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"Am Ende seiner Ära überzieht Stagnation Ökonomie und Gesellschaft der DDR"

18. Oktober 1989. Karl-Wilhelm Fricke kommentiert den Rücktritt Erich Honeckers.

27.01.2012
    Karl-Wilhelm Fricke: Nach dem augenfälligen Autoritätsverfall Erich Honeckers war die Entscheidung unaufschiebbar geworden, und das Zentralkomitee der SED hat schnell entschieden. Ob Egon Krenz als neuer Generalsekretär der SED, zudem als designierter Vorsitzender des Staatsrates und des Verteidigungsrates der DDR, allerdings eine Gewähr dafür bietet, die DDR aus ihrer derzeitigen politischen Krise herauszuführen, und ob es ihm gelingt, die total zerschlissene Glaubwürdigkeit der Parteiführung wiederherzustellen, das bleibt abzuwarten. Skepsis ist einstweilen angebracht.

    Denn nach politischer Karriere und bisheriger Position lässt Krenz kaum die Bereitschaft vermuten, in der DDR jenen politischen Erneuerungsprozess einzuleiten, der unerlässlich ist, um den Massenexodus aus der DDR zu unterbinden, um auch die Ursachen zu beseitigen, die so viel Unmut und Unzufriedenheit in der Bevölkerung ausgelöst haben, dass die Menschen zu Hunderttausenden auf die Straßen gehen.

    Der Wechsel von Honecker zu Krenz signalisiert gleichwohl das Ende einer politischen Ära, den Beginn eines überfälligen Generationenwechsels in der Führung der SED. Der um genau 25 Jahre ältere Honecker repräsentierte eine Generation deutscher Kommunisten, deren politisches Denken durch zwei Momente bestimmt worden war: durch Stalin und den Stalinismus einerseits, durch den Kampf gegen Hitler und den Antifaschismus andererseits.

    Honecker hat sich innerlich nie von Stalin gelöst, auch wenn er Flexibilität in der Herrschaftsmethodik bewies. Am Ende seiner Ära überzieht Stagnation Ökonomie und Gesellschaft der DDR.

    Sendezeichen aus 50 Jahren DLF
    50 Jahre Deutschlandfunk