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Altstadt in Gefahr

Prager Denkmalschützer sind alarmiert: In der historischen Altstadt ist eine ganze Reihe von Gebäuden vom Verfall bedroht. Diese gehören oft privaten Investoren, die die Häuser nach dem Kauf einfach sich selbst überlassen. Denn je schlechter der Bauzustand, desto leichter können sie beim Renovieren teure Denkmalschutz-Vorschriften umgehen. Aus Prag berichtet Kilian Kirchgeßner.

13.09.2006
    Der Altstädter Ring in Prag. Zu jeder vollen Stunde schlagen die Glocken im Rathausturm und die berühmte Aposteluhr setzt sich in Bewegung. Dicht gedrängt stehen Touristen um die Attraktion herum. Hier ist die Goldene Stadt am schönsten. Ihre prunkvolle Vergangenheit lässt sich an den Jahrhunderte alten Häusern ablesen. Die Besucher sind begeistert, so wie dieses ältere Ehepaar aus Deutschland:

    "Die ganze Stadt gefällt uns. Die Gebäude, die gut erhaltenen und toll renovierten Gebäude, einfach die Atmosphäre. Einmalig!"

    Richard Biegel ist weniger begeistert, wenn er durch die historischen Gassen schlendert. Er ist Geschäftsführer des Prager Altstadt-Clubs, einer Art Heimatverein. Seit Jahren beobachtet er, wie Häuser und Kirchen, Museen und Hotels renoviert werden - und immer häufiger sieht er auch, dass denkmalgeschützte Gebäude komplett verwahrlosen. Ein Beispiel dafür findet sich gleich unterhalb der mächtigen Burganlage, die vom Altstädter Ring aus gerade auf der anderen Moldau-Seite liegt, einen kleinen Spaziergang von der Aposteluhr entfernt.

    "Dieses Haus hier zum Beispiel am Fünfkirchenplatz: Es hat eine ursprünglich mittelalterliche Substanz und ist dann im barocken Stil umgebaut worden. Danach hat ein berühmter Jugendstil-Architekt hier gelebt. Ich kenne das Haus noch aus der Zeit, als es bewohnt war, ein so authentisches Gebäude. Jetzt steht es leer und verliert Jahr für Jahr von seinem Charme. Das ist ein typischer Fall von Spekulation."

    Richard Biegel kann eine ganze Reihe solcher Beispiele aufzählen: Häuser in lukrativster Prager Innenstadt-Lage, die von Investoren gekauft und dann erstmal unverändert stehengelassen werden. Einige wechseln nach mehreren Jahren zu einem gestiegenen Preis wieder den Besitzer, andere aber dienen langfristigeren Zwecken, sagt Richard Biegel.

    "Die Häuser zerfallen allmählich, weil niemand darin wohnt und nicht einmal jemand heizt. Das geschieht ganz bewusst, denn wenn die Behörden dann erst einmal Einsturzgefahr feststellen, kann man es abreißen oder zumindest mit weniger Auflagen komplett umbauen."

    Diese Praxis ist auch den tschechischen Denkmalschützern ein Dorn im Auge. Ihre Behörde residiert einen Steinwurf entfernt von dem zerfallenden Gebäude am Fünfkirchenplatz. Es ist ein Palast aus dem 16. Jahrhundert, die vier Meter hohen Räume sind stuckgeschmückt und zum Teil mit Wandmalereien verziert. Von hier aus beobachten Bau-Experten genau, wo in Tschechien geschützte Gebäude dem Verfall preisgegeben sind. Die Bilanz ist traurig, sagt Simona Hradilova von der Denkmalschutzbehörde:

    "Im ganzen Land sind 819 Denkmäler akut bedroht, diese Zahl ist deutlich höher als noch vor einem Jahr. Darunter sind auch Fälle aus anderen Teilen Tschechiens. Aber weil es hier mehr historisch wertvolle Gebäude gibt, liegt Prag in Führung."

    Ein Rezept gegen die verantwortungslosen Investoren, die in vielen Fällen dahinter stehen, gibt es nicht. Die einzige Möglichkeit ist, sagt der Prager Heimatvereins-Chef Richard Biegel, die Häuser an eine bestimmte Verwendung zu binden, um zu große Ambitionen von vornherein zu verhindern.

    "Ein Problem taucht immer auf, wenn der Zweck einer späteren Renovierung nicht zur Substanz des Hauses passt. Hier in Prag ist es leider üblich, viele kleine Häuser zu einem großen Hotel zu verbinden. Da ist es ja klar, dass man da einen Umbau braucht, der das Haus beschädigt."

    Selbst den Denkmalschützern sind in vielen Fällen die Hände gebunden. Wenn Investoren Häuser ganz bewusst verfallen lassen, um sie später großzügig zu entkernen, können nur die örtlichen Behörden eine Strafe verhängen. Um zumindest ein bisschen Druck auf die Bau-Sünder auszuüben, haben die Denkmalschützer jetzt eine vollständige Liste der bedrohten Gebäude in Tschechien herausgegeben. Das Werk umfasst mehr als 200 Seiten. Ob es allerdings etwas an der Situation verändert, will Simona Hradilova lieber nicht einschätzen.

    "Unser Ziel ist es, der breiten Öffentlichkeit zu zeigen, wie viele bedrohte Gebäude es hier gibt. Die Renovierung aber bleibt die Aufgabe der Eigentümer. Wir können sie dabei nur beraten."