Joachim Schulz-Hardt war bis 1999 23 Jahre lang Generalsekretär der Kultusministerkonferenz und als solcher der Gralshüter der Länder-Kulturhoheit – er hat heute seine Déjà vu-Erlebnisse. Die gegenwärtige Debatte um die Zuständigkeit der Länder in Bildungsfragen ist so alt wie die Bundesrepublik.
Als am 17. Februar 1955 die damals zehn Ministerpräsidenten in Düsseldorf das "Abkommen zur Vereinheitlichung auf dem Gebiete des Schulwesens" unterzeichneten, mussten sie dringend der öffentlichen Debatte über das "Schulchaos" den Wind aus den Segeln nehmen. Die Schwierigkeiten, mit Kindern aus einem Bundesland in ein anderes umzuziehen und die Unfähigkeit der Kultusminister, sich auf gemeinsame Grundregeln des Schulsystems zu einigen, führten schon 1949 dazu, dass der neu konstituierte Kulturausschuss des Deutschen Bundestages die Einrichtung eines Bundeskultusministeriums forderte.
Die Kultusminister wurden für die Zersplitterung des deutschen Schulwesens verantwortlich gemacht. Doch sie erklärten sich für unschuldig und wiesen auf die Besatzungsmächte. Joachim Schulz-Hardt:
Die Briten kamen mit ihrem Modell, die Amerikaner kamen in ihrer Besatzungszone mit ihrem Modell, die Franzosen mit dem französischen sehr zentralistischen Modell, und das sowjetische Modell brauche ich gar nicht zu beschreiben, wie grundverschieden anders das gewesen ist. Diese Profile haben sie in den Anfangszeiten in das deutsche Schulwesen hineingebracht.
Nicht nur die sowjetischen Besatzer, sondern auch die US-amerikanischen und die britischen favorisierten ein Einheitsschulmodell gegenüber dem gegliederten deutschen Schulsystem. Doch sehr schnell überließen sie es den deutschen Behörden, ihr eigenes System wieder aufzubauen, und das sah dann in jedem Bundesland anders aus, schließlich hatte man überall auch noch eigene Traditionen, die bis ins Kaiserreich zurück reichten.
So, dann haben die Ministerpräsidenten sich gesagt, so geht es nicht weiter. Bitte, Kultusminister, macht mal eine Vorlage für eine Grundstruktur für das deutsche Schulwesen mit mehr Einheitlichkeit.
1955 dauerte die Grundschulzeit in einigen Ländern sechs Jahre, in anderen nur vier. Hier war man acht Jahre schulpflichtig, dort neun, es gab die Hochschulreife nach zwölf oder nach dreizehn Jahren, in einigen Ländern musste man Schulgeld bezahlen, in anderen nicht. Das Schuljahr begann hier zu Ostern, dort im Herbst. Es gab viele verschiedene Schultypen mit unterschiedlichen Bezeichnungen. Die Notensysteme umfassten mal fünf, mal sechs oder gar zehn Stufen.
Was bei den Verhandlungen der Kultusminister 1955 herauskam, klingt banal:
Paragraf Eins: Das Schuljahr beginnt an allen Schulen am 1. April und endet am 31. März des folgenden Kalenderjahres.
Paragraf zwei, Absatz eins: Die Ferien sind in erster Linie nach pädagogischen Gesichtspunkten festzusetzen.
Absatz zwei: Die Gesamtdauer während eines Schuljahres beträgt 85 Tage.
Paragraf drei: Die verschiedenen Formen des mittleren Schulwesens führen die Bezeichnung Mittelschule. Mittelschulen im Sinne des Abkommens sind Schulen, die in den in Paragraf sieben bezeichneten Formen eine über die Volksschule hinausgehende Bildung vermitteln.
Und so weiter. Schulen, die zum Abitur führen, heißen Gymnasium. Die Schuljahre werden von Klasse eins bis 13 durchgezählt, und die Notenskala geht von sehr gut bis ungenügend. Wichtige Fragen wurden ausgeklammert: Kein Wort über die Volksschule, nichts darüber, mit welchem Alter man eingeschult wird, wie lange die Schulpflicht geht und ob man Schulgeld bezahlen muss.
Doch selbst die wenigen formalen Gemeinsamkeiten wurden nicht bundesweit durchgesetzt. In Bayern blieb man beim Schuljahresbeginn im Herbst, in Nordrhein-Westfalen gab es neben den drei vorgesehenen Typen des Gymnasiums neun andere Formen, in Rheinland-Pfalz fing das Gymnasium weiter mit Französisch an. Andererseits beklagte der Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen, damals das offizielle bundesdeutsche Beratungsgremium in Bildungsfragen, dass mit diesem Abkommen vielen hoffnungsvollen Pflänzchen des pädagogischen Neubeginns nach dem Krieg der Garaus gemacht werde. Alles musste sich in das Raster der Schultypen von Volksschule, Mittelschule oder Gymnasium fügen. Und das war wohl die wichtigste Wirkung des Abkommens. 1955 war das Jahr, in dem die Bundesrepublik die volle Souveränität bekam. Da schien es an der Zeit, mit den als Diktat verstandenen Versuchen der Besatzungsmächte, das deutsche Schulwesen zu demokratisieren und zu integrieren, endgültig Schluss zu machen.
Als am 17. Februar 1955 die damals zehn Ministerpräsidenten in Düsseldorf das "Abkommen zur Vereinheitlichung auf dem Gebiete des Schulwesens" unterzeichneten, mussten sie dringend der öffentlichen Debatte über das "Schulchaos" den Wind aus den Segeln nehmen. Die Schwierigkeiten, mit Kindern aus einem Bundesland in ein anderes umzuziehen und die Unfähigkeit der Kultusminister, sich auf gemeinsame Grundregeln des Schulsystems zu einigen, führten schon 1949 dazu, dass der neu konstituierte Kulturausschuss des Deutschen Bundestages die Einrichtung eines Bundeskultusministeriums forderte.
Die Kultusminister wurden für die Zersplitterung des deutschen Schulwesens verantwortlich gemacht. Doch sie erklärten sich für unschuldig und wiesen auf die Besatzungsmächte. Joachim Schulz-Hardt:
Die Briten kamen mit ihrem Modell, die Amerikaner kamen in ihrer Besatzungszone mit ihrem Modell, die Franzosen mit dem französischen sehr zentralistischen Modell, und das sowjetische Modell brauche ich gar nicht zu beschreiben, wie grundverschieden anders das gewesen ist. Diese Profile haben sie in den Anfangszeiten in das deutsche Schulwesen hineingebracht.
Nicht nur die sowjetischen Besatzer, sondern auch die US-amerikanischen und die britischen favorisierten ein Einheitsschulmodell gegenüber dem gegliederten deutschen Schulsystem. Doch sehr schnell überließen sie es den deutschen Behörden, ihr eigenes System wieder aufzubauen, und das sah dann in jedem Bundesland anders aus, schließlich hatte man überall auch noch eigene Traditionen, die bis ins Kaiserreich zurück reichten.
So, dann haben die Ministerpräsidenten sich gesagt, so geht es nicht weiter. Bitte, Kultusminister, macht mal eine Vorlage für eine Grundstruktur für das deutsche Schulwesen mit mehr Einheitlichkeit.
1955 dauerte die Grundschulzeit in einigen Ländern sechs Jahre, in anderen nur vier. Hier war man acht Jahre schulpflichtig, dort neun, es gab die Hochschulreife nach zwölf oder nach dreizehn Jahren, in einigen Ländern musste man Schulgeld bezahlen, in anderen nicht. Das Schuljahr begann hier zu Ostern, dort im Herbst. Es gab viele verschiedene Schultypen mit unterschiedlichen Bezeichnungen. Die Notensysteme umfassten mal fünf, mal sechs oder gar zehn Stufen.
Was bei den Verhandlungen der Kultusminister 1955 herauskam, klingt banal:
Paragraf Eins: Das Schuljahr beginnt an allen Schulen am 1. April und endet am 31. März des folgenden Kalenderjahres.
Paragraf zwei, Absatz eins: Die Ferien sind in erster Linie nach pädagogischen Gesichtspunkten festzusetzen.
Absatz zwei: Die Gesamtdauer während eines Schuljahres beträgt 85 Tage.
Paragraf drei: Die verschiedenen Formen des mittleren Schulwesens führen die Bezeichnung Mittelschule. Mittelschulen im Sinne des Abkommens sind Schulen, die in den in Paragraf sieben bezeichneten Formen eine über die Volksschule hinausgehende Bildung vermitteln.
Und so weiter. Schulen, die zum Abitur führen, heißen Gymnasium. Die Schuljahre werden von Klasse eins bis 13 durchgezählt, und die Notenskala geht von sehr gut bis ungenügend. Wichtige Fragen wurden ausgeklammert: Kein Wort über die Volksschule, nichts darüber, mit welchem Alter man eingeschult wird, wie lange die Schulpflicht geht und ob man Schulgeld bezahlen muss.
Doch selbst die wenigen formalen Gemeinsamkeiten wurden nicht bundesweit durchgesetzt. In Bayern blieb man beim Schuljahresbeginn im Herbst, in Nordrhein-Westfalen gab es neben den drei vorgesehenen Typen des Gymnasiums neun andere Formen, in Rheinland-Pfalz fing das Gymnasium weiter mit Französisch an. Andererseits beklagte der Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen, damals das offizielle bundesdeutsche Beratungsgremium in Bildungsfragen, dass mit diesem Abkommen vielen hoffnungsvollen Pflänzchen des pädagogischen Neubeginns nach dem Krieg der Garaus gemacht werde. Alles musste sich in das Raster der Schultypen von Volksschule, Mittelschule oder Gymnasium fügen. Und das war wohl die wichtigste Wirkung des Abkommens. 1955 war das Jahr, in dem die Bundesrepublik die volle Souveränität bekam. Da schien es an der Zeit, mit den als Diktat verstandenen Versuchen der Besatzungsmächte, das deutsche Schulwesen zu demokratisieren und zu integrieren, endgültig Schluss zu machen.