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Alzheimer-Gesellschaft verlangt Reform der Pflegeversicherung

Die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft kritisiert eine Benachteiligung von Demenzkranken im deutschen Pflegesystem. Bei einem Demenzkranken seien keine körperlichen Gebrechen zu versorgen, er brauche eine Begleitung über den Tag, sagte die Vorsitzende der Gesellschaft, Heike von Lützau-Hohlbein. Das sei in der Pflegeversicherung nicht richtig berücksichtigt.

Moderation: Christian Schütte |
    Christian Schütte: Heute ist Freitag, der 21. September, und für heute hat die Weltgesundheitsorganisation WHO den Welt-Alzheimer-Tag ausgerufen. In Deutschland sind über eine Million Menschen betroffen von Demenz, vor allem von Alzheimer. Doch erforscht ist diese neue Krankheit bisher kaum, heilbar ist sie bislang auch nicht. Durch Medikamente kann lediglich ihr Ausbruch verzögert werden. Heike von Lützau-Hohlbein, Vorsitzende der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft ist nun am Telefon. Guten Morgen!

    Heike von Lützau-Hohlbein: Guten Morgen, Herr Schütte!

    Schütte: Früher hat man gesagt, Menschen werden halt vergesslich im Alter. Dass dahinter oft eine Krankheit steckt, ist eine, sagen wir, relativ neue Erkenntnis. Hat sich inzwischen auch der Umgang der Gesellschaft mit der Alzheimer-Krankheit geändert, oder ist das immer noch ein Tabuthema?

    Lützau-Hohlbein: Es ist leider immer noch ein Tabuthema. Es ist aber auch ganz verständlich, weil die Kranken versuchen, oder die, die diese Krankheit entwickeln, sie sind ja vielleicht noch gar nicht so doll krank, versuchen dies zu verbergen, weil es natürlich ganz traurig ist, wenn man seinen Kopf verliert, wenn man sich nicht mehr auskennt, wenn man viele Orientierungsprobleme hat, und insofern verständlich. Aber auch die Familie tabuisiert. Und das müssen wir aufbrechen, um einfach das Gefühl loszuwerden, man ist allein gelassen. Es gibt genug Hilfe. Man muss etwas tun.

    Schütte: Vielen brauchen Hilfe. Es ist aber immer wieder auch vom Pflegenotstand die Rede, und bei Alzheimer kommt hinzu, dass dies bisher nicht anerkannt war als Krankheit, für die es beispielsweise aus der Pflegeversicherung eine Unterstützung gibt. Das soll sich zwar jetzt ändern, aber wie groß sind derzeit die Missstände in Deutschland bei der Pflege von Demenzkranken?

    Lützau-Hohlbein: Es gibt Missstände, aber es gibt auch gute Pflege. Aber bei den Missständen ist besonders zu beklagen, dass, so wie unsere Pflegeversicherung heute ausgerichtet ist, was sich ja nun glücklicherweise nun ein bisschen ändern soll, geht es vorwiegend um körperliche Erkrankungen. Und Demenz tut halt nicht weh. Man hat keine Wunden, die versorgt werden sollen, sondern man braucht eine Begleitung über den Tag, und das ist heute in der Pflegeversicherung nicht richtig berücksichtigt. Es wird auch jetzt mit der Reform, die wir jetzt bekommen, nicht richtig berücksichtigt werden, weil es keine Veränderung, keine Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs gibt. Das heißt, wie Pflege definiert ist, ändert sich im ersten Ansatz nicht. Das einzige, was sich für die Demenzkranken ändert, was wir auch sehr begrüßen, ist, dass es mehr Geld geben wird, um zumindest im ambulanten Bereich, sich eine Versorgung, eine bessere Hilfe zu holen. Heute gibt es 460 Euro im Jahr, die man zusätzlich bekommen kann, und das soll ausgeweitet werden auf 2400 im Jahr. Aber auch das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn, wenn man sich überlegt, dass eine Tagespflege, das heißt eine Betreuung über den Tag außerhalb ungefähr 80 Euro am Tag kostet, kann man sich überlegen, wie häufig man das ausnutzen kann.

    Schütte: 2400 Euro an Zuschüssen. Aber Sie sagen, möglicherweise kommen nicht alle in den, ich sage einmal, Genuss dieser Leistungen. Noch einmal zur Klarstellung: Wer kann diese Zuschüsse künftig in Anspruch nehmen?

    Lützau-Hohlbein: Es geht nur um die Menschen, die ambulant versorgt werden. Und es geht um die Menschen, die einen sogenannten erhöhten altersbedingten Betreuungsbedarf haben. Und das muss vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen eingeordnet werden. Das heißt, es muss schon einmal eine Beantragung für Gelder aus der Pflegekasse erfolgt sein. Für den stationären Bereich geht es nicht. Und wir haben die Situation in Deutschland, dass wir ungefähr zwei Drittel der Kranken zuhause versorgen und ein Drittel im stationären Bereich.

    Schütte: Und diese Menschen, die ihre Angehörigen zuhause pflegen, sind dann im Moment auch noch überfordert von der Situation, überlegen sich möglicherweise dann, weil sie es nicht mehr anders können, dass möglicherweise die Alternative Heim zur Wahl steht. Aber das scheint dann, wer nicht den großen Geldbeutel hat, offenbar keine Alternative zu sein?

    Lützau-Hohlbein: Man muss sich das immer überlegen. Man kann nicht immer sagen, dies oder das. Aber es kommt auf die Situation wirklich darauf an. Und man muss sich ganz genau anschauen, welche Situationen dazu führen, dass man einen Umzug in ein Heim erwägt. Und wir wissen, dass ein Zusammenbruch der häuslichen Pflegesituationen der häufigste Grund ist, in ein Heim umzuziehen. Das heißt also zum Beispiel Überlastung der pflegenden Angehörigen, und dazu gehört also, dass die Angehörigen sich informieren, was diese Krankheit bedeutet. Es gehört dazu, dass sie sich möglichst viel Entlastung ins Haus holen, Nachbarn mit einbinden, die eigene Familie mit einbinden, um einfach leichter damit fertig zu werden. Und es gehört auch dazu, dass sie die Betreuungsangebote nutzen, die nicht so viel kosten, zum Beispiel Betreuungsnachmittage, die auch von den Alzheimer-Gesellschaften vor Ort angeboten werden. Das kostet nicht viel, und das entlastet. Man hat ein paar Stunden Zeit. Man kann sich sogenannte Laienhelferinnen zu Hilfe holen, die ins Haus kommen, und die es einem selbst ermöglichen, mal ein bisschen durchzuschnaufen, um zum Beispiel ganz in Ruhe zum Friseur zu gehen oder Behördengänge zu erledigen.

    Schütte: Nun möchte auch die Politik noch Weiteres tun. Bundesforschungsministerin Schavan plant ein Demenz-Zentrum. Sie will 60 Millionen Euro im Jahr investieren. Was erwarten sie sich davon?

    Lützau-Hohlbein: Ich finde es ganz wichtig, dass mehr Geld in die Forschung gesteckt wird. Wenn wir das nicht tun, die Hochrechnungen sagen, dass wir bis 2030 eine Verdopplung der Demenzkranken bekommen werden. Und wenn wir nicht heute endlich anfangen, genug Geld in die Forschung zu stecken, dann wird es immer schlimmer werden. Denn diese Versorgungskosten, die wir brauchen, um die Demenzkranken wirklich würdevoll zu versorgen, die kosten unwahrscheinlich viel Geld, und das können wir nur auffangen ...

    Schütte: Wie groß wäre diese Fass, was da möglicherweise geöffnet wird?

    Lützau-Hohlbein: Das können Sie sich überlegen. Es gibt Kosten, dass die Betreuung eines Demenzkranken über das Jahr ungefähr 70.000 Euro kostet. Das ist noch die unterste Grenze. Das kann man hochrechnen, und da kann man sagen, soviel Geld hat unsere Gesellschaft dafür nicht. Und wir müssen einfach dringenderweise versuchen, die Ursachen der Krankheit zu erforschen, um einfach dann auch Medikamente zu entwickeln, die wirklich helfen. Denn unsere heutigen verzögern nicht den Ausbruch, sondern sie verzögern den Verlauf. Und das müssen wir unbedingt besser in den Griff bekommen, damit wir einfach würdevoll unsere alten Menschen versorgen. Denn Alter ist das höchste Risiko, an einer Demenz zu erkranken.

    Schütte: Heike von Lützau-Hohlbein, Vorsitzende der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft. Danke für das Gespräch.

    Lützau-Hohlbein: Danke, Herr Schütte.