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Alzheimer und Epilepsie

Neurologie. - Das nervenschädigende Eiweiß A-beta gilt als Auslöser der Alzheimer-Krankheit. A-beta sammelt sich im Hirn an, tötet Nerven und stört somit das Gedächtnis. Dann sollte eigentlich die elektrische Aktivität zurückgehen. Doch Forscher in San Francisco berichten, dass genau das Gegenteil eintritt: Die Gedächtniszentren von Alzheimermäusen sind zeitweilig geradezu übererregt - ähnlich einem Krampfanfall.

Von Volkart Wildermuth | 20.12.2007
    In der Alzheimerforschung ist es ein alter Hut: Man gibt A-beta auf Nervenzellen und schon geht alles Mögliche schief. Die Signale laufen langsamer, springen seltener von Neuron zu Neuron, bei hohen Konzentrationen sterben die Nerven ab. Folglich sollte doch die Aktivität in den Gedächtniszentren von Alzheimermäusen eher niedrig sein, das zumindest vermutete Professor Lennart Mucke von der Universität von Kalifornien in San Francisco wie viele seiner Kollegen.

    " Wir haben erwartet, dass all das A-beta im Gehirn von Alzheimerpatienten und entsprechend auch bei diesen speziellen Mäusen, die Aktivität in den Nervennetzen dämpfen würde. Aber als wir die elektrische Aktivität in den Gedächtniszentren aufzeichneten, da fanden wir bei diesen Mäuse recht häufig eine Überaktivität ähnlich einem epileptischen Anfall. "

    Im gesunden Gehirn funken die Nerven ständig wild durcheinander. Bei einem epileptischen Anfall dagegen sind viele Nerven plötzlich im gleichen Rhythmus aktiv. Die gemeinsame Aktivität wird immer stärker bis die einheitlichen Signale am Ende die Muskeln in Krämpfen zusammenziehen. Nun entwickelten die Alzheimermäuse keinen Krampfanfall, aber zumindest in den Gedächtniszentren kommt es häufig zu diesem ungesunden Gleichklang der Nerven. Das ist überraschend. In einem komplexen Nervennetz wirken aber viele Zelltypen zusammen. Wenn A-beta zum Beispiel die hemmenden Nerven zuerst angreift, dann kann es in der Hirnregion als Ganzem zu einer unerwarteten Überaktivität kommen. Und damit nicht genug, die Gedächtniszentren reagieren auf diese Fehlfunktion, wie Lennart Mucke beobachten konnte.

    " Anders als bei einem epileptischen Anfall kommt es im Gehirn der Alzheimermäuse zu einer Gegenbewegung, welche die Überaktivität wieder stoppt. Das ist gut, es verhindert den großen Krampfanfall, aber andererseits wird so auch die Flexibilität der Nerven eingeschränkt. Und man kann sich gut vorstellen, dass diese Wellen von Über- und Unteraktivität die Gehirnfunktion beeinträchtigen und die Gedächtnisbildung erschweren. "

    Diese Effekte können durchaus auch im Gehirn von menschlichen Alzheimerpatienten auftreten. Zumindest bei der erblichen Variante dieser Krankheit leidet etwa die Hälfte der Patienten zusätzlich zu den Gedächtnisproblemen auch noch an epileptischen Anfällen. Lennart Mucke hält sie für ein wichtiges Element des Krankheitsprozesses und sieht neue Ansätze für die Therapie. In seinen Alzheimermäusen konnte er die Übererregung mit einer genetischen Manipulation unterbinden.

    " Mit diesem Trick wollten wir herausfinden, ob wir die Veränderungen im Gehirn verhindern können, und das war tatsächlich der Fall. Es kam zu keinem Gedächtnisverlust, obwohl das Gehirn dieser Mäuse bis zum Rand voll mit A-beta war. "

    Eine Genmanipulation ist allerdings immer ein unsicheres Unterfangen, für den Menschen eignet sie sich deshalb kaum als Therapie. Derzeit versucht das Labor von Lennart Mucke den gleichen Schutzeffekt mit etablierten und gut verträglichen antiepileptischen Medikamenten zu erzielen. Wenn das in einigen Jahren gelingt, hätten die Ärzte einen weiteren Ansatz, um den Gedächtnisverlust der Alzheimerpatienten zu verlangsamen.