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Am Felsfenster morgens

Es ist ruhiger geworden. Etwas ruhiger. Keine Rangeleien mehr auf der Straße, als die Handke-Rezensenten vor dem Frankfurter Suhrkamp-Haus, sich um die ersten Rezensionsexemplare balgten, erst recht keine rhetorischen Aufmärsche und schon gar keine Familienstreitigkeiten mehr. Der neue Handke "Am Felsfenster morgens" wird zwar allerorten, doch stets respektvoll registriert. Ein mächtiger Brocken, ein Stück harter Arbeit. Die Devise ist ihm eingeschrieben:

Martin Lüdke |
    "Ein Künstler ist nie und nimmer unterhaltsam"

    Dieses Buch unterhaltsam zu nennen, käme tatsächlich übler Nachrede gleich. Dabei ist diese Sammlung von Allerlei zum Teil spannend zu lesen, es gibt viele schöne Passagen, manchmal auch unfreiwillig-komische Formulierungen. Manches ist ärgerlich, einiges widersprüchlich, vieles sehr schön.

    Erzählend denken ist die Absicht dieser Notizen und Reflexionen, die Handke, bescheidener und unbestimmter, nur als "Reflexe" bezeichnet, auch wenn sie "aus einer Bedachtsamkeit" kommen und darum oft "ausschwingen".

    Die Aufzeichnungen stammen aus den letzten fünf der insgesamt acht Jahre, die der österreichische Schriftsteller, in Salzburg verbrachte. Er war, seiner Tochter wegen, die in Österreich zur Schule gehen sollte, aus Frankreich zurückgekehrt. Diese Notizen begleiten die Entstehung eines kompakten Anteils am Gesamtwerk: vier große Romane und Erzählungen, "Der Chinesen des Schmerzes" (1983), "Die Wiederholung" (1986), "Der Nachmittag eines Schriftstellers" (1987) und "Die Abwesenheit" (1987). Dazu einige, nicht wenige Übersetzungen aus dem Altgriechischen, dem Slowenischen, dem Amerikanischen und Französischen. Etwa drei Viertel seiner Aufzeichnungen, in der Regel Zitate aus den Büchern, die er gelesen hatte, sind weggefallen. Ebenso die meisten Meinungsäußerungen, einige hat er stehenlassen, um sich "wie es sich wohl gehört, diese und jene Blöße zu geben". Das verbliebene Viertel erstreckt sich immerhin 541 Druckseiten, in einer für Handke-Verhältnisse ungewöhnlich kleinen Schrift. Also wirklich: ein dicker Brocken.

    Handke arbeitete in der Regel morgens, wie seine Leser aus dem "Nachmittag eines Schriftstellers" wissen, und machte sich dann am Nachmittag auf zum Teil recht ausgedehnte Wanderungen durch die Umgebung Salzburgs. Er schritt die Schauplätze seiner Bücher ab, beziehungsweise, wie er sagen würde, er begab sich an die Orte des Erzählens. Dabei schrieb er auf, was ihm einfiel und was ihm auffiel. Skurrile Geschichten, poetologische Erörterungen, Wünsche und Alpträume, Schnapsideen, Maximen und Reflexionen, Beobachtungen, Vorsätze und Nachbetrachtungen, Lesefrüchte, Kalauer, Zitate von Wittgenstein und Spinoza, von Hebbel und Hofmannsthal, eigene originelle Einsichten, poetische Bilder und handfeste Gebrauchsanweisungen. Nichts, fast nichts über sein Privatleben. Anima, die Tochter, die er damals allein erzogen hat, wird gelegentlich verschlüsselt erwähnt. Noch seltener und völlig konturlos die damalige Freundin. Was durchscheint: die Sehnsucht, das Bedürfnis nach Liebe. Handke beschreibt aber auch seine Verzweiflung an Österreich und seine Verachtung von Thomas Bernhard. Er sinniert und phantasiert. Er registiert und bewundert. Diese Notizbücher enthalten keine Vorarbeiten zu seinen Erzählungen, sondern allenfalls begleitetende Überlegungen. Sie enthalten im Grunde alles, was zwischen zwei Buchdeckel paßt. Zum Beispiel:

    "Ein Mädchen tritt auf den Balkon des Neubaus, der noch kein Geländer hat" oder: "Sie sagte, ihr Bein sei zweimal in Gips gewesen; 'aber damals war ich noch Jungfrau' (abendlicher Satz auf der Kanalbrücke)" oder: "Gestern im Bauerndorf am Stadtrand wurde eine Kuh zwischen den Bespring-Stangen geführt, dort angebunden und erst einmal langwierig besänftigt. Dann kam der Stier jäh aus einem dunklen Schuppen angestürmt und war auch schon auf die zu besamende Kuh gesprungen, diese niederreißend und von ihr herabfallend. Warum ich das festhalte? Weil beide Tiere nicht wußten, 'wie ihnen geschah' (1. August 1987)" oder: "An seinem letzten Tag soll der Sterbende gesagt haben: 'Und jetzt beginnt der Emst des Lebens"' oder: "Beim Betrachten von Landkarten, beim Lesen der Ortsnamen das Bedürfnis, gut zu sein, und die Sehnsucht, daß Frieden herrsche" oder: "Bist du ohne Liebe, fehlt am Horizont den Wolken der Saum" (30. April) oder: "'Flehentlich fragen: 'Und warum denke ich dabei an Mozart?" und, auf der gleichen Seite: "Der Verunglückte heute in Maxglan, am Straßenrand auf der Kippe liegend, ab und zu den Kopf hebend, mitsamt dem Sturzhelm, sein Moped geklemmt unter das Vorderrad des Autos, in dem eine weinende Frau saß. Als Zuschauer grinsende Lehrlinge. Der Verunglückte, so jung, mit Lockenhaaren, bewegte immer wieder den Kopf und die Finger. Und dann die ungeheure Behutsamkeit der endlich eintreffenden Rotkreuzleute, in ihrer Art auch, sich ganz hinab zu dem Verunglückten gebeugt, ihm Fragen zu stellen. Als der Junge dann in den Wagen geschoben wurde, erschien er plötzlich als alle Schüler und Lehrlinge in einem. Ohne Signal dann die Abfahrt (11. November)"

    Mit seiner Rückkehr nach Österreich beendete Handke den Zyklus "Die Langsame Heimkehr". 1981 ist das abschließende dramatische Gedicht "Über die Dörfer", die deutlichste Markierung einer radikalen 'Kehre' in Handkes Entwicklung, erschienen. Das Notizbuch setzt also unmittelbar nach dieser Wendung ein.

    Mitten in Salzburg, oben auf dem Mönchsberg, in einem burgähnlichen Anwesen, das auf der Rückseite bis direkt an den steilen Abhang heran gebaut war, hatte Handke Quartier gefunden (deshalb spricht er, ganz unmetaphorisch, vom "Felsfenster".) Hier beginnt nun ein netter Abschnitt seiner Lebens- und Werkgeschichte. Die langsame Heimkehr hatte ihn zurück zu einer - auch, aber keineswegs nur romantisch verstandenen - Natur geführt. Es war der Versuch, die Forderungen der Moderne mit den Vorbehalten Stifters zu verbinden. In Salzburg nun entdeckt Handke die "Schwelle", den sanften Übergang des Erzählens. Hier verabschiedet er sich endgültig von Experiment und aller Sprachspielerei. Er strebt jetzt durch die Sprache zu den Dingen. An die Stelle der Kritik tritt die "Anbetung". In Salzburg besinnt er sich wieder auf seine slowenische Herkunft. Er beschäftigte sich intensiv mit der Antike. Aber: Er verläßt dafür die Welt, zumindest die Welt, in der wir, seine visionär minderbemittelten Zeitgenossen, leben. Kühn behauptet er:

    "Und noch einmal: Geprägt bin ich nicht vom Erlebnis der Historie, sondern von der Zeit außerhalb der Geschichte. Die Historie hinterläßt in mir, an mir, keine Prägung, kein 'Wasserzeichen"' und: ""Allein mit der Natur' ist manchmal wie 'allein mit der Geliebten’" und: "Für mich ist Gesellschaftsleben kein Leben, sondern ein Treiben"

    Die ersten dieser Aufzeichnungen liegen mehr als fünfzehn Jahre zurück, vor mehr als zehn Jahren hat Handke die Notizbücher abgeschlossen. Eine aufschlußreiche Differenz, denn was jetzt erst veröffentlicht wird, ist in die Achtziger Jahre hineingeschrieben. Nicht nur Spurenelemente utopischen Denkens lassen sich darum noch finden.

    Der junge Handke war einst dem Prinzip der Moderne gefolgt. Gegen etablierte Sehweisen ging er mit neuen Verfahrensweisen an. Mit jedem neuen Buch probierte er eine neue Schreibweise aus. Jetzt haben seine Bücher keine, wie er sagt, "Machart" mehr. Handke versuchte, nachdem er gleichsam durch die Moderne hindurchgegangen war, hinter sie zurückzugreifen. Allein aus der Anschauung bezieht er jetzt Kraft. Aller Zweifel wird mit der Aufforderung beseitigt: "Glaubt mir und haltet euch daran". Das ging in den Achtziger Jahren nicht ohne Widerspruch über die Bühne. "Heino der Metaphysik" wurde er damals genannt. Damals wurden Handkes Bücher allerdings auch noch in einem politischen Kontext diskutiert und manche der Eintragungen hätten damals - in ihrer inszenierten Demut - schlicht provozierend gewirkt.

    "Beschreiben ist gutheißen ist festhalten" "Neigung zur 'Ehrfurcht' ist nach Goethe eine 'Erbtugend"' "Statt 'Kritik' sag ‘Begleitschreiben’"

    Was Handke wollte, ließ sich, auch damals, mit etwas gutem Willen, erkennen. Was er erreichte, aber ebenso. Überzeugend war er immer dort, wo er sich auf der Schwelle von Poesie und Poetologie bewegte, so in der "Lehre der Sainte Victoire". Problematisch wurde es, wenn er grundlos in die Verkündigung verirrte, wie in "Über die Dörfer". Handke ist Poet, auch ein denkender Erzähler, aber weit weniger als Botho Strauß, ein systematischer Denker.

    "Ich habe jeweils nur einen (1) Gedanken. Ein Weiterdenken kenne ich nicht - und wenn, dann gilt es nicht"

    Das heißt: Handkes Denken zielt eben immer auch auf Möglichkeit des Erzählens. So sammelt er auch in den Notizbüchern vor allem Bausteine zu einer Poetologie.

    "'Wo möchten Sie leben?' - 'In der Erzählung.' - 'Wann möchten Sie leben?' - 'Zur Zeit der Erzählung.' - 'Wozu möchten Sie leben?' - 'Für die Erzählung.' (Herbstanfang 1982)"

    Er versteht sich dabei als "lyrischen Epiker", den es - "ohne Geschichte" - zum Erzählen drängt, und zwar zu einer neuen, anderen Form der Erzählung.

    "Die höchste Erzählung ist nicht die Beschreibung von Aktionen, Reflexionen, Reflexen, sondern die Wiedergabe einer Folge von Dingen; die Evokation einer so unerhörten wie einleuchtenden Dingfolge; die Dinge, in einem einmaligen Zusammehang wahrgenommen, der durch das Evozieren ein für allemal gilt" und: "Das Mysterium der Erzählung: so ist es; und bedenk das immer wieder, verzagend-unverzagt"

    Hinter diesem Mysterium lassen sich zuweilen weit weniger rätselhafte Einflüsse ausmachen. Handke hatte beispielsweise Francis Ponges "Notizbuch vom Kiefernwald" aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt und auch dadurch den Anschluß an eine Strömung der Moderne gefunden, deren Ding-Metaphysik noch geschichtsphilosophisch-utopisch begründet war. In diesen Fragen nimmt es Handke des öfteren nicht so ganz genau und begnügt sich mit Hinweisen der Art -

    "Die Kunst: läßt ahnen, was man ahnen kann"

    Eine an sich richtige Einsicht, die aber oft dazu herhalten muß, den Unterschied zwischen Ahnen und Wissen zu verschleiern. Handke bewegt sich gern im Ungefähren. Er benutzt dazu die Poesie als Lizenz.

    "Die Erzählung heutzutage handelt nicht vom Volk, nicht von der Geschichte, nicht von der Mitte, nicht von der Grenze, sondern, wie ein Kind sagte, vom "Nebenbei". - Ja weniger die Historie zu erzählen drängt es mich, auch nicht den Erduntergrund, die Höhlen ... sondern? Den Luftraum, den 'Meteor'."

    Auch diese Eintragung läßt allenfalls ungefähr erkennen, worum es Handke geht. Er sucht die Leichtigkeit, erscheint dabei doch oft schwerfällig. Er gibt sich gerne bedächtig. Doch oft geht seine Neigung, schnell zu ver-urteilen mit ihm durch. Der Jähzorn, der manche seiner Helden auszeichnet, scheint auch dem Autor nicht fremd. Die "Ruhe", die er von sich und überhaupt fordert, ist - sichtbar an den Widersprüchen - mühsam erkämpft. Dabei darf nicht vergessen werden, daß es sich hier um Notizbücher handelt, die etwas vorläufiges, oft auch Versuchscharakter haben, und: daß Handke den Widerspruch keineswegs scheut. Gelegentlich sagt er gern einmal "hüh" und tags darauf "hott", in der Gewißheit, daß er immer nur - ungefähr - das Richtige meint. "Die Wiederholung" ist sicher, und nicht nur nach Handkes eigener Einschätzung:

    "Die Wiederholung: Ich erzähle, unterschwellig, das Erzählen"

    das bedeutenste Buch der Salzburger Jahre. Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Notizbücher hindurch. Erstmals wird es 1982 erwähnt. Vier Jahre später heißt es, nicht ohne Pathos und mit ungewöhnlicher Genauigkeit:

    "Erzählung, nur du kennst unsere Einsamkeit (28. Febr., 12 Uhr 20, ‘Die Wiederholung’ beendet)."

    Nun aber handelt diese Erzählung, anders als bloß zwei Seiten vorher proklamiert, sowohl vom Volk wie von der "Geschichte", sowohl von der "Mitte" wie von der "Grenze" und dabei, nur nebenbei, auch vom "Nebenbei".

    Es ist die Erzählung des Slowenen Philip Kobal, gebrochen durch Erinnerung, gespiegelt in der Wieder-Holung und damit durchdrungen von Erfahrung. Eine Familiengeschichte, eingelassen in die Geschichte eines unterdrückten, vertriebenen Volkes, das stets fremder Herrschaft unterworfen war, nie einen eigenen Staat - aber deshalb einen Mythos - hatte. Philip Kobal, der Ich-Erzähler, kehrt in die Kindheit zurück, um die Spur seines verschollenen Bruders zu verfolgen. Dessen Familienlegende führt widerrum zurück auf den Mythos eines anderen Gregor Kobal, der einst den bewaffneten Widerstand der Slowenen gegen die fremden Herrscher angeführt hatte. Dieser Weg - auf den Spuren des Bruders - führt nicht nur in die Geschichte zurück, sondern auch in die Landschaft hinein, und, ganz natürlich, auch in die Sprache der Vorfahren. Die Wörter werden als Zauberwörter erinnert. Ihr Zusammenhang schafft, eben als Erzählung, den Raum zurück, der mit der Kindheit verloren schien. Hier wird mystische Erfahrung, tatsächlich bildhaft, zum Mythos. Und der Mythos wird zur - aufklärerischen - Erzählung.

    Die Aufzeichnungen zur "Wiederholung" in den Notizbüchern, kein Buch wird öfter erwähnt, bleiben aber meist peripher. Handke charakterisiert zwar seinen Helden. Er proklamiert seine Absichten, will, etwa, "den Toten Ehre machen", doch im wesentlichen beschränkt er sich auf abstützende Überlegungen. So zum Beispiel die Einsicht:

    "Ein guter Satz geht immer in die Kindheit zurück; findet etwas aus der Kindheit wieder (aber keine Anekdote)" und: "Geschichte wollte Philip Kobal studieren aus Empörung, Geographie dagegen aus Begeisterung"

    In den Notizbüchem (wie in der "Wiederholung" selbst) deutet sich damit die ethnische Begründung an, die Handke zu seinem - oft törichten - Engagement in der Jugoslawien-Frage bewogen hat. Seine slowenische Herkunft und seine, von poetologischer Reflexion gestützte Anschauung, legitimieren den Dichter zu seiner Stellungnahme. Auch seine spätere Medien-Kritik in der "Winterlichen Reise" durch Serbien ist hier bereits vorgezeichnet:

    "Jeden Zeitungskauf, jedes Durchblättern, ja jedes sich Vertiefen in eine Zeitung betrachte ich als Niederlage" "Noch einmal zum Zeitunglesen: das Leben versäumen (14. Nov.)" "Immer wieder verbanne ich mich aus dem weiten Land der Erzählung durch mein hirnrissiges Zeitunglesen" Oder: "'Gedankenunfähig stürzte er zu Boden'; oder; 'Er fiel gedankenlos vom Stuhl’ (das könnte ich immer von mir nach dem Zeitunglesen sagen"

    Handkes Affekte sind, zumindest ansatzweise, auch begründet. Ihm steht -

    "Die Welt der Darstellung gegen die Weltlosigkeit der Meinung."

    Sie sind aber leider, wie vieles bei Handke, nur unzulänglich begründet.

    "'Ja, weißt du denn so wenig, daß du von dem, was du weißt, reden mußt?'- Das gegen all die Wissenshuber und -meier gesagt" "Poesie kann nur sein, was kein Thema sein kann."

    Handke unterscheidet also zwischen Information und Erfahrung auf der einen, zwischen Meinung und Begründung auf der anderen Seite. Er unterscheidet aber weiter noch zwischen Schein und Wirklichkeit. Erst hier wird es problematisch. Daß er mit seinen kritischen Vorbehalten gegen unsere Medien auf wachsendes Unverständnis stößt, kann mich und sollte ihn nicht irritieren. Der Begriff Infotainement beschreibt die Tendenz. Vor lauter Fakten sehen wir die Verhältnisse nicht mehr. Doch wir verlangen süchtig nach immer mehr Information. Out ist, wer nicht schnell genug auf den Punkt kommt. Handkes Affekt gegen Information ist wohl begründet. Doch sein Anspruch, gegen all den faulen Zauber der Gegenwart als Hüter der wahren Wirklichkeit aufzutreten, ist irritierend.

    "Und der Engel sagte zu mir- 'Sie, diese dort, haben die Rede, du aber hast, hin und wieder, das Wort'."

    Solche Selbstgewißheit, die sich oft nur gebrochen äußert, bleibt im Ganzen fatal. Handke weiß, wo es lang geht, auch wenn seine Richtungsangaben durchaus schwanken.

    "Wer das beklagt, was vergangen ist, siehe, das ist ein vergebliches Gebet" Aber: er notiert selber: "Was verlangt das Haus? - keinen Eigentümer, sondern einen Hüter- es verlangt, gehütet zu werden."

    An diesem schlichten Beispiel läßt sich zeigen, wie die Einsicht, "kein Eigentümer", besserem Wissen in die Quere kommt. Natürlich verlangt ein Haus keinen Eigentümer. Aus Besitzverhältnissen resultieren Herrschaftsverhältnisse. Ein Haus will bewohnt, genutzt, genossen, gebraucht und bewahrt werden. Es bedarf der Unterhaltung, Pflege, Instandhaltung, gegebenenfalls der Instandsetzung. Warum spricht Handke vom Hüter? Und warum von hüten? Ich vermute, daß er doch dem "vergeblichen Gebet" anhängt. Der Hüter des Hauses läßt seinen Bewohner in die falsche Richtung blicken: das Heil wird hier offenkundig im Vergangenen gesucht. Die prekäre Begründung seiner Haltung erklärt vielleicht auch die leichte Reizbarkeit des Dichters, der sich oft und oft auch wissentlich widerspricht, aber selbst keinen Widerspruch vertragen kann. Statt Kritik erhofft er sich, wie erwähnt, "Begleitschreiben". Arroganz und Demut liegen dicht beieinander.

    "Du kannst nicht hoch genug von dir denken. Aber du darfst davon nichts herleiten, daraus nichts ableiten, daraus nichts fordern (14. Juni)" Auf der anderen Seite, die höhnische Bemerkung: "Streit ist nur möglich mit dem Geist; also streite nicht mit der Polizei! (ermahnte ich mich selber)".

    Doch selbst der Hochmut ist inszeniert. Alles in seinem Leben soll Literatur sein beziehungsweise werden. Das heißt: Handke ist eine Kunstfigur, Ironie ist ihm, wie er mehrfach gesteht, fremd. Trotzdem unterscheiden sich diese Notizbücher von allen ihren Vorgängern - durch eine Eigenschaft, die hier zum ersten Mal in seinem Schreiben durchbricht - Humor:

    "Herr zum (scheißenden Hund). 'Laß dir Zeit"' Oder: "Die Zeitungsfrau, deren Mutter begraben worden ist, weinend: 'Nun kann ich zu niemanden mehr Mutter sagen"

    Handkes Humor ist substantiell geworden. Das heißt: es ist ihm ernst damit.

    "Das Licht der Welt braucht deinen Zusatz (dunkler Morgen am Felsfenster, 17. Okt.)" Und: "Wenn ich, hier am Inn, In Innsbruck, am 14. Mai 1987, die so klare feine Staffelung der Natur hierzulande anschaue - wie jetzt den glucksenden, windüberwehten Fluß, darüber die frischgrünen, blühenden Bäume, darüber die himmelhoch, granitene Nordkette, mit den frischweißen Schneehängen, darüber die noch himmelhöheren Wolken und das Blau - diese so klare, feine Musterhaftigkeit der Natur hierzulande -, so frage ich mich: Warum sind wir Österreicher nur solche Arschlöcher?"