Althaus: Ich vermute, dass zum einen diese Inhaltsfragen so zugespitzt sind, dass sie auch zu Personalfragen werden. Zum Zweiten ist natürlich vor dem Bundesparteitag Anfang Dezember jetzt auch noch einmal die Gelegenheit, diese Personalfrage – Bundesvorsitzende, Bundesvorstand, Präsidium – zu diskutieren, und dadurch spitzt sich das etwas zu. Ich glaube, man muss also die Probleme abschichten. Man muss das inhaltliche Problem ‚Gesundheitsreform‘ lösen, und man muss natürlich solche schwierigen Dinge wie Merz-Rücktritt verkraften, aber dann auch Anfang Dezember auf dem Parteitag deutlich machen, dass wir geschlossen hinter Angela Merkel stehen und auch geschlossen ein gemeinsames Inhaltskonzept vertreten.
Detjen: Dann bleiben wir doch gleich nochmal bei der Personalfrage, bei der Vorsitzenden. Sie haben das angedeutet, Angela Merkel stellt sich auf dem Bundesparteitag Anfang Dezember in Düsseldorf zur Wiederwahl. Bei den Auseinandersetzungen, die innerhalb der CDU, aber auch zwischen CDU und CSU geführt wurden, sind ja doch sehr deutlich immer wieder persönliche Spitzen gegen Angela Merkel hörbar geworden. In welchem Maß ist da deutlich geworden, dass sich weite Teile der Partei des – sagen wir es zugespitzt – westlichen Establishments der Union immer noch nicht damit angefreundet haben, dass an der Spitze eine Frau aus dem Osten steht?
Althaus: Ja, wenn das so ist, tut mir das persönlich auch weh, weil ich glaube, sie hat über die letzten Jahre seit 1990 bewiesen, dass sie in dieser CDU nicht nur zu Hause ist, sondern auch die Inhalte dieser CDU verinnerlicht und mitgeprägt hat. Insofern denke ich, wäre es kein Ost-West-Thema. Es kann nicht die Ursache sein, dass sie woanders geboren ist und dass sie mit einer anderen Erziehung aufgewachsen ist. Ich glaube also, dass die Entscheidung vor vier Jahren mit der Vorsitzenden jetzt auch nachvollzogen werden muss. Das heißt, der Parteitag muss ein ganz klares Signal für Angela Merkel geben, dass sie auch von der Partei gestützt wird, denn sie hat die inhaltliche Erneuerung der CDU maßgeblich bewegt. Das hatten wir im letzten Jahr in Leipzig ganz deutlich auch gespürt, und sie hat auch in der Partei dafür Sorge getragen, dass wir die ganz schwierige Debatte nach der Spendenaffäre gut überwunden haben. Und nicht zuletzt haben wir in den letzten Jahren sehr viele Landtagswahlen gewonnen. Das hat ja auch mit dem Gesamtzustand der CDU zu tun.
Detjen: Was ist denn das Ergebnis, das Angela Merkel bei ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden auf dem Parteitag in Düsseldorf braucht? Braucht sie ein wirklich gutes Ergebnis, oder reicht es ihr auch, das zu bekommen, was man in der Politikersprache dann ein ‚ehrliches‘ Ergebnis nennt?
Althaus: Nein, ich denke, ein ehrliches Ergebnis ist richtig. Das heißt, dass wirklich auch diejenigen, die möglicherweise inhaltliche Kritik haben, personelle Kritik haben, die auch äußern. Das wäre auch wichtig. Es hat keinen Sinn, hinter verschlossenen Türen immer nur die Kritik aus dritter Hand zu hören. Sondern das muss der Parteitag leisten, er muss sich inhaltlich klar äußern, er muss klare Personalentscheidungen führen, er muss Angela Merkel ein deutliches Vertrauen aussprechen, aber er muss eben auch, wenn Probleme existieren, die offen ansprechen. Und ich glaube, das möchte auch Angela Merkel, weil sie ja wissen will, ob die Partei dann auch für die nächsten Monate, die wichtigsten mit Blick auf das Jahr 2006, hinter ihr steht.
Detjen: Sie haben gesagt, da darf jetzt nicht weiter hinter den verschlossenen Türen intrigiert werden. Würden Sie es denn ausschließen, dass da hinter verschlossenen Türen einige mächtige Männer aus dem Westen, aus dem Süden der CDU sich zusammengesetzt haben und sagen: So, jetzt gerade vor dem Parteitag schauen wir doch mal, wo die Belastungsgrenze von Angela Merkel wirklich liegt und ob sie am Schluss nicht kippt?
Althaus: Also ich kann das nicht ausschließen, dass dahinter auch solche Gedanken einen Weg gehen. Aber ich denke wirklich, das wäre fatal. Ich glaube, dass die CDU/CSU die wichtige Aufgabe hat, eine inhaltliche Alternative zur derzeitigen rot-grünen Politik aufzuzeigen. Sie muss damit anschließen an die Politik, die sie bis 98 letztlich auch verantwortlich gestaltet hat. Sie ist die Partei der deutschen Einheit, und es wäre deshalb auch wichtig, dass wir diese Alternative personell deutlich stärken, denn die Menschen wählen am Ende nicht Programme, sondern sie wählen Menschen, denen sie vertrauen. Und demzufolge müssen wir selbst auch unserer Vorsitzenden ein entsprechendes Vertrauen entgegenbringen, damit auch nach außen sichtbar wird, dass die Partei inhaltlich geschlossen ist, aber eben auch personell klar geführt, und damit auch klar geschlossen wahrgenommen werden kann.
Detjen: Heißt das, dass Angela Merkel jetzt bei dieser Gelegenheit, am besten auf dem Parteitag in Düsseldorf, auch gleich zur Kanzlerkandidatin gekürt werden sollte, damit diese Frage auch ein für alle mal abgeräumt ist?
Althaus: Nein, das nicht, weil – bis zum Jahr 2006 sind Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein Westfalen, wichtige Wahlen. Wir haben außerdem bis dahin auch noch die Aufgabe, inhaltliche Probleme miteinander zu besprechen, unsere Programmatik weiter auszufalten, so dass Anfang 2006 Zeit genug ist, die Kanzlerkandidatur zu entscheiden. Aber die CDU Deutschland ist ja nun mal als Volkspartei maßgeblich auch für diese Frage, und deshalb muss die CDU Deutschland hier auch eine klare personelle Antwort finden. Sie führt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Wir sind mitten in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode. Und wenn ich das zusammennehme, muss es auch auf dem Parteitag eine klare Entscheidung für Angela Merkel geben, damit die Partei, die wirklich ja auch maßgeblich in den Wahlkampf führt, mit ihrer Alternative und auch personellen Konstruktion deutlich wahrgenommen wird.
Detjen: Aber nochmal, für Sie ist es klar, dass da mal auch offiziell Angela Merkel die Kanzlerkandidatin sein wird?
Althaus: Sie hat für mich das erste Zugriffsrecht, das ist doch ganz klar. Sie ist die Bundesvorsitzende der CDU, sie ist die Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU. Insofern stellt sich nicht die Frage, ob sie mit dabei ist oder möglicherweise nicht mit dabei ist. Sie hat eine ganz entscheidende Aufgabe, und ich gehe auch davon aus, dass sie das genau so sieht.
Detjen: Ein Teil der Probleme, die Angela Merkel jetzt im Vorfeld dieser Wahlentscheidung der Partei hat, hat sie sich gerade in den zurückliegenden Tagen selber aufgelastet. Das war dieses Hin und Her in der Frage, ob die CDU eine Unterschriftenkampagne gegen den EU-Beitritt der Türkei starten sollte. Die Forderung kam zunächst aus der CSU, aus Bayern. Hat Sie da mal der Verdacht beschlichen, dass das eine Falle sein könnte, in die Angela Merkel bereitwillig hineingetappt ist?
Althaus: Nun, ich kann das nicht einschätzen. Ich habe mit Michael Glos nicht gesprochen, aber Fakt ist, dass sie auch inhaltliche Argumente hat für diese Entscheidung, die sie in den letzten Tagen verkündet hat, möglicherweise eine Unterschriftenaktion durchzuführen, eben . . .
Detjen: . . . welche Argumente? . . .
Althaus: . . . ja, die Mobilisierung der Bevölkerung für diese wichtige Frage mitzudenken. Ich glaube aber, dass wir beim Grundsatz bleiben sollten, dass hier die inhaltlichen Fragen auch repräsentativ diskutiert werden sollten, dass wir als Partei uns klar äußern, dass wir sagen, dass, wenn Verhandlungen aufgenommen werden mit der Türkei, die auf jeden Fall ergebnisoffen sein müssen. Das heißt, es gilt, an Kriterien sich zu orientieren, und dass deshalb eine einfache ‚Ja-Nein-Antwort‘ über eine Unterschriftenaktion nicht der richtige Weg ist. Sie hat das inzwischen genau so auch eingesehen, hat auch gesagt, dass das von ihr akzeptiert wird, dass die Mehrheit in der Führung es anders sieht. Und ich finde, damit ist das Thema auch zu Ende.
Detjen: Aber man muss ja trotzdem nochmal fragen, wie Angela Merkel dazu kam. Eine Vorsitzende, deren erklärtes Ziel es gerade ist, die CDU zu einer moderneren, zu einer aufgeschlosseneren Partei zu machen, die gerade für urbane, für großstädtische Wählergruppen attraktiv sein soll – das ist doch eigentlich auf den ersten Blick klar, dass sich das nicht mit so einer altbackenen, national konservativ anmutenden Idee wie einer solchen Unterschriftenkampagne vereinbaren lässt.
Althaus: Also, nun gibt es ja in Deutschland Debatten zu plebiszitären Elementen, das heißt Selbstbeteiligung des Volkes bei wichtigen Fragen. Das ist also nichts Altbackenes. Und ich glaube, der Bundeskanzler hat ja in den letzten Wochen und Monaten bewiesen, dass er zum Beispiel bei der Frage der Europäischen Union des Verfassungsvertrages durchaus auch an eine Volksbefragung denken kann. Ich glaube nur, dass dieses Thema so schnell auch instrumenalisiert werden kann, dass es sich nicht eignet für eine Unterschriftenkampagne. Und deshalb ist es gut, dass jetzt über die Unterschriftenaktion auch nicht mehr gesprochen wird. Und Angela Merkel hat ja deutlich gemacht, dass sie sich auch von dieser Idee verabschiedet hat und dass sie auch akzeptiert, dass die Partei in ihrer Führung das mehrheitlich von Anfang an als falsch angesehen hat.
Detjen: Aber das ist ja doch ein denkwürdiges Eingeständnis, wenn die Vorsitzende da sagt, dass sie offenkundig die Stimmung in der eigenen Partei so vollkommen falsch eingeschätzt hat. Was lernt man daraus über Angela Merkel? Dass die Vorsitzende ihre Partei nicht genug kennt? Dass sie führungsschwach ist? Dass sie als politische Führerin wankelmütig ist? Das sind ja auch alles Vorwürfe, die mittlerweile aus den eigenen Reihen gegen sie erhoben werden.
Althaus: Nein, ich lerne daraus, dass sie in der Lage ist, auch Fehler einzugestehen. Es macht ja keinen Sinn, dann an einem Prinzip festzuhalten, wenn die Mehrheit das anders sieht, die Mehrheit in der Führung. Und ich finde, das ist eigentlich ein gutes Beispiel, dass sie in der Führung auch in der Lage ist, einmal Mehrheitsmeinungen, die nicht ihrer Meinungen entsprechen, zu respektieren, zu akzeptieren und sich dann auch kurzfristig dieser Mehrheitsmeinung klar anzuschließen.
Detjen: Herr Althaus, zu den Personalentscheidungen, die der Parteitag in Düsseldorf jetzt Anfang Dezember zu fällen hat, gehört auch die Regelung einer Nachfolge für Friedrich Merz, zumindest dem Präsidium der Partei. Die Fraktion muss dann auch einen Nachfolger finden für den bisher profiliertesten Wirtschafts- und Finanzpolitiker, den die CDU hatte. Wer eigentlich kann Friedrich Merz ersetzen?
Althaus: Ach, da gibt es ja eine ganze Reihe, die auch jetzt in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion diese Politikfelder mit bearbeiten. Mir fallen auch einige in den Landesverbänden ein. ...
Detjen: Welche?
Althaus: ... nun, ich glaube, dass es jetzt falsch wäre, innerhalb von drei, vier Tagen nach der Ankündigung von Friedrich Merz schon wieder in eine öffentliche Personaldebatte zu gehen. Erst einmal muss Angela Merkel für ihr Führungsteam, das dann ja auch bis zur Bundestagswahl führen muss, die Gespräche führen. Sie muss mit Leuten reden, die diese Arbeit ausführen können, mit denen sie dann auch gut zusammenarbeiten kann. Und dann wird es sicher auch einen Zeitpunkt geben – Ende November – dass wir das im Präsidium und im Bundesvorstand besprechen. Und dann wird auch öffentlich darüber diskutiert.
Detjen: Friedrich Merz hat der Parteivorsitzenden Merkel in seinem Schreiben, mit dem er seinen Rücktritt von Führungsämtern erklärt hatte, zugleich die Unterstützung in der noch nicht gelösten Auseinandersetzung mit der Schwesterpartei CSU über die Gesundheitsreform angeboten. Die Konsenssuche mit den CSU-Vertretern in einer kleineren Expertenrunde sollte ja eigentlich in der nun zurückliegenden Woche bereits beginnen. Sie ist dann noch einmal vertagt worden. Kann es eigentlich zwischen diesen ja immer noch unendlich weit auseinander klaffenden, grundsätzlich verschiedenen Konzepten zur Reform des Gesundheitswesens einen echten, guten Kompromiss geben?
Althaus: Nun ja, der Kompromiss muss ja nicht lauten, dass man sozusagen einen Mittelweg zwischen den beiden Konzepten geht. Den gibt es nämlich nicht. Man muss schon entscheiden, ob wir mit dieser Gesundheitsreform ein neues System beginnen, wir die Abkopplung von den Lohnnebenkosten wirklich erreichen wollen, und ob wir den Sozialausgleich sowohl im Blick auf die Familie als auch im Blick auf mögliche Zusatzbelastung nach Steuer organisieren wollen und damit eine gleichmäßige Belastung je nach Einkommenssituation erreichen wollen. Ich denke, dass deshalb dieses inhaltliche Gespräch mit der CSU im Mittelpunkt stehen muss, und ich hoffe sehr, dass die inhaltlichen Argumente, die wir haben, überzeugen. Dass es dann bei der Konzeption zum Beispiel der CDU Varianten geben kann, zum Beispiel auch diese Frage der demographischen Vorleistung, die man erbringen kann, das sehe ich auch. Deswegen glaube ich, besteht die Möglichkeit, Kompromisse zu finden. Aber der Grundsatz, dass man zwischen A und B eigentlich jetzt keinen Mittelweg finden kann, sondern dass man sich dann schon auf eine der beiden Linien einigen muss, der steht. Und wenn ich die Fachwelt in den letzten Tagen richtig verstehe, gibt es in Deutschland keinen, der nicht vom Grundsatz her dieser Prämie das Wort redet. Alle reden für diese Gesundheitsprämie plus Sozialausgleich nach Steuern. Und ich finde, dass deshalb auch die CSU mit uns gemeinsam über Kompromisse in dieser Richtung denken sollte. Und ich hoffe sehr, dass das gelingt, denn dieses Thema ist inzwischen so zugespitzt, dass draußen gar nicht mehr über diesen Sachpunkt vor allen Dingen diskutiert wird, sondern über die Frage: Hat die Union eine Alternative im Blick auf aktuelle Politik. Ich selbst habe nicht zur Zuspitzung beigetragen. Es haben viele zur Zuspitzung beigetragen, auch aus der CSU, auch durch verbale Formulierungen, die unangebracht waren. Und deshalb müssten alle auch mit ein Stück dazu beitragen, dass wir diese Abrüstung bei den Worten vornehmen und am Ende zu einer Entscheidung kommen.
Detjen: Jetzt ging es ja in der Tat nicht nur um eine Sachfrage, sondern es ging auch auf ganz grundsätzlicher Ebene um die Frage, wie man die zukünftigen Wahlkämpfe führt, wie viel Reformbereitschaft man dem Land zutraut, man seinen eigenen Wählern abverlangt. Das ist eine Sorge, die die CSU umtreibt, dass man mit dem Modell, das nun unter dem Begriff ‚Kopfpauschale’ in die Öffentlichkeit gegangen ist, keine Wahlen gewinnen könne. Ist das eigentlich eine Sorge, die Sie als Ministerpräsident eines ostdeutschen Landes, in dem Ihre Wähler ja auch schon durch viele tiefgreifende Transformationsprozesse strapaziert sind, ist das eine Sorge, die Sie auch umtreibt, im Hinblick auf dieses konkrete Reformmodell?
Althaus: Mich treibt schon die Sorge der Vermittlung um, aber mich treibt noch mehr die Sorge um Arbeitsplätze um. Deutschland verliert ständig Arbeitsplätze zur Zeit. Wir diskutieren in diesen Tagen die besonders problematische Situation bei Opel. Und wenn wir die reale Chance für Deutschland bessern wollen, wieder Wachstum und Arbeitsplätze zu generieren, dann muss man etwas für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Deutschland tun. Und da gibt es einige wichtige Aufgaben. Wir müssen ein neues Steuerrecht in Deutschland haben. Unseres ist weder marktfähig noch wettbewerbsfähig. Wir müssen beim Sozialstaat, so auch bei Gesundheit und anderem, zu einem Neuansatz kommen, um eben die Lohnnebenkosten dauerhaft zu entlasten, und zum zweiten dieses System wirklich demographiefest und auch ökonomisch leistungsfähig zu erhalten. Und ich habe den Eindruck und auch ganz konkret die Erfahrung, dass das auch, wenn es vernünftig vermittelt wird, angenommen wird. Wenn natürlich . . .
Detjen: Lassen Sie mich das ganz konkret noch einmal fragen, im Hinblick auf das Gesundheitsreformmodell. Es gibt zwei Haupteinwände, die dagegen erhoben werden und ich würde Sie gerne auch – obwohl wir hier ein längeres Gespräch führen – bitten, das in der Kürze und Prägnanz, die Sie dann im Wahlkampf normalerweise zur Verfügung haben, zu beantworten. Der eine Einwand ist, das Prämienmodell der CDU sei ungerecht, weil der Chefarzt so viel zahlt, wie die Krankenschwester, und das zweite Gegenargument ist: Dieses Modell ist schlicht nicht finanzierbar, weil es einen Sozialausgleich aus Steuermitteln in Höhe von mindestens 25 Milliarden Euro erfordert, die noch nicht gedeckt sind.
Althaus: Also, beim ersten, da wird schlicht die halbe Wahrheit nur gesagt. Die Prämie ist deshalb gleich, weil natürlich jeder vom Grundsatz her gleiche Gesundheitskosten verursacht. Aber der eigentliche Ausgleich wird zukünftig beim Prämienmodell Nachsteuern natürlich von jedem nach seiner Leistungsfähigkeit erbracht. Der, der also deutlich mehr verdient, dieser berühmte Chefarzt, der bisher in der Privatversicherung ist, zahlt überhaupt nichts zum Sozialausgleich derzeit. Er wird also dann, wenn das CDU-Prinzip durchgesetzt wird, natürlich stärker zum Sozialausgleich beitragen als derjenige, der weniger verdient. Und was die Frage der Gegenfinanzierung betrifft: Alles, sowohl die Sozialstaatsreform als auch die anderen zielen darauf ab, den Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähig zu machen. Das heißt, dass wir wieder mehr Einnahmen im Staat realisieren durch mehr Wirtschaftswachstum. Wir haben Steuermindereinnahmen seit drei Jahren kontinuierlich, und wenn es uns nicht gelingt, aus dieser sich abwärtsdrehenden Spirale hinaus zu gehen, und wieder die Voraussetzung für mehr Wachstum zu schaffen, dann wird unser Standort dauerhaft erhebliche Wohlstands- und Sozialstaatsprobleme erhalten und noch verstärken. Und deshalb, glaube ich, stellt sich natürlich die Gegenfinanzierung aktuell in einem Haushaltsjahr. Aber es wird auch damit möglich sein, durch die deutliche Abkopplung der Lohnnebenkosten die Dynamik für mehr Wachstum zu erhöhen und damit auch wieder leistungsfähiger zu werden und Mehreinnahmen zu erzielen.
Detjen: Das, was Sie ‚aktuellen Finanzierungsbedarf im Haushaltsjahr’ nennen, heißt doch schlicht und ergreifend ‚Steuererhöhung’ oder zumindest Reduzierung der Steuersenkungsversprechen, die die CDU im vergangenen Jahr auf ihrem Parteitag gemacht hat?
Althaus: Nein. Wenn man das als Gesamtmodell entwickelt, glaube ich, geht sowohl das neue Steuermodell als auch das Sozialstaatsmodell – sicher in Etappen, dass man zuerst die Sozialstaatsmodelle entscheidet, und dann in einem zweiten Schritt die Steuermodelle, oder aber umgekehrt, beides geht –, und durch die Wachstumsimpulse, die sich daraus ergeben, natürlich auch dann die Mehreinnahmen nutzt, um entsprechende Ausgaben zu realisieren. Ich glaube also, dass es gelingen muss, diese Spirale, die sich abwärts dreht, zu durchbrechen und dass es auch im Ergebnis ganz sicher dazu kommen wird, dass der Staat – das betrifft Bund, Länder und Gemeinden – wieder zu mehr Einnahmen kommt.
Detjen: Herr Althaus, Sie sind noch in Ihrer Eigenschaft als thüringischer Ministerpräsident Präsident des Bundesrates. Am vergangenen Freitag wurde Matthias Platzek als Ihr turnusmäßiger Nachfolger gewählt, der dann am 1. November sein Amt antreten wird. In Ihre Präsidentschaft fiel die wahrscheinlich erste Hälfte der Arbeit der gemeinsamen Bundesstaats-, der Föderalismuskommission von Bundesrat und Bundestag. Das Ringen um eine Neuordnung von Kompetenzen und Finanzströmen in unseren Bundesstaat hat sich als noch komplizierter herausgestellt, als man das ursprünglich angenommen hat. Es soll jetzt eine Einigung zum Ende des Jahres geben. Ist das machbar?
Althaus: Es muss machbar sein. Wir haben mit Blick auf die Europäische Union eine deutliche Veränderung der politischen Zuständigkeiten und deswegen müssen sowohl im Blick auf die Europäische Union als auch zwischen Bund und Ländern die Kompetenzen neu geordnet werden. Über Jahrzehnte ist der Zug einseitig aus den Ländern zum Bund gefahren. Es gibt heute 60 Prozent zustimmungspflichtiger Gesetze. Das heißt, die Verschränkung zwischen Bund und Ländern hat so zugenommen, dass es für viele zu langsam geht, was an politischen Entscheidungen notwendig ist, zum anderen die Intransparenz ständig zugenommen hat. Es liegt also daran, dass wir wahrscheinlich die Kompetenzen auf Bund und Länder zu sehr miteinander verschränkt weiter entwickelt haben und zu wenig darauf geachtet haben, dass die Kompetenzen aufgeteilt gehören. Und genau darum geht es in den nächsten Wochen, dass der Bund einen Teil der Kompetenzen alleine behält ohne Zustimmungspflichtigkeit der Länder, und ein zweites, dass ein Teil der Gesetze zum Beispiel im Blick auf Bildung, im Blick auf Hochschule, auf Forschungsförderung, zum Teil und auch ganz besonders im Blick auf Dienst- und Besoldungsrecht die Länderzuständigkeit erhalten und damit ein Stück mehr Wettbewerbsföderalismus entsteht. Bessere Politik kann dann auch zu besseren Ergebnissen führen.
Detjen: Die Vertreter der Bundesregierung halten dem entgegen, dass das, was Sie Wettbewerbsföderalismus nennen, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Gesamtstaat auf internationaler Ebene, in der internationalen Konkurrenz, in der Deutschland steht, schwächt. Die Länder wollen als Kompensation für ihre Zustimmungsrechte ein neuartiges Zugriffsrecht auf Gesetzgebungsmaterien, die bisher allein der Bund regeln kann. Führt das nicht zwangsläufig zu einer Zersplitterung der deutschen Rechtsordnung, etwa im Bereich Hochschulrecht – jedes Land mit anderen Abschlussregelungen und Zugangsregelungen?
Althaus: Also dieser Wettbewerb kann Deutschland helfen. Wir brauchen ja auch Wettbewerb zwischen den Hochschulen. Und deshalb macht es auch Sinn, dass die Länder diesem wettbewerbunterschiedlichen Rahmen auch die notwendige Zukunft geben. Ich glaube auch, dass es wichtig ist, dass wir noch mal sagen, wir sind ein Bundesstaat. Das heißt, die Bundesregierung mag hier Interessen haben. Aber Fakt ist, die Länder haben den Bund gegründet, und die Länder müssen auch darauf achten, dass diese föderale Grundordnung erhalten bleibt. Wir haben Gesetzgebungskompetenzen in den Ländern, wir haben Landtage in den Ländern, und diese Gesetzgebungskompetenz über die Landtage muss wieder stärker wahrgenommen werden können. Im Gegenzug, da bin ich beim Bund, muss der Bund unabhängiger von den Ländern agieren können. Und deswegen wollen wir auch deutlich weniger zustimmungspflichtige Gesetze, so dass vielleicht am Ende noch 40 oder gar 30 Prozent der Gesetze nur zustimmungspflichtig sind. Der Bund gewinnt also auch dabei, er wird flexibler und schneller.
Detjen: Aber Sie sprechen, Herr Althaus, jetzt die Gründungsgedanken der Bundesrepublik an. Da muss man ja auch anerkennen, dass sich da die Rahmenbedingungen vollständig geändert haben in einer Situation, in der auch die Bundesrepublik wieder nun nur eines von vielen Mitgliedern einer europäischen Union ist, die selber immer mehr Züge eines bundesstaatlichen, staatenbundähnlichen Gebildes annimmt. Da ist es doch nicht mehr zeitgemäß, wenn etwa der Bund gegenüber der Europäischen Union zur Umsetzung von Richtlinien verpflichtet ist, die aus Brüssel kommen, nach der nach nationaler Rechtsordnung dann aber die Länder zur Umsetzung verpflichtet sind.
Althaus: Ich glaube, da übertreiben wie die Zuständigkeitsprozesse der Europäischen Union. Zum Beispiel ist in der Europäischen Union überhaupt nicht ein differenziertes Anerkennungsverfahren für Ausbildung, sondern da wird das Prinzip ‚bona fida’ angewandt, das heißt, die Länder bilden aus, haben schulische und hochschulische Bildungsgänge, und die Freizügigkeit besteht trotzdem. Und ich denke, dass es ein Wert sein kann, dass dieser Wettbewerbsföderalismus in Deutschland auch mehr Leistungsfähigkeit entwickelt. Und natürlich braucht es Gemeinsamkeiten. Die muss der Bund auch organisieren, aber im Grundgesetz steht, der Bund hat für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen. Und das Bundesverfassungsgericht hat gerade bei zwei wichtigen Materien ja entschieden, das heißt auch Unterschiedlichkeit. Juniorprofessur ist ein Beispiel, das sehr aktuell ist, und deshalb denke ich, dass wir auch diese Gleichwertigkeit nicht zur Gleichartigkeit entwickeln dürfen, sondern Gleichwertigkeit heißt durchaus auch Wettbewerb zwischen den Ländern.
Detjen: Sie sprechen das Bundesverfassungsgericht an, Herr Ministerpräsident. Dessen Präsident Hans Jürgen Papier hat in dieser Diskussion gesagt, jeder Versuch, die Bundesstaatlichkeit zu reformieren, sei zum Scheitern verurteilt, wenn man sich nicht an die große Aufgabe wagt, die Länder grundsätzlich neu zu gliedern. Kann es sich die Politik eigentlich leisten, diese Mahnung des obersten Richters unseres Landes so wie bisher schlicht zu ignorieren?
Althaus: Nein. Ich akzeptiere natürlich die Aussage von Herrn Papier als wichtigen Hinweis. Aber ich glaube, es ist in Deutschland und auch Europa nicht bewiesen, dass die Größe von Ländern für oder gegen Prosperität spricht. Wir haben mit der Europäischen Union inzwischen Länder, baltische Staaten als Beispiel, die ganz tolle Entwicklung generieren. Und die haben wenig Einwohner im Vergleich zu den ganz großen Staaten in Europa. Wir haben innerhalb Deutschlands Länder, die in unterschiedlicher Größe trotzdem hervorragende Entwicklung generieren. Wir sind inzwischen mit Sachsen und Thüringen, was die Industrieentwicklung angeht, deutlich vor anderen Ländern in Deutschland, die weitaus größer sind. Also, es geht um die bessere Politik in den Ländern, und natürlich geht es auch darum, dass der Staat sich verschlankt, das heißt, wir müssen immer die Verwaltungen konzentrieren, überprüfen und als Dienstleistungsaufgaben definieren. Aber die Länderfusion war richtig, dass wir darüber nicht diskutiert haben und dass wir die Länderstruktur vor die Klammer gezogen haben. Wenn wir das nicht getan hätten, wären wir bei dieser Föderalismuskommissionsdiskussion keinen Schritt voran gekommen.
Detjen: Herr Ministerpräsident, vielen Dank für das Gespräch.
Detjen: Dann bleiben wir doch gleich nochmal bei der Personalfrage, bei der Vorsitzenden. Sie haben das angedeutet, Angela Merkel stellt sich auf dem Bundesparteitag Anfang Dezember in Düsseldorf zur Wiederwahl. Bei den Auseinandersetzungen, die innerhalb der CDU, aber auch zwischen CDU und CSU geführt wurden, sind ja doch sehr deutlich immer wieder persönliche Spitzen gegen Angela Merkel hörbar geworden. In welchem Maß ist da deutlich geworden, dass sich weite Teile der Partei des – sagen wir es zugespitzt – westlichen Establishments der Union immer noch nicht damit angefreundet haben, dass an der Spitze eine Frau aus dem Osten steht?
Althaus: Ja, wenn das so ist, tut mir das persönlich auch weh, weil ich glaube, sie hat über die letzten Jahre seit 1990 bewiesen, dass sie in dieser CDU nicht nur zu Hause ist, sondern auch die Inhalte dieser CDU verinnerlicht und mitgeprägt hat. Insofern denke ich, wäre es kein Ost-West-Thema. Es kann nicht die Ursache sein, dass sie woanders geboren ist und dass sie mit einer anderen Erziehung aufgewachsen ist. Ich glaube also, dass die Entscheidung vor vier Jahren mit der Vorsitzenden jetzt auch nachvollzogen werden muss. Das heißt, der Parteitag muss ein ganz klares Signal für Angela Merkel geben, dass sie auch von der Partei gestützt wird, denn sie hat die inhaltliche Erneuerung der CDU maßgeblich bewegt. Das hatten wir im letzten Jahr in Leipzig ganz deutlich auch gespürt, und sie hat auch in der Partei dafür Sorge getragen, dass wir die ganz schwierige Debatte nach der Spendenaffäre gut überwunden haben. Und nicht zuletzt haben wir in den letzten Jahren sehr viele Landtagswahlen gewonnen. Das hat ja auch mit dem Gesamtzustand der CDU zu tun.
Detjen: Was ist denn das Ergebnis, das Angela Merkel bei ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden auf dem Parteitag in Düsseldorf braucht? Braucht sie ein wirklich gutes Ergebnis, oder reicht es ihr auch, das zu bekommen, was man in der Politikersprache dann ein ‚ehrliches‘ Ergebnis nennt?
Althaus: Nein, ich denke, ein ehrliches Ergebnis ist richtig. Das heißt, dass wirklich auch diejenigen, die möglicherweise inhaltliche Kritik haben, personelle Kritik haben, die auch äußern. Das wäre auch wichtig. Es hat keinen Sinn, hinter verschlossenen Türen immer nur die Kritik aus dritter Hand zu hören. Sondern das muss der Parteitag leisten, er muss sich inhaltlich klar äußern, er muss klare Personalentscheidungen führen, er muss Angela Merkel ein deutliches Vertrauen aussprechen, aber er muss eben auch, wenn Probleme existieren, die offen ansprechen. Und ich glaube, das möchte auch Angela Merkel, weil sie ja wissen will, ob die Partei dann auch für die nächsten Monate, die wichtigsten mit Blick auf das Jahr 2006, hinter ihr steht.
Detjen: Sie haben gesagt, da darf jetzt nicht weiter hinter den verschlossenen Türen intrigiert werden. Würden Sie es denn ausschließen, dass da hinter verschlossenen Türen einige mächtige Männer aus dem Westen, aus dem Süden der CDU sich zusammengesetzt haben und sagen: So, jetzt gerade vor dem Parteitag schauen wir doch mal, wo die Belastungsgrenze von Angela Merkel wirklich liegt und ob sie am Schluss nicht kippt?
Althaus: Also ich kann das nicht ausschließen, dass dahinter auch solche Gedanken einen Weg gehen. Aber ich denke wirklich, das wäre fatal. Ich glaube, dass die CDU/CSU die wichtige Aufgabe hat, eine inhaltliche Alternative zur derzeitigen rot-grünen Politik aufzuzeigen. Sie muss damit anschließen an die Politik, die sie bis 98 letztlich auch verantwortlich gestaltet hat. Sie ist die Partei der deutschen Einheit, und es wäre deshalb auch wichtig, dass wir diese Alternative personell deutlich stärken, denn die Menschen wählen am Ende nicht Programme, sondern sie wählen Menschen, denen sie vertrauen. Und demzufolge müssen wir selbst auch unserer Vorsitzenden ein entsprechendes Vertrauen entgegenbringen, damit auch nach außen sichtbar wird, dass die Partei inhaltlich geschlossen ist, aber eben auch personell klar geführt, und damit auch klar geschlossen wahrgenommen werden kann.
Detjen: Heißt das, dass Angela Merkel jetzt bei dieser Gelegenheit, am besten auf dem Parteitag in Düsseldorf, auch gleich zur Kanzlerkandidatin gekürt werden sollte, damit diese Frage auch ein für alle mal abgeräumt ist?
Althaus: Nein, das nicht, weil – bis zum Jahr 2006 sind Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein Westfalen, wichtige Wahlen. Wir haben außerdem bis dahin auch noch die Aufgabe, inhaltliche Probleme miteinander zu besprechen, unsere Programmatik weiter auszufalten, so dass Anfang 2006 Zeit genug ist, die Kanzlerkandidatur zu entscheiden. Aber die CDU Deutschland ist ja nun mal als Volkspartei maßgeblich auch für diese Frage, und deshalb muss die CDU Deutschland hier auch eine klare personelle Antwort finden. Sie führt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Wir sind mitten in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode. Und wenn ich das zusammennehme, muss es auch auf dem Parteitag eine klare Entscheidung für Angela Merkel geben, damit die Partei, die wirklich ja auch maßgeblich in den Wahlkampf führt, mit ihrer Alternative und auch personellen Konstruktion deutlich wahrgenommen wird.
Detjen: Aber nochmal, für Sie ist es klar, dass da mal auch offiziell Angela Merkel die Kanzlerkandidatin sein wird?
Althaus: Sie hat für mich das erste Zugriffsrecht, das ist doch ganz klar. Sie ist die Bundesvorsitzende der CDU, sie ist die Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU. Insofern stellt sich nicht die Frage, ob sie mit dabei ist oder möglicherweise nicht mit dabei ist. Sie hat eine ganz entscheidende Aufgabe, und ich gehe auch davon aus, dass sie das genau so sieht.
Detjen: Ein Teil der Probleme, die Angela Merkel jetzt im Vorfeld dieser Wahlentscheidung der Partei hat, hat sie sich gerade in den zurückliegenden Tagen selber aufgelastet. Das war dieses Hin und Her in der Frage, ob die CDU eine Unterschriftenkampagne gegen den EU-Beitritt der Türkei starten sollte. Die Forderung kam zunächst aus der CSU, aus Bayern. Hat Sie da mal der Verdacht beschlichen, dass das eine Falle sein könnte, in die Angela Merkel bereitwillig hineingetappt ist?
Althaus: Nun, ich kann das nicht einschätzen. Ich habe mit Michael Glos nicht gesprochen, aber Fakt ist, dass sie auch inhaltliche Argumente hat für diese Entscheidung, die sie in den letzten Tagen verkündet hat, möglicherweise eine Unterschriftenaktion durchzuführen, eben . . .
Detjen: . . . welche Argumente? . . .
Althaus: . . . ja, die Mobilisierung der Bevölkerung für diese wichtige Frage mitzudenken. Ich glaube aber, dass wir beim Grundsatz bleiben sollten, dass hier die inhaltlichen Fragen auch repräsentativ diskutiert werden sollten, dass wir als Partei uns klar äußern, dass wir sagen, dass, wenn Verhandlungen aufgenommen werden mit der Türkei, die auf jeden Fall ergebnisoffen sein müssen. Das heißt, es gilt, an Kriterien sich zu orientieren, und dass deshalb eine einfache ‚Ja-Nein-Antwort‘ über eine Unterschriftenaktion nicht der richtige Weg ist. Sie hat das inzwischen genau so auch eingesehen, hat auch gesagt, dass das von ihr akzeptiert wird, dass die Mehrheit in der Führung es anders sieht. Und ich finde, damit ist das Thema auch zu Ende.
Detjen: Aber man muss ja trotzdem nochmal fragen, wie Angela Merkel dazu kam. Eine Vorsitzende, deren erklärtes Ziel es gerade ist, die CDU zu einer moderneren, zu einer aufgeschlosseneren Partei zu machen, die gerade für urbane, für großstädtische Wählergruppen attraktiv sein soll – das ist doch eigentlich auf den ersten Blick klar, dass sich das nicht mit so einer altbackenen, national konservativ anmutenden Idee wie einer solchen Unterschriftenkampagne vereinbaren lässt.
Althaus: Also, nun gibt es ja in Deutschland Debatten zu plebiszitären Elementen, das heißt Selbstbeteiligung des Volkes bei wichtigen Fragen. Das ist also nichts Altbackenes. Und ich glaube, der Bundeskanzler hat ja in den letzten Wochen und Monaten bewiesen, dass er zum Beispiel bei der Frage der Europäischen Union des Verfassungsvertrages durchaus auch an eine Volksbefragung denken kann. Ich glaube nur, dass dieses Thema so schnell auch instrumenalisiert werden kann, dass es sich nicht eignet für eine Unterschriftenkampagne. Und deshalb ist es gut, dass jetzt über die Unterschriftenaktion auch nicht mehr gesprochen wird. Und Angela Merkel hat ja deutlich gemacht, dass sie sich auch von dieser Idee verabschiedet hat und dass sie auch akzeptiert, dass die Partei in ihrer Führung das mehrheitlich von Anfang an als falsch angesehen hat.
Detjen: Aber das ist ja doch ein denkwürdiges Eingeständnis, wenn die Vorsitzende da sagt, dass sie offenkundig die Stimmung in der eigenen Partei so vollkommen falsch eingeschätzt hat. Was lernt man daraus über Angela Merkel? Dass die Vorsitzende ihre Partei nicht genug kennt? Dass sie führungsschwach ist? Dass sie als politische Führerin wankelmütig ist? Das sind ja auch alles Vorwürfe, die mittlerweile aus den eigenen Reihen gegen sie erhoben werden.
Althaus: Nein, ich lerne daraus, dass sie in der Lage ist, auch Fehler einzugestehen. Es macht ja keinen Sinn, dann an einem Prinzip festzuhalten, wenn die Mehrheit das anders sieht, die Mehrheit in der Führung. Und ich finde, das ist eigentlich ein gutes Beispiel, dass sie in der Führung auch in der Lage ist, einmal Mehrheitsmeinungen, die nicht ihrer Meinungen entsprechen, zu respektieren, zu akzeptieren und sich dann auch kurzfristig dieser Mehrheitsmeinung klar anzuschließen.
Detjen: Herr Althaus, zu den Personalentscheidungen, die der Parteitag in Düsseldorf jetzt Anfang Dezember zu fällen hat, gehört auch die Regelung einer Nachfolge für Friedrich Merz, zumindest dem Präsidium der Partei. Die Fraktion muss dann auch einen Nachfolger finden für den bisher profiliertesten Wirtschafts- und Finanzpolitiker, den die CDU hatte. Wer eigentlich kann Friedrich Merz ersetzen?
Althaus: Ach, da gibt es ja eine ganze Reihe, die auch jetzt in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion diese Politikfelder mit bearbeiten. Mir fallen auch einige in den Landesverbänden ein. ...
Detjen: Welche?
Althaus: ... nun, ich glaube, dass es jetzt falsch wäre, innerhalb von drei, vier Tagen nach der Ankündigung von Friedrich Merz schon wieder in eine öffentliche Personaldebatte zu gehen. Erst einmal muss Angela Merkel für ihr Führungsteam, das dann ja auch bis zur Bundestagswahl führen muss, die Gespräche führen. Sie muss mit Leuten reden, die diese Arbeit ausführen können, mit denen sie dann auch gut zusammenarbeiten kann. Und dann wird es sicher auch einen Zeitpunkt geben – Ende November – dass wir das im Präsidium und im Bundesvorstand besprechen. Und dann wird auch öffentlich darüber diskutiert.
Detjen: Friedrich Merz hat der Parteivorsitzenden Merkel in seinem Schreiben, mit dem er seinen Rücktritt von Führungsämtern erklärt hatte, zugleich die Unterstützung in der noch nicht gelösten Auseinandersetzung mit der Schwesterpartei CSU über die Gesundheitsreform angeboten. Die Konsenssuche mit den CSU-Vertretern in einer kleineren Expertenrunde sollte ja eigentlich in der nun zurückliegenden Woche bereits beginnen. Sie ist dann noch einmal vertagt worden. Kann es eigentlich zwischen diesen ja immer noch unendlich weit auseinander klaffenden, grundsätzlich verschiedenen Konzepten zur Reform des Gesundheitswesens einen echten, guten Kompromiss geben?
Althaus: Nun ja, der Kompromiss muss ja nicht lauten, dass man sozusagen einen Mittelweg zwischen den beiden Konzepten geht. Den gibt es nämlich nicht. Man muss schon entscheiden, ob wir mit dieser Gesundheitsreform ein neues System beginnen, wir die Abkopplung von den Lohnnebenkosten wirklich erreichen wollen, und ob wir den Sozialausgleich sowohl im Blick auf die Familie als auch im Blick auf mögliche Zusatzbelastung nach Steuer organisieren wollen und damit eine gleichmäßige Belastung je nach Einkommenssituation erreichen wollen. Ich denke, dass deshalb dieses inhaltliche Gespräch mit der CSU im Mittelpunkt stehen muss, und ich hoffe sehr, dass die inhaltlichen Argumente, die wir haben, überzeugen. Dass es dann bei der Konzeption zum Beispiel der CDU Varianten geben kann, zum Beispiel auch diese Frage der demographischen Vorleistung, die man erbringen kann, das sehe ich auch. Deswegen glaube ich, besteht die Möglichkeit, Kompromisse zu finden. Aber der Grundsatz, dass man zwischen A und B eigentlich jetzt keinen Mittelweg finden kann, sondern dass man sich dann schon auf eine der beiden Linien einigen muss, der steht. Und wenn ich die Fachwelt in den letzten Tagen richtig verstehe, gibt es in Deutschland keinen, der nicht vom Grundsatz her dieser Prämie das Wort redet. Alle reden für diese Gesundheitsprämie plus Sozialausgleich nach Steuern. Und ich finde, dass deshalb auch die CSU mit uns gemeinsam über Kompromisse in dieser Richtung denken sollte. Und ich hoffe sehr, dass das gelingt, denn dieses Thema ist inzwischen so zugespitzt, dass draußen gar nicht mehr über diesen Sachpunkt vor allen Dingen diskutiert wird, sondern über die Frage: Hat die Union eine Alternative im Blick auf aktuelle Politik. Ich selbst habe nicht zur Zuspitzung beigetragen. Es haben viele zur Zuspitzung beigetragen, auch aus der CSU, auch durch verbale Formulierungen, die unangebracht waren. Und deshalb müssten alle auch mit ein Stück dazu beitragen, dass wir diese Abrüstung bei den Worten vornehmen und am Ende zu einer Entscheidung kommen.
Detjen: Jetzt ging es ja in der Tat nicht nur um eine Sachfrage, sondern es ging auch auf ganz grundsätzlicher Ebene um die Frage, wie man die zukünftigen Wahlkämpfe führt, wie viel Reformbereitschaft man dem Land zutraut, man seinen eigenen Wählern abverlangt. Das ist eine Sorge, die die CSU umtreibt, dass man mit dem Modell, das nun unter dem Begriff ‚Kopfpauschale’ in die Öffentlichkeit gegangen ist, keine Wahlen gewinnen könne. Ist das eigentlich eine Sorge, die Sie als Ministerpräsident eines ostdeutschen Landes, in dem Ihre Wähler ja auch schon durch viele tiefgreifende Transformationsprozesse strapaziert sind, ist das eine Sorge, die Sie auch umtreibt, im Hinblick auf dieses konkrete Reformmodell?
Althaus: Mich treibt schon die Sorge der Vermittlung um, aber mich treibt noch mehr die Sorge um Arbeitsplätze um. Deutschland verliert ständig Arbeitsplätze zur Zeit. Wir diskutieren in diesen Tagen die besonders problematische Situation bei Opel. Und wenn wir die reale Chance für Deutschland bessern wollen, wieder Wachstum und Arbeitsplätze zu generieren, dann muss man etwas für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Deutschland tun. Und da gibt es einige wichtige Aufgaben. Wir müssen ein neues Steuerrecht in Deutschland haben. Unseres ist weder marktfähig noch wettbewerbsfähig. Wir müssen beim Sozialstaat, so auch bei Gesundheit und anderem, zu einem Neuansatz kommen, um eben die Lohnnebenkosten dauerhaft zu entlasten, und zum zweiten dieses System wirklich demographiefest und auch ökonomisch leistungsfähig zu erhalten. Und ich habe den Eindruck und auch ganz konkret die Erfahrung, dass das auch, wenn es vernünftig vermittelt wird, angenommen wird. Wenn natürlich . . .
Detjen: Lassen Sie mich das ganz konkret noch einmal fragen, im Hinblick auf das Gesundheitsreformmodell. Es gibt zwei Haupteinwände, die dagegen erhoben werden und ich würde Sie gerne auch – obwohl wir hier ein längeres Gespräch führen – bitten, das in der Kürze und Prägnanz, die Sie dann im Wahlkampf normalerweise zur Verfügung haben, zu beantworten. Der eine Einwand ist, das Prämienmodell der CDU sei ungerecht, weil der Chefarzt so viel zahlt, wie die Krankenschwester, und das zweite Gegenargument ist: Dieses Modell ist schlicht nicht finanzierbar, weil es einen Sozialausgleich aus Steuermitteln in Höhe von mindestens 25 Milliarden Euro erfordert, die noch nicht gedeckt sind.
Althaus: Also, beim ersten, da wird schlicht die halbe Wahrheit nur gesagt. Die Prämie ist deshalb gleich, weil natürlich jeder vom Grundsatz her gleiche Gesundheitskosten verursacht. Aber der eigentliche Ausgleich wird zukünftig beim Prämienmodell Nachsteuern natürlich von jedem nach seiner Leistungsfähigkeit erbracht. Der, der also deutlich mehr verdient, dieser berühmte Chefarzt, der bisher in der Privatversicherung ist, zahlt überhaupt nichts zum Sozialausgleich derzeit. Er wird also dann, wenn das CDU-Prinzip durchgesetzt wird, natürlich stärker zum Sozialausgleich beitragen als derjenige, der weniger verdient. Und was die Frage der Gegenfinanzierung betrifft: Alles, sowohl die Sozialstaatsreform als auch die anderen zielen darauf ab, den Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähig zu machen. Das heißt, dass wir wieder mehr Einnahmen im Staat realisieren durch mehr Wirtschaftswachstum. Wir haben Steuermindereinnahmen seit drei Jahren kontinuierlich, und wenn es uns nicht gelingt, aus dieser sich abwärtsdrehenden Spirale hinaus zu gehen, und wieder die Voraussetzung für mehr Wachstum zu schaffen, dann wird unser Standort dauerhaft erhebliche Wohlstands- und Sozialstaatsprobleme erhalten und noch verstärken. Und deshalb, glaube ich, stellt sich natürlich die Gegenfinanzierung aktuell in einem Haushaltsjahr. Aber es wird auch damit möglich sein, durch die deutliche Abkopplung der Lohnnebenkosten die Dynamik für mehr Wachstum zu erhöhen und damit auch wieder leistungsfähiger zu werden und Mehreinnahmen zu erzielen.
Detjen: Das, was Sie ‚aktuellen Finanzierungsbedarf im Haushaltsjahr’ nennen, heißt doch schlicht und ergreifend ‚Steuererhöhung’ oder zumindest Reduzierung der Steuersenkungsversprechen, die die CDU im vergangenen Jahr auf ihrem Parteitag gemacht hat?
Althaus: Nein. Wenn man das als Gesamtmodell entwickelt, glaube ich, geht sowohl das neue Steuermodell als auch das Sozialstaatsmodell – sicher in Etappen, dass man zuerst die Sozialstaatsmodelle entscheidet, und dann in einem zweiten Schritt die Steuermodelle, oder aber umgekehrt, beides geht –, und durch die Wachstumsimpulse, die sich daraus ergeben, natürlich auch dann die Mehreinnahmen nutzt, um entsprechende Ausgaben zu realisieren. Ich glaube also, dass es gelingen muss, diese Spirale, die sich abwärts dreht, zu durchbrechen und dass es auch im Ergebnis ganz sicher dazu kommen wird, dass der Staat – das betrifft Bund, Länder und Gemeinden – wieder zu mehr Einnahmen kommt.
Detjen: Herr Althaus, Sie sind noch in Ihrer Eigenschaft als thüringischer Ministerpräsident Präsident des Bundesrates. Am vergangenen Freitag wurde Matthias Platzek als Ihr turnusmäßiger Nachfolger gewählt, der dann am 1. November sein Amt antreten wird. In Ihre Präsidentschaft fiel die wahrscheinlich erste Hälfte der Arbeit der gemeinsamen Bundesstaats-, der Föderalismuskommission von Bundesrat und Bundestag. Das Ringen um eine Neuordnung von Kompetenzen und Finanzströmen in unseren Bundesstaat hat sich als noch komplizierter herausgestellt, als man das ursprünglich angenommen hat. Es soll jetzt eine Einigung zum Ende des Jahres geben. Ist das machbar?
Althaus: Es muss machbar sein. Wir haben mit Blick auf die Europäische Union eine deutliche Veränderung der politischen Zuständigkeiten und deswegen müssen sowohl im Blick auf die Europäische Union als auch zwischen Bund und Ländern die Kompetenzen neu geordnet werden. Über Jahrzehnte ist der Zug einseitig aus den Ländern zum Bund gefahren. Es gibt heute 60 Prozent zustimmungspflichtiger Gesetze. Das heißt, die Verschränkung zwischen Bund und Ländern hat so zugenommen, dass es für viele zu langsam geht, was an politischen Entscheidungen notwendig ist, zum anderen die Intransparenz ständig zugenommen hat. Es liegt also daran, dass wir wahrscheinlich die Kompetenzen auf Bund und Länder zu sehr miteinander verschränkt weiter entwickelt haben und zu wenig darauf geachtet haben, dass die Kompetenzen aufgeteilt gehören. Und genau darum geht es in den nächsten Wochen, dass der Bund einen Teil der Kompetenzen alleine behält ohne Zustimmungspflichtigkeit der Länder, und ein zweites, dass ein Teil der Gesetze zum Beispiel im Blick auf Bildung, im Blick auf Hochschule, auf Forschungsförderung, zum Teil und auch ganz besonders im Blick auf Dienst- und Besoldungsrecht die Länderzuständigkeit erhalten und damit ein Stück mehr Wettbewerbsföderalismus entsteht. Bessere Politik kann dann auch zu besseren Ergebnissen führen.
Detjen: Die Vertreter der Bundesregierung halten dem entgegen, dass das, was Sie Wettbewerbsföderalismus nennen, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Gesamtstaat auf internationaler Ebene, in der internationalen Konkurrenz, in der Deutschland steht, schwächt. Die Länder wollen als Kompensation für ihre Zustimmungsrechte ein neuartiges Zugriffsrecht auf Gesetzgebungsmaterien, die bisher allein der Bund regeln kann. Führt das nicht zwangsläufig zu einer Zersplitterung der deutschen Rechtsordnung, etwa im Bereich Hochschulrecht – jedes Land mit anderen Abschlussregelungen und Zugangsregelungen?
Althaus: Also dieser Wettbewerb kann Deutschland helfen. Wir brauchen ja auch Wettbewerb zwischen den Hochschulen. Und deshalb macht es auch Sinn, dass die Länder diesem wettbewerbunterschiedlichen Rahmen auch die notwendige Zukunft geben. Ich glaube auch, dass es wichtig ist, dass wir noch mal sagen, wir sind ein Bundesstaat. Das heißt, die Bundesregierung mag hier Interessen haben. Aber Fakt ist, die Länder haben den Bund gegründet, und die Länder müssen auch darauf achten, dass diese föderale Grundordnung erhalten bleibt. Wir haben Gesetzgebungskompetenzen in den Ländern, wir haben Landtage in den Ländern, und diese Gesetzgebungskompetenz über die Landtage muss wieder stärker wahrgenommen werden können. Im Gegenzug, da bin ich beim Bund, muss der Bund unabhängiger von den Ländern agieren können. Und deswegen wollen wir auch deutlich weniger zustimmungspflichtige Gesetze, so dass vielleicht am Ende noch 40 oder gar 30 Prozent der Gesetze nur zustimmungspflichtig sind. Der Bund gewinnt also auch dabei, er wird flexibler und schneller.
Detjen: Aber Sie sprechen, Herr Althaus, jetzt die Gründungsgedanken der Bundesrepublik an. Da muss man ja auch anerkennen, dass sich da die Rahmenbedingungen vollständig geändert haben in einer Situation, in der auch die Bundesrepublik wieder nun nur eines von vielen Mitgliedern einer europäischen Union ist, die selber immer mehr Züge eines bundesstaatlichen, staatenbundähnlichen Gebildes annimmt. Da ist es doch nicht mehr zeitgemäß, wenn etwa der Bund gegenüber der Europäischen Union zur Umsetzung von Richtlinien verpflichtet ist, die aus Brüssel kommen, nach der nach nationaler Rechtsordnung dann aber die Länder zur Umsetzung verpflichtet sind.
Althaus: Ich glaube, da übertreiben wie die Zuständigkeitsprozesse der Europäischen Union. Zum Beispiel ist in der Europäischen Union überhaupt nicht ein differenziertes Anerkennungsverfahren für Ausbildung, sondern da wird das Prinzip ‚bona fida’ angewandt, das heißt, die Länder bilden aus, haben schulische und hochschulische Bildungsgänge, und die Freizügigkeit besteht trotzdem. Und ich denke, dass es ein Wert sein kann, dass dieser Wettbewerbsföderalismus in Deutschland auch mehr Leistungsfähigkeit entwickelt. Und natürlich braucht es Gemeinsamkeiten. Die muss der Bund auch organisieren, aber im Grundgesetz steht, der Bund hat für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen. Und das Bundesverfassungsgericht hat gerade bei zwei wichtigen Materien ja entschieden, das heißt auch Unterschiedlichkeit. Juniorprofessur ist ein Beispiel, das sehr aktuell ist, und deshalb denke ich, dass wir auch diese Gleichwertigkeit nicht zur Gleichartigkeit entwickeln dürfen, sondern Gleichwertigkeit heißt durchaus auch Wettbewerb zwischen den Ländern.
Detjen: Sie sprechen das Bundesverfassungsgericht an, Herr Ministerpräsident. Dessen Präsident Hans Jürgen Papier hat in dieser Diskussion gesagt, jeder Versuch, die Bundesstaatlichkeit zu reformieren, sei zum Scheitern verurteilt, wenn man sich nicht an die große Aufgabe wagt, die Länder grundsätzlich neu zu gliedern. Kann es sich die Politik eigentlich leisten, diese Mahnung des obersten Richters unseres Landes so wie bisher schlicht zu ignorieren?
Althaus: Nein. Ich akzeptiere natürlich die Aussage von Herrn Papier als wichtigen Hinweis. Aber ich glaube, es ist in Deutschland und auch Europa nicht bewiesen, dass die Größe von Ländern für oder gegen Prosperität spricht. Wir haben mit der Europäischen Union inzwischen Länder, baltische Staaten als Beispiel, die ganz tolle Entwicklung generieren. Und die haben wenig Einwohner im Vergleich zu den ganz großen Staaten in Europa. Wir haben innerhalb Deutschlands Länder, die in unterschiedlicher Größe trotzdem hervorragende Entwicklung generieren. Wir sind inzwischen mit Sachsen und Thüringen, was die Industrieentwicklung angeht, deutlich vor anderen Ländern in Deutschland, die weitaus größer sind. Also, es geht um die bessere Politik in den Ländern, und natürlich geht es auch darum, dass der Staat sich verschlankt, das heißt, wir müssen immer die Verwaltungen konzentrieren, überprüfen und als Dienstleistungsaufgaben definieren. Aber die Länderfusion war richtig, dass wir darüber nicht diskutiert haben und dass wir die Länderstruktur vor die Klammer gezogen haben. Wenn wir das nicht getan hätten, wären wir bei dieser Föderalismuskommissionsdiskussion keinen Schritt voran gekommen.
Detjen: Herr Ministerpräsident, vielen Dank für das Gespräch.