" Wir haben hier einen massiven Eintrag im Bereich der Kokereinebengewinnung. Das ist eine Fläche von ungefähr 200 mal 150 Metern, wo wir massive Teerölbelastungen im Untergrund haben. Diese Schadensquelle wird durchströmt durch das Grundwasser, und die Schadstoffe werden dann praktisch über das Grundwasser ausgetragen. Und dieser Schaden ist relativ alt, wahrscheinlich während des 2. Weltkrieges durch massive Bombardierung. "
Die Kriegsschäden an der Kokerei haben dazu geführt, dass auch heute noch rund 750 Tonnen ausgelaufenes Teeröl den Untergrund verschmutzen, sagt Christoph Wortmann vom Umwelttechnikunternehmen Weßling. Eigentümerin der Fläche ist, wie in vielen ähnlichen Fällen im Revier, die Landesentwicklungsgesellschaft Nordrhein-Westfalen. Die LEG plant auf dem ehemaligen Zechengelände ein Gewerbegebiet für Handwerksbetriebe und andere Mittelständler. Doch eine Boden- und Grundwassersanierung mit herkömmlichen Verfahren hätte rund 50 Millionen Euro gekostet, sagt Christoph Wortmann. Deshalb vertraut er auf die Selbstheilungskräfte der Natur, die die Schadstoffe langfristig abbauen. In der Fachsprache heißt das Natural Attenuation:
" Natural Attenuation kann man beschreiben als natürliche Schadstoff-Verringerung. Das ist ein Prozess, der üblicherweise natürlich im Untergrund stattfindet. Und das sind drei Prozesse. Einmal der mikrobiologische Abbau, der eine große Rolle spielt. Dann Sorption, das heißt, Schadstoffe werden an den Bodenmaterialien gebunden, und als dritter Prozess kann man die Verdünnung nennen, das heißt die Verdünnung mit Niederschlagswässern."
Dabei baut der Boden die notwendigen Mikroorganismen erst nach und nach auf und reagiert damit auf die Schadstoffe. 20 bis 30 Jahre durchschnittlich dauere dieser Anpassungsprozess, erklärt Ingenieur Wortmann. 15 blaue Rohre ragen aus dem Testfeld: Grundwasser-Messstellen, aus denen die Ingenieure zweimal pro Jahr Proben entnehmen. Die Ergebnisse sind positiv:
" Das heißt, die Mikroorganismen bauen auch wirklich die Schadstoffe ab, es ist keine Verdünnung und keine reine Sorption, sondern wirklich auch ein Schadstoffabbau. Wir stehen ja hier auf einem Testfeld, und wir haben auf einer Fließlänge von 30 Metern eine sehr starke Schadstoffverringerung festgestellt, das heißt, die Schadstoffe, die hier in das Testfeld reinfließen, verringern sich um 95 Prozent."
…im Laufe eines Jahres, verglichen mit der Belastung an der Schadstoffquelle. Viktor 3/4 ist nur einer von bundesweit 18 Standorten des Forschungsverbundes Kora. Unter Federführung des Bundesforschungsministeriums untersuchen Experten auf ehemaligen Zechen, Deponien und in Chemiewerken, wie der natürliche Schadstoffabbau im Boden genau funktioniert. Da mag sich mancher fragen: Braucht man gleich ein ganzes Forschungsprojekt, um jene Prozesse zu überwachen, die offenbar von Natur aus im Boden ablaufen?
" Qualifiziertes Nichtstun, denke ich, ist etwas provokant sicherlich. Also Natural Attenuation ist keine Sanierungsmaßnahme, sondern letztendlich eine Handlungsoption. Im Rahmen von Verhältnismäßigkeitsprüfungen muss letztendlich nachgewiesen werden, dass man mit herkömmlichen Sanierungsmaßnahmen nicht zu einem gewünschten Ziel kommt. Und erst dann ist Natural Attenuation eine Handlungsmaßnahme. "
Die ist auch im oberpfälzischen Weiden erste Wahl. Das Sorgenkind der Stadt ist eine ehemalige Mülldeponie, die bis 1998 in Betrieb war und seitdem die Trinkwasserbrunnen der Region gefährdet. Wie im Fall Viktor war auch hier schnell klar: An eine Sanierung im eigentlichen Sinne ist nicht zu denken bei einer Fläche so groß wie 30 Fußballfelder. Auch die Stadt Weiden setzt nun auf den natürlichen Schadstoffabbau. Damit die gefährlichen Stoffe aber nicht doch durch Niederschläge ins Trinkwasser geraten, wird der Natur noch ein wenig unter die Arme gegriffen – Enhanced Natural Attenuation nennen Experten dieses Eingreifen des Menschen in den natürlichen Schadstoffabbau. Ingenieure der Umwelttechnik-Firma Finsterwalder aus Bernau am Chiemsee versehen das riesige Deponiegelände sandwichartig mit einer biologischen Schutzschicht aus Folien, Erdreich und Laubwald, erklärt Firmenchef Klemens Finsterwalder:
" Die Kurzzeitsicherung ist eine Folienabdichtung, kombiniert mit einer Drain-Matte. Die hält zwar auch so zwischen 75 und 150 Jahre, aber gemessen an dem Zeitraum, in dem Emmissionen auftreten können – das sind Zeiträume, die zwischen 1000 und 3000 Jahre liegen – sind diese 75 Jahre eben eine kurze Zeit. Und die Langzeitsicherung, die besteht aus einer zwei Meter dicken Rekultivierungsschicht mit einer guten Wasserspeicher-Kapazität und einem darauf gepflanzten Wald aus einheimischen Gehölzen. Und je länger und höher dieser Wald wächst, um so größer wird seine Vedunstungskapazität, um so geringer eben dann das, was an Niederschlagswasser noch durchsickern kann."
Spatenstich für das bayerische Pilot-Projekt war im September des vergangenen Jahres, bis Ende 2006 soll der Laubwald gepflanzt sein. Dann, so Ingenieur Finsterwalder, habe man ein biologisches System, das sich immer wieder selbst erneuert:
" Deswegen kann man sagen, dass diese Deponie Weiden-West auch die nächsten 500 oder 1000 Jahre überstehen wird. Natürlich ist es wichtig, dass im Grundbuch eingetragen ist, dass das eine Deponie ist und dass dieser Wald nicht abgeholzt werden darf, aber er kann ganz normal genutzt werden."
Noch haben Projekte wie Weiden-West und die Zeche Viktor 3/4 Pilotcharakter. Erst die längerfristige Beobachtung der Standorte wird zeigen, ob sich Natural Attenuation wirklich durchsetzen kann, sagt Achim Möller von der Landesentwicklungsgesellschaft NRW:
" Der einzige Ausweg besteht darin, dass man eben diese Natural Attenuation-Prozesse hier mal beobachtet, auswertet, deren Effizienz mal beurteilen kann, um dann auch Behörden gegenüber vertreten zu können: Das mag vielleicht nicht die alleinige Sanierungsmethodik darstellen, aber sie hilft uns, und der Rest, der noch zu entwickeln wäre, fällt dann etwas geringer und damit letztendlich kostengünstiger aus. Denn machen wir uns nichts vor: Der Steuerzahler muss das bezahlen!"
Die Kriegsschäden an der Kokerei haben dazu geführt, dass auch heute noch rund 750 Tonnen ausgelaufenes Teeröl den Untergrund verschmutzen, sagt Christoph Wortmann vom Umwelttechnikunternehmen Weßling. Eigentümerin der Fläche ist, wie in vielen ähnlichen Fällen im Revier, die Landesentwicklungsgesellschaft Nordrhein-Westfalen. Die LEG plant auf dem ehemaligen Zechengelände ein Gewerbegebiet für Handwerksbetriebe und andere Mittelständler. Doch eine Boden- und Grundwassersanierung mit herkömmlichen Verfahren hätte rund 50 Millionen Euro gekostet, sagt Christoph Wortmann. Deshalb vertraut er auf die Selbstheilungskräfte der Natur, die die Schadstoffe langfristig abbauen. In der Fachsprache heißt das Natural Attenuation:
" Natural Attenuation kann man beschreiben als natürliche Schadstoff-Verringerung. Das ist ein Prozess, der üblicherweise natürlich im Untergrund stattfindet. Und das sind drei Prozesse. Einmal der mikrobiologische Abbau, der eine große Rolle spielt. Dann Sorption, das heißt, Schadstoffe werden an den Bodenmaterialien gebunden, und als dritter Prozess kann man die Verdünnung nennen, das heißt die Verdünnung mit Niederschlagswässern."
Dabei baut der Boden die notwendigen Mikroorganismen erst nach und nach auf und reagiert damit auf die Schadstoffe. 20 bis 30 Jahre durchschnittlich dauere dieser Anpassungsprozess, erklärt Ingenieur Wortmann. 15 blaue Rohre ragen aus dem Testfeld: Grundwasser-Messstellen, aus denen die Ingenieure zweimal pro Jahr Proben entnehmen. Die Ergebnisse sind positiv:
" Das heißt, die Mikroorganismen bauen auch wirklich die Schadstoffe ab, es ist keine Verdünnung und keine reine Sorption, sondern wirklich auch ein Schadstoffabbau. Wir stehen ja hier auf einem Testfeld, und wir haben auf einer Fließlänge von 30 Metern eine sehr starke Schadstoffverringerung festgestellt, das heißt, die Schadstoffe, die hier in das Testfeld reinfließen, verringern sich um 95 Prozent."
…im Laufe eines Jahres, verglichen mit der Belastung an der Schadstoffquelle. Viktor 3/4 ist nur einer von bundesweit 18 Standorten des Forschungsverbundes Kora. Unter Federführung des Bundesforschungsministeriums untersuchen Experten auf ehemaligen Zechen, Deponien und in Chemiewerken, wie der natürliche Schadstoffabbau im Boden genau funktioniert. Da mag sich mancher fragen: Braucht man gleich ein ganzes Forschungsprojekt, um jene Prozesse zu überwachen, die offenbar von Natur aus im Boden ablaufen?
" Qualifiziertes Nichtstun, denke ich, ist etwas provokant sicherlich. Also Natural Attenuation ist keine Sanierungsmaßnahme, sondern letztendlich eine Handlungsoption. Im Rahmen von Verhältnismäßigkeitsprüfungen muss letztendlich nachgewiesen werden, dass man mit herkömmlichen Sanierungsmaßnahmen nicht zu einem gewünschten Ziel kommt. Und erst dann ist Natural Attenuation eine Handlungsmaßnahme. "
Die ist auch im oberpfälzischen Weiden erste Wahl. Das Sorgenkind der Stadt ist eine ehemalige Mülldeponie, die bis 1998 in Betrieb war und seitdem die Trinkwasserbrunnen der Region gefährdet. Wie im Fall Viktor war auch hier schnell klar: An eine Sanierung im eigentlichen Sinne ist nicht zu denken bei einer Fläche so groß wie 30 Fußballfelder. Auch die Stadt Weiden setzt nun auf den natürlichen Schadstoffabbau. Damit die gefährlichen Stoffe aber nicht doch durch Niederschläge ins Trinkwasser geraten, wird der Natur noch ein wenig unter die Arme gegriffen – Enhanced Natural Attenuation nennen Experten dieses Eingreifen des Menschen in den natürlichen Schadstoffabbau. Ingenieure der Umwelttechnik-Firma Finsterwalder aus Bernau am Chiemsee versehen das riesige Deponiegelände sandwichartig mit einer biologischen Schutzschicht aus Folien, Erdreich und Laubwald, erklärt Firmenchef Klemens Finsterwalder:
" Die Kurzzeitsicherung ist eine Folienabdichtung, kombiniert mit einer Drain-Matte. Die hält zwar auch so zwischen 75 und 150 Jahre, aber gemessen an dem Zeitraum, in dem Emmissionen auftreten können – das sind Zeiträume, die zwischen 1000 und 3000 Jahre liegen – sind diese 75 Jahre eben eine kurze Zeit. Und die Langzeitsicherung, die besteht aus einer zwei Meter dicken Rekultivierungsschicht mit einer guten Wasserspeicher-Kapazität und einem darauf gepflanzten Wald aus einheimischen Gehölzen. Und je länger und höher dieser Wald wächst, um so größer wird seine Vedunstungskapazität, um so geringer eben dann das, was an Niederschlagswasser noch durchsickern kann."
Spatenstich für das bayerische Pilot-Projekt war im September des vergangenen Jahres, bis Ende 2006 soll der Laubwald gepflanzt sein. Dann, so Ingenieur Finsterwalder, habe man ein biologisches System, das sich immer wieder selbst erneuert:
" Deswegen kann man sagen, dass diese Deponie Weiden-West auch die nächsten 500 oder 1000 Jahre überstehen wird. Natürlich ist es wichtig, dass im Grundbuch eingetragen ist, dass das eine Deponie ist und dass dieser Wald nicht abgeholzt werden darf, aber er kann ganz normal genutzt werden."
Noch haben Projekte wie Weiden-West und die Zeche Viktor 3/4 Pilotcharakter. Erst die längerfristige Beobachtung der Standorte wird zeigen, ob sich Natural Attenuation wirklich durchsetzen kann, sagt Achim Möller von der Landesentwicklungsgesellschaft NRW:
" Der einzige Ausweg besteht darin, dass man eben diese Natural Attenuation-Prozesse hier mal beobachtet, auswertet, deren Effizienz mal beurteilen kann, um dann auch Behörden gegenüber vertreten zu können: Das mag vielleicht nicht die alleinige Sanierungsmethodik darstellen, aber sie hilft uns, und der Rest, der noch zu entwickeln wäre, fällt dann etwas geringer und damit letztendlich kostengünstiger aus. Denn machen wir uns nichts vor: Der Steuerzahler muss das bezahlen!"