Archiv


Altmeisterliche Sozialkritik

In seinem 40. Film nimmt sich Ken Loach die Welt der Leiharbeitsfirmen vor: Angie hat die Nase voll von Gelegenheitsjobs und gründet selbst eine Zeitarbeitsfirma. Nun heuert sie selbst billige Arbeitskräfte aus Osteuropa an und verteilt sie auf die Baustellen der Stadt.

Von Josef Schnelle |
    Der britische Regisseur Ken Loach ist vielleicht der letzte konsequent politische Filmemacher der Welt. Er setzte den britischen Arbeitern, die aus Gründen der Solidarität in den Spanischen Bürgerkrieg zogen, ein Denkmal - 2001 in "Land and Freedom”. Er schilderte die naiven und scheinbar berechtigten Anfänge der IRA in "The wind that Shakes the Barley” 2006.

    In "The Navigators” beschäftigte er sich schon 1995 mit den Folgen der Privatisierung der Bahn in England. Ken Loach hat alle großen Preise der Filmfestivalwelt wenigstens einmal gewonnen – mit Filmen, die stets unbequeme politische Themen aufgegriffen haben und dann doch die Bedürfnisse des Publikums nach lebensnahem Witz berücksichtigt haben.

    "Riff- Raff” war zum Beispiel 1991 eine wunderbare Komödie unter Bauarbeitern. "Bread and Roses” verhandelte 2000 die Thematik der ausgebeuteten illegalen mexikanischen Reinigungskräfte in Los Angeles. Neben Mike Leigh ist Ken Loach der wichtigste Filmemacher des inzwischen in die Jahre gekommenen Neuen Britischen Kinos, das Kinokulinarik und politische Themenrelevanz so ausgesprochen mühelos zu verbinden verstanden hat.

    In seinem 40. Film nimmt er sich die Welt der Leiharbeitsfirmen vor. Schon in den 90er-Jahren bei seinem berühmten Dokumentarfilm über die Hafenarbeiter von Liverpool "The Flickering Game” ist ihm das im Augenblick besonders aktuelle Thema schon aufgefallen. Arbeit - vielleicht nur für einen Tag – wenig - aber immerhin Geld auf die Hand – das ist die Welt von Angie, die noch gehofft hatte, ganz hoch aufzusteigen in dieser Sphäre der besonders direkten Ausbeutung. Doch sie wird nicht Chefin wie geplant, sondern fliegt raus. Was tun? Die Idee ist: wir gründen mit unserem Wissen eine eigen Agentur und sie wird anders und auch menschlicher sein.

    Die Sache lässt sich eigentlich ganz gut an. Mit zwei Handys und einem Motorrad ziehen Angie und Rose die Sache professionell und ganz groß auf. In einer Eckkneipe laufen die Fäden zusammen. Angie weiß, wie man Arbeitswillige auf Tagesbasis heran lockt und wie man sie auf diversen Baustellen der Stadt verteilt. Leiharbeit mit menschlichem Antlitz möchten die beiden. Schließlich haben die illegalen Arbeiter aus Osteuropa, die ihre Basis bilden, in ihren Heimatländern gar keine Aussicht auf einen Job - sagen sie sich. Doch Schritt für Schritt greifen die speziellen Mechanismen dieses Arbeitsmarktes. Aus den beiden Aussteigerinnen werden Mitspielerinnen im großen Spiel um Macht und Geld. Angies Vater, ein ergrauter proletarischer Philosoph, warnt sie noch:

    Aus Gründen der Dramaturgie und der Wahrheit der Lebenswelt, die Loach und sein Drehbuchautor Paul Laverty beschreiben, wird dann bald Ernst bei diesem Feldversuch mit dem "richtigen Leben im Falschen.” Mit so einer Geschichte könnte man nun heftig scheitern, weil andauernd Thesen bebildert und politische Konsequenzen beschrieben werden. Der inzwischen 72jährige Altmeister des politischen Kinos Ken Loach schafft es aber, virtuos dem ganz normalen Leben spannende Geschichten abzulauschen. In schwarzer Motorradmontur düst Angie wie der Engel der Beladenen durch London und versucht ihr kleines Imperium zusammen zu halten. Ken Loach ist wieder einmal ein perfekter Film gelungen: mit messerscharfer Gesellschaftsanalyse, brillianten Dialogen und der Inszenierung einer Darstellerriege von Unbekannten, die wie ein eingespieltes Team wirken. "It’s a free world”, das ist deswegen nicht nur ein ironisierter Werbeslogan als Filmtitel, sondern auch das Programm und das Versprechen von Ken Loach. Die größte Bedrohung entsteht immer dann - das muss Angie erfahren - wenn das Herz nicht mehr kalt bleibt. Was in der folgenden Szene beginnt wie eine alkoholseelige Anmache endet als gefährliche Liebesgeschichte, die dem Film den letzten Pfiff gibt.