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Am Fußball werden "auch die eigentlich wichtigen Dinge mit abgehandelt"

Wo stehen wir in der Welt, wie ist unser nationales Selbstbild? Diese Frage kann der Fußball über die deutsche Nationalelf mitbeantworten, meint Gunter Gebauer - und hat im Fall eines deutschen Ausscheidens bei der WM Mutmachendes parat.

    Tobias Armbrüster: Wer heute Morgen die Zeitungen aufschlägt, dem schlägt vor allem eins entgegen: das Thema Fußball nämlich. Das Spiel gegen Ghana heute Abend scheint wichtiger, oder zumindest ebenso wichtig zu sein, wie zum Beispiel die Debatte um das Sparpaket oder um die Sicherungsverwahrung. Fußball, so hat man manchmal den Eindruck, schlägt zurzeit alles andere. Was das über uns aussagt, kann uns vielleicht ein Mann sagen, der sich viel mit den gesellschaftlichen Hintergründen im Sport befasst: der Sportphilosoph Gunter Gebauer, per Telefon zugeschaltet aus Südafrika. Schönen guten Morgen, Herr Gebauer.

    Gunter Gebauer: Schönen guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Wir schlagen die Zeitungen auf, lesen überall von der Fußball-WM, und auch wer sich eigentlich nicht für Fußball interessiert, kommt heute nicht um dieses Spiel herum. Kümmern wir uns alle viel zu viel um Fußball und zu wenig um die eigentlich wichtigen Dinge?

    Gebauer: Das Interessante ist ja, dass am Fußball auch die eigentlich wichtigen Dinge mit abgehandelt werden. Dass man sich zu viel um Fußball kümmert, das mag ja sein. Vor allen Dingen für diejenigen, die dem Fußball fremd gegenüberstehen, werden da sehr große Berührungsängste haben und denken, jetzt nimmt der Sport sozusagen die ganze öffentliche Meinung in Beschlag. Aber es ist ja so, dass im Fußball auch Fragen verhandelt werden, die im Grunde genommen politisch sind. Ich denke zum Beispiel solche Fragen wie: Wo stehen wir in der Welt, wie werden wir angesehen, wie ist unser Selbstbild, sind wir handlungsfähig. Das Interessante ist ja, dass die Politik im Augenblick gar keine Antwort auf diese Fragen gibt. Wir haben keinen Präsidenten, der uns repräsentiert, wir haben eine Kanzlerin, die relativ, sagen wir mal, antirepräsentativ handelt, unser Außenminister, der das ja auch machen könnte, macht eher Innenpolitik. Also, die politischen Instanzen sind sozusagen abgetaucht beziehungsweise vakant, einfach frei, und im Augenblick verlagert sich diese ganze nationale Fragestellung, die wir haben, die auch wichtig eigentlich zu beantworten ist, auf das Feld des Fußballs. Das haben wir natürlich nicht nur in Deutschland so, sondern ich sehe Frankreich beispielsweise, da ist heute Morgen der Katzenjammer. In Südafrika, wo ich im Augenblick bin, ist es eher anders. Die Mannschaft ist ausgeschieden, aber eigentlich mit Freude aufgenommen, nicht die Niederlage, sondern die Tatsache, dass hier Südafrika die ganze Welt, die sich für Fußball interessiert, im Augenblick zu Gast hat. Das ist etwas, was das ganze Land zu transformieren scheint. Man muss sich das mal angucken, wie es in anderen Ländern aussieht, und da kann man sagen: was Fußball ausmacht, ist es in Südafrika im Augenblick noch viel, viel stärker natürlich als in Deutschland.

    Armbrüster: Wenn wir noch einmal auf Deutschland oder auf Europa blicken, könnte es sein, dass Fußball auch deshalb so faszinierend ist, weil die Nationalstaaten zumindest hier in Europa immer mehr in den Hintergrund treten, dass die Grenzen auch zwischen den Staaten immer mehr verwischen und wir dort sozusagen einen Ersatz im Fußball finden?

    Neugebauer: Ja. Es ist nicht nur ein Ersatz, sondern es ist wirklich so: Wir suchen danach, was unser Eigenes ausmacht, was macht das aus, was wir uns vorstellen, dass deutsch sein kann, was französisch sein kann, was für die Südafrikaner eben südafrikanisch sein kann, worauf können wir noch stolz sein. Ich bin jetzt bei einer Tagung von der Humboldt-Stiftung und der Thyssen-Stiftung hier in Johannesburg und da ist die Frage: Können wir noch auf irgendetwas stolz sein? Wenn wir Europa haben, haben wir ein bisschen Probleme, auf etwas stolz zu sein, nicht, dass wir keine Leistung vorweisen können – wir haben demokratische Institutionen, es ist eine Einheit geworden, wir haben eine Währung, die selbst, wenn sie jetzt in Schwierigkeiten geraten ist, in der Welt hoch angesehen ist -, es gibt vielerlei Gründe, etwas zufrieden zu sein, aber dass man stolz auf irgendetwas ist, das kann man - -

    Armbrüster: Da haben wir leider Ihre letzten Worte nicht verstanden, Herr Gebauer. Ich hoffe, wir sind noch mit Ihnen verbunden. Hören Sie mich noch? – Das ist ganz schwer zu verstehen. Ich versuche es trotzdem noch mal mit einer weiteren Frage. Was könnte denn ein Sieg der deutschen Elf heute Abend in Deutschland bewirken?

    Gebauer: Auf jeden Fall ist so etwas, ein schöner Sieg der deutschen Mannschaft, ein Stimmungsaufheller in einer Zeit, in der wir von allen möglichen Ereignissen bedrückt werden, und es ist sozusagen ein Ausfluss, einmal so etwas wie Euphorie und nationale Freude zu zeigen, ohne jetzt irgendwie in Nationalismus abzugleiten.

    Armbrüster: Und was raten Sie den Deutschen, wenn das Team heute Abend verliert?

    Gebauer: Ich fände es ganz gut, wenn man sich mal in Deutschland anschaut, wie es gestern in Südafrika ausgegangen ist. Die Mannschaft hat zwar gegen Frankreich gewonnen, ist ausgeschieden. Ich war bei der schwarzen Bevölkerung in Soweto, wo es hochinteressant war, die sehr freundlich auf ihr Team reagiert haben, nationalistisch bis hin zur großen Euphorie. Aber als die Mannschaft ausgeschieden war, gab es großen Beifall, die Leute haben getanzt, das Ganze ging über in ein großes Abendfest, trotz des Ausscheidens, weil man der Meinung ist, die Mannschaft hat sich gut geschlagen, und man ist stolz auf so eine Mannschaft. Das können wir ja im Prinzip auch sein. Wir müssen ja nicht denken, dass gleich die Welt zusammenbricht, wenn der deutsche Fußball mal ausscheidet.

    Armbrüster: Wenn wir noch einmal auf die Verbindung zwischen Fußball und Politik blicken, haben Sie manchmal den Eindruck, dass die Politiker neidisch sind auf die Fußballer?

    Gebauer: Ja, eindeutig. Die Fußballer haben ja viel einfachere, klarere und schönere Mittel zur Verfügung, sich auszudrücken. Ich glaube, das Entscheidende ist: Fußball wird nicht im Hinterzimmer gemacht, während bei der Politik man immer den Eindruck hat, die meisten Dinge passieren irgendwo in der Hinterbühne und das Publikum kriegt ja nur noch irgendwelche kleinen Ereignisse auf der Vorderbühne ab, ein bisschen kompromisslerische Dinge, die keinen richtig zufriedenstellen. Beim Fußball ist ein Tor ein Tor, ein Sieg ist ein Sieg, also die Dinge sind sehr klar und man kann sich sehr deutlich mit den Dingen abfinden, und wenn man verliert, muss man eben zusehen, dass man mit erhobenem Haupt vom Platz gehen kann.

    Armbrüster: Klare Worte waren das vom Berliner Sportphilosophen Gunter Gebauer, heute Morgen hier live im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank, Herr Gebauer, für dieses Interview, dass Sie sich Zeit genommen haben, und für die schlechte Tonqualität bitten wir um Verständnis.

    Gebauer: Bitte sehr, Herr Armbrüster.