Als Schauspielleiter in Stuttgart (1966-72) und Frankfurt (1972-80) bestimmte Peter Palitzsch eine Theaterarbeit, die engagiert aber unideologisch war: mit Regisseuren wie Grüber, Neuenfels, Bondy, mit Ensemble-Spielern wie Hans Mahnke, Peter Roggisch, Hannelore Hoger, Elisabeth Schwarz nie auf bloß neue Formen, immer auf Inhalte bedacht. Brechts Lehre von der Verfremdung hatte er aufgenommen; aber die Haltung seiner gewichtigsten, denkwürdigsten eigenen Inszenierungen war nicht "episch", sondern "dramatisch": den realen Spannungen zwischen Menschen zugewandt. Sein Realismus bestand nicht (wie damals oft) in der Häufung von Teetassen und Zigaretten, im laschen Geplauder mit vorgeplanten Pointen - sondern im Wegstreichen alles Nebensächlichen, im Herausarbeiten des Starken und Notwendigen jeder Situation.
So erschreckend, mitleiddurchdrungen realistisch hat er nicht nur ein neues englisches Stück wie Hopkins' "Diese Geschichte von ihnen" in Szene gesetzt – sondern auch, mit geradezu poetischer Genauigkeit und Leichtigkeit, Becketts "Warten auf Godot". Alles konzentrierte sich auf Spiel und Sprache; gesuchte Bühnenbilder, überrumpelnde Video-Clips, Musikströme aus Lautsprechern, die heute Mode sind, blieben ihm fremd. Als nach der Vereinigung sein altes Theater, das Berliner Ensemble, ihn rief, sagte er Ja. Ein gewagter Shakespeare, ein treffend-erhellender "Baal" entstanden; da war er über siebzig Jahre alt.
Er war ein guter, also nüchterner und besessener, Leser. Das Schönste vielleicht, das ihm in späten Jahren gelang, waren Abende nur mit Gedichten, Prosatexten und Liedern: Samuel Beckett ehrend (zu meinem Intendantenglück und –dank) schon 1987 in Stuttgart; zuletzt 1998 am Berliner Ensemble, mit Maria Husmann, Volker Spengler, David Bennent, Simon Stockhausen, gewidmet dem Poeten und Liedermacher Bert Brecht. So schloss sich Palitzsch' exemplarische Biografie in der Nähe zu dem, mit dem sie anfing. Wer wollte, könnte von ihm heute noch lernen: dass es im Theater sich um unser Leben und um die Hoffnung auf ein anständigeres Leben handelt; und dass es nicht angeht, unter diesem Anspruch Theater zu machen, ja auch nur als Zuschauer ins Theater zu gehen.