die Länder-Staatsverschuldung angehen. Und da sind wir uns auch einig.

    Thiel: Sie sprachen die Gegenfinanzierung an. Wie soll die aussehen? Subventionsabbau?

    Althaus: Auch Subventionsabbau. Also, wir wollen diesen ganzen Bereich der Subventionen, so wie das auch vorbereitet war, nutzen, um beim Steuerrecht Veränderungen gegen zu finanzieren. Das bringt, glaube ich auch, die richtige Dynamik in die Wettbewerbsordnung, denn diese Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und die Entwicklung im Wirtschaftswachstum erbringt ja dann auch entsprechende Steuermehreinnahmen sowohl aus Unternehmenssteuersicht als auch aus Einkommensteuersicht.

    Thiel: Und welche Subventionen sollen abgebaut werden? Pendlerpauschale?

    Althaus: Wir sind, wenn das neue Steuerrecht verabschiedet wird, der Meinung, dass man sehr umfassend die Subventionen abbauen kann. Und man kann neue Antworten finden. Zum Beispiel beim Thema Pendlerpauschale haben wir vor, eine einmalige Arbeitnehmerpauschale einzuführen, die auch das Pendeln in einem gewissen Umfang bis zu 50 Kilometer einbezieht. Und außerdem wollen wir durch einen stärkeren Freibetrag – etwa 8.000 Euro für jeden, also auch für das Kind – zum Beispiel die Familien stärker entlasten, was wiederum zum Beispiel bei anderen Subventionen eine Gegenfinanzierung nicht mehr erforderlich macht. Also in sofern muss man Steuerrecht und Steuersystematik sehr eng mit den noch vorhandenen Subventionen verbinden.

    Thiel: Eigenheimzulage – ein anderes Thema. Rot-Grün wollte sie mal streichen, das hat die Union mit ihrer Mehrheit im Bundesrat verhindert . . .

    Althaus: . . . ja, die rot-grüne Regierung wollte sie aber abbauen, um daraus Investitionen für Bildung und Forschung zu akquirieren. Das ist sicher ein vernünftiges Ansinnen. Aber was ja noch wichtiger ist, das ist ja, dieses Ziel der Eigenheimpauschale nicht aus den Augen zu verlieren. Ziel ist es ja, insbesondere für Familien in einem niederen Einkommensbereich die Möglichkeit zu schaffen, dass sie sich Wohneigentum zulegen. Und das ist auch eine wichtige Alterssicherung. Und deshalb ist diese Eigenheimpauschale-Absenkung von uns nie bestätigt worden. Wir werden sie aber durchführen. Wenn wir im gleichen Zug durch ein neues Steuerrecht den Familien insgesamt mehr Geld zur Verfügung stellen, dann haben sie ebenfalls die Möglichkeit, sich zum Beispiel Eigentum zu schaffen.

    Thiel: Andere Finanzquellen für den Staat, Sie sprachen es schon an, ist die Mehrwertsteuer-Anhebung. 18 Prozent sollen es jetzt im ersten Schritt werden. Drohen da vielleicht noch weitere Schritte, um auch einmal in Europa gleich zu ziehen, aber vielleicht auch den Haushalt zu konsolidieren?

    Althaus: Nein, nein. Also wir werden auch sehr bewusst deutlich machen, Mehrwertsteuererhöhung ist nicht dazu da, um Haushaltskonsolidierung zu betreiben. Erstens wird es ja den halben Mehrwertsteuersatz weiter geben, der gerade auch zum Beispiel bei vielen Produkten des täglichen Bedarfs wichtig ist und der damit auch eine soziale Komponente beschreibt. Und zweitens geht es wirklich darum, dass auf der einen Seite das flexible neue und auch anreizorientierte Steuerrecht in Kraft gesetzt wird, gleichzeitig die Lohnnebenkosten abgesenkt werden und in diesem Zug die Mehrwertsteuererhöhung erfolgt. Dann hat das also einen wachstumsdynamischen Effekt, und genau das wollen wir erreichen.

    Thiel: Aber sie ist ja doch umstritten, die Mehrwertsteuererhöhung. Ich denke alleine daran, dass sie doch die Konjunktur abwürgen kann – so sagen es die Fachleute. Ein anderes Problem ist das Ansteigen der Schwarzarbeit. Können Sie sich da zum Beispiel auch in der Diskussion mit der FDP durchsetzen, die ja grundsätzlich sagt, das wollen wir nicht?

    Althaus: Also das, glaube ich, ist wichtig, dass wir mit der FDP reden, keine Frage. Aber erst mal müssen wir auch erfolgreich Wahlkampf betreiben und erfolgreich sein. Aber ich würde auch die Argumente gerne zerstreuen oder widerlegen. Das schafft im Gegenteil nicht mehr Schwarzarbeit sondern weniger, denn unser Problem in Deutschland ist ein Arbeitskostenproblem. Die Lohnnebenkosten sind gerade im Niedriglohnbereich so hoch, dass es sich für viele nicht lohnt, aktiv im ersten Arbeitsmarkt diese Arbeit anzunehmen. Und diese Arbeit geht dann in die Schwarzarbeit. Das heißt, wenn wir unser Arbeitskostenproblem, unser Brutto-Netto-Problem in Deutschland lösen, werden wir einen erheblichen Teil von Schwarzarbeit bekämpfen. Insofern muss man an dieser Stelle immer einen Schritt weiter denken. Und zum Zweiten die Binnenkonjunktur. Wenn man nur die Mehrwertsteuererhöhung durchführt, dann ist das erneut ein Minuspunkt für die Binnenkonjunktur. Wenn man aber gleichzeitig die Lohnnebenkosten senkt und damit für den Arbeitsmarkt eine deutliche Besserung herbeiführt und gleichzeitig ein umfassendes Steuerrecht umsetzt, das zum Beispiel mehr Transparenz, mehr Eigenverantwortung, aber auch mehr finanzielle Mittel beim Einzelnen belässt, dann ist, glaube ich, sowohl ein Beitrag für Wachstum als auch ein Beitrag für Binnenkonjunktur gegeben.

    Thiel: Herr Althaus, Sie haben als Ministerpräsident des Landes Thüringen nun großzügig darauf verzichtet, Ihren Anteil der Mehrwertsteuererhöhung einzunehmen. Bräuchten Sie aber nicht gerade diesen Anteil, um auch die eigenen Schulden zu senken - bei 15 Milliarden Schulden des Landes Thüringen derzeit?

    Althaus: Nein, wir werden nur deutlich machen im Programm, dass wir diesem Ziel – Senkung der Lohnnebenkosten – als Länder Priorität beimessen. Das heißt nicht, dass auch Eigenmittel in die Länder zurück fließen, und dass natürlich diese Mittel auch genutzt werden, um eigene politische Ziele zu erreichen. Das ist selbstverständlich. Aber wir wollen das erste Ziel schon deutlich machen: Wir wollen, dass in Deutschland wieder Wachstum und Beschäftigung greifen, denn das hilft den Ländern auch. Es macht keinen Sinn, Länderhaushalte konsolidieren zu wollen, ohne dass der Bund deutlich voran kommt. Das ist die Voraussetzung. Der Bund muss voran kommen, dann können auch die Länder ihre Politik verbessern.

    Thiel: Das Ziel - Lohnnebenkosten senken, um neue Arbeitsplätze zu schaffen - Sie sprachen es an. Die Einführung der Gesundheitsprämie soll ein Schritt dazu sein. Daneben wollen sie die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken. Das kostet ungefähr elf Milliarden Euro. Was soll dafür bei der Bundesagentur für Arbeit gestrichen werden?

    Althaus: Also zum einen ist es sicher so, dass die Bundesagentur für Arbeit weiter regionalisiert werden muss. Es zeigt sich ja jetzt auch, dass der jetzige Chef Herr Weise es im Moment schon sieht, dass zum Beispiel bei den Arbeitsgemeinschaften stärkere Verantwortung vor Ort wahrgenommen werden muss. Die neuen Ankündigungen deuten darauf hin. Zum zweiten die Lohnnebenkostensenkung, also zum Beispiel Arbeitslosenversicherung. Genau deshalb sollen ja die Mehrwertsteuerpunkte erhöht werden. Und diese Gegenfinanzierung ist damit auch hergestellt. Und drittens: Die Gesundheitsprämie einzuführen bedeutet zweierlei. Zum einen wird damit mittel- und langfristig die Dynamik der Gesundheitskosten nicht mehr zu Lasten der Arbeitskosten entstehen. Und zweitens wird man durch die Prämie die Eigenverantwortung stärken und gleichzeitig die solidarische Verantwortung der Gesellschaft für die Gesundheitsfür- und –vorsorge nach Steuern organisieren. Das heißt, alle Steuerzahler in Deutschland, diejenigen, die viel Steuern zahlen und privat versichert sind genauso wie die, die wenig Steuern zahlen und gesetzlich versichert sind, leisten ihren, nach Einkommen abhängigen Beitrag für diesen solidarischen Ausgleich. Ich denke, das ist nicht nur gerecht, sondern es ist zukunftsfähig und wird in den nächsten Jahren das Maß an Gesundheitssicherung erhalten, das notwendig ist.

    Thiel: Daneben soll die Flexibilisierung beim Arbeitsmarkt stehen und Nachbesserung bei Hartz IV. Aus Ihren Reihen kamen in dieser Woche schon einige Vorschläge dazu: Lockerung beim Kündigungsschutz, Eltern und Kinder von Beziehern des Arbeitslosengeldes II mit einbeziehen und das Arbeitslosengeld II vielleicht sogar regional begrenzen. Was ist Ihre Ansicht, wie kann man Flexibilisierung beim Arbeitsmarkt erreichen?

    Althaus: Zum einen ist es, glaube ich, wichtig, dass die Starrheit in manchen Arbeitsmarktregeln aufgebrochen wird. Arbeitsmarktregeln müssen einen Rahmen bilden. In diesem Rahmen muss ein hohes Maß an Flexibilität im Unternehmen gestaltbar sein. Das heißt, Betriebsrat und Unternehmensführung müssen sich qualifiziert einigen. Dazu wollen wir die entsprechenden Gesetze ändern. Wir wollen nicht die Tarifautonomie aufgeben, wir wollen auch nicht Tarifverträge aufgeben, sondern wir wollen, dass das ein Rahmen ist und in dem Rahmen die Flexibilität existiert. Dazu gibt es einige konkrete Vorhaben. Wir wollen den Kündigungsschutz bei Kleinstunternehmen weiter aufheben, bis 20 Beschäftigte. Wir wollen bei Neueinstellungen ein sogenanntes Optionsrecht einführen. Entweder man vereinbart Kündigungsschutz oder man vereinbart eine Abfindungsregelung. Außerdem wollen wir die befristete Einstellungen verbessern, weil es da kuriose Begrenzungen gibt. Und wir wollen außerdem, dass dort, wo zum Beispiel zwei Drittel Mehrheit Betriebsrat und Belegschaft eine Entscheidung fällen, dass die dann auch Ausnahmen und Veränderungen vom Tarifrecht vornehmen können. Das ist für mich auch ein Ausweis der Subsidiarität, denn Eigenverantwortung subsidiär wahrgenommen heißt vor Ort wahrgenommen. Das heißt in der Kommune, im Betrieb oder in der Familie. In diesem Fall ist der Betrieb die richtige Ebene.

    Thiel: Kombilöhne sind eine andere Idee, um wieder Menschen zur Arbeit zu bringen. Nun hatten wir ja die Ein-Euro-Jobs in der letzten Zeit, und da hat sich ja doch eindeutig gezeigt, dass eher bestehende Arbeitsverhältnisse aufgelöst werden. Ist es eine gute Idee, Kombilöhne einzuführen?

    Althaus: Jede Regelung am zweiten Arbeitsmarkt oder in der Brücke vom zweiten zum ersten Arbeitsmarkt muss immer genau überlegt werden, weil sehr viele Mitnahmeeffekte oder auch Drehtüreffekte mit organisiert werden können. Deswegen gibt es da keinen goldenen Schlüssel, den man in ein Schloss steckt, sondern es ist wirklich eine Schwierigkeit, die zu beachten ist. Aber ich glaube, Kombilöhne können eine Entwicklung befördern, die wir erreichen müssen. Es gibt Arbeit im Unternehmen, Arbeit in der Gesellschaft, die, wenn sie so angeboten wird, wie sie derzeit kostenmäßig angeboten würde, nicht reicht, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Wenn sie höher bezahlt würde, würde sie wieder für das Unternehmen nicht rentabel sein. Und an der Stelle können Kombilöhne, glaube ich, diese wichtige Brücke zwischen diesen beiden Problemen bilden und damit die Probleme lösbar machen. Trotzdem muss man genau hinschauen, dass man damit nicht Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt, die bisher selbstverständlich angeboten worden sind, erübrigt und durch Mitnahmeeffekte sie im Kombilohnbereich organisiert. Deswegen, denke ich, ist Kombilohn richtig. Aber er muss immer genau angeschaut werden im Einzelfall. Zweitens beim Thema Ein-Euro-Job. Ich finde, das ist geradezu ein Beweis, dass es keinen Sinn macht, den ersten Arbeitsmarkt aus dem Blick zu verlieren, weil sonst solche Prinzipien wie der Ein-Euro-Job mittel- und langfristig Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt, insbesondere bei den Einstiegstarifen vernichten. Deshalb muss man hier sehr zurückhaltend sein. Man darf sie nur dort vergeben, wo wirklich gemeinnützige Tätigkeit wahrgenommen werden sollte und wahrgenommen werden muss und wo diese gemeinnützige Tätigkeit dann auch dazu führt, dass der Einzelne wieder in Beschäftigung ist und dass er möglicherweise darüber auch wieder die Brücke zum ersten Arbeitsmarkt findet.

    Thiel: Immer wieder war von ihren angeblichen Ambitionen zu lesen, in ein Kabinett Merkel nach Berlin wechseln zu wollen. Heißt der neue Minister für den Aufbau Ost Althaus?

    Althaus: Also, mein Engagement für die Bundesregierung unter Angela Merkel ist selbstverständlich. Ich werde mit allen Kräften kämpfen, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin wird. Ich werde auch im Wahlkampf ganz aktiv sein, und das nicht nur in Thüringen, in den neuen Ländern, sondern in ganz Deutschland. Und ich werde auch weiter auf Bundesebene sowohl parteipolitisch als auch innerhalb der Regierung aktiv sein. Ich werde aber nicht in ein Kabinett wechseln, weil ich als Ministerpräsident eines jungen Landes, jetzt zwei Jahre im Amt und ein Jahr wieder gewählt, eine ganze Reihe von wichtigen Aufgaben habe, die ich zu lösen habe und die ich mir auch selbst vorgenommen habe. Ich glaube, Vertrauen in die Politik zu erhalten, bedeutet auch, dass man selbst diesem Vertrauen eine klare Antwort gibt. Und das heißt Stabilität und Konsequenz. Und meine Aufgabe ist es deshalb, in Thüringen als Ministerpräsident meine Arbeit fortzusetzen.

    Thiel: Welche Rolle sollte Ihrer Meinung nach in Zukunft der CSU-Chef Stoiber spielen? Sollte er nach Berlin wechseln, zum Beispiel ins Außenministerium, oder in ein großes Ministerium, zuständig für alle Grausamkeiten?

    Althaus: Also, das muss Edmund Stoiber beantworten. Er ist Ministerpräsident des Landes und Bundesvorsitzender der CSU, und er hat mehrfach erklärt, dass er das erst nach der Wahl entscheidet. Und dem ist nichts hinzuzufügen.

    Thiel: Herr Althaus, noch ist nicht sicher, ob am 18 September tatsächlich ein neuer Bundestag gewählt wird. Ihr bayerischer Kollege Edmund Stoiber hat den Bundespräsidenten Horst Köhler aufgefordert, den eingeleiteten Prozess nicht zu blockieren. Die politische Lähmung in Deutschland müsse überwunden werden. Stimmen Sie dem zu?

    Althaus: Der Bundespräsident hat eine sehr schwierige Aufgabe, denn dieses Misstrauen, das der Bundeskanzler angeregt hat, das dann in dem Misstrauensvotum gemündet ist, ist nach meiner Auffassung hochproblematisch, wie das abgelaufen ist. Und die Rede von Franz Müntefering hat das ganze Problem ja noch verschärft. Trotzdem glaube ich auch, wir brauchen Neuwahlen in Deutschland, denn diese Bundesregierung ist in der eigenen Fraktion zu Ende und hat auch keine Konzepte. Ich denke nur, der Bundespräsident, und das wird der auch, muss trotzdem die rechtlichen Fragen ganz genau prüfen. Denn das Grundgesetz darf nicht einfach parteipolitisch ausgelegt werden und es darf auch keinen Druck wegen möglicher und notwendiger Wahlen geben. Insofern hoffe ich, dass der Bundespräsident den Weg für Wahlen frei macht. Aber er wird sicher auch der Politik Aufgaben aufgeben, die zu lösen sind, damit zukünftig ein solches Verfahren verfassungskonform abläuft.

    Thiel: Also sollten wir vielleicht auch das Grundgesetz ändern und in Zukunft die Selbstauflösung zulassen?

    Althaus: Deutschlands Geschichte hat ja die Grundgesetzväter und –mütter dazu angehalten, eine solche Regelung von vornherein auszuschließen. Das kann nach 50 Jahren eine andere Situation sein, das muss man dann diskutieren. Ich würde aber jetzt nicht so schnell springen, sondern ich würde auch erst einmal die rechtliche Wertung des Bundespräsident und möglicherweise auch des Bundesverfassungsgerichtes abwarten.

    Thiel: Ist der politische Druck beim Bundespräsidenten und beim Verfassungsgericht in Karlsruhe inzwischen so groß, dass sie gar nicht mehr anders entscheiden können?

    Althaus: Das mag mitschwingen, dass der politische Druck groß ist. Das darf aber nicht zielleitend sein, denn es geht schon darum, klare, saubere, nachvollziehbare und auch grundgesetzkonforme rechtliche Regelungen immer wieder zu gestalten. Und deshalb gehe ich davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht, und das zeigt auch die Geschichte, eine an der Sache orientierte Entscheidung fällen wird.