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Am "Käthchen" sind fast alle gescheitert

Heinrich von Kleists "Käthchen von Heilbronn" haben 2011 unter anderen Jan Bosse, Dieter Dorn und Andreas Kriegenburg inszeniert. Ulrich Leibold, Mitglied in der Theatertreffen-Jury, hält nicht alle Aufführungen für gelungen.

Ulrich Leibold im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: Die Zeit zwischen den Jahren ist die Zeit für Rückblicke, zum Beispiel auf die Tops und Flops der Kulturproduktion in Deutschland. Bei Theater und Oper liegen diese Rückblicke zwar immer etwas quer zur eigentlichen Spielzeit, die ja erst seit September läuft, aber in diesem Jahr ergeben sich dadurch ganz reizvolle Perspektiven. Abschiede, Neuanfänge und ein prominentes Jubiläum stehen im Mittelpunkt des Gesprächs, das ich vor der Sendung mit dem Münchner Theaterkritiker und Mitglied in der Theatertreffen-Jury Christoph Leibold geführt habe. Und die erste Frage lautete: Als wie bühnentauglich, Herr Leibold, hat sich denn der eigentliche auch spröde Heinrich von Kleist erwiesen, dessen Todestag sich am 21. November zum 200. Mal jährte?

    Christoph Leibold: Ja, das ist eine knifflige Geschichte mit dem guten, alten Kleist, denn wieso man ihn natürlich spielt, ist klar: Es ist ein sehr, sehr modernes Menschenbild - dieses Auseinanderklaffen von inneren Gefühlswelten und das, was die Menschen verstandesmäßig sozusagen nach außen vor sich hertragen, das will man inszenieren. Aber Kleist hat natürlich im Prinzip wie die meisten von uns wollte erfolgreich sein in seiner Zeit und hat sich dann oft bei der Form durchaus an konventionellen Theaterformen bedient, und das stellt die Theater immer wieder vor Probleme. Dum Beispiel das "Käthchen", das sehr, sehr oft inszeniert worden ist, "Das Käthchen von Heilbronn", da sind sie fast alle dran gescheitert. Dieter Dorn in München, der sich damit verabschiedet hat, Jan Bosse am Gorki-Theater, Andreas Kriegenburg am Deutschen Theater in Berlin - alle wussten nicht, wie sie mit dieser Ritterwelt umgehen sollen, die immer so latent lächerlich ist oder auch manchmal sehr offensiv dann lächerlich gemacht worden ist.

    Fischer: Aber Dieter Dorn hat doch ziemlichen Erfolg gehabt mit seiner tatsächlich auch lachhaften im Sinne von komischen Figur.

    Leibold: Ja und nein, das kommt darauf an. Also Dieter Dorn hat natürlich bei einem gewissen Teil seines Publikums - das ist noch mal so eine ganz eigene Geschichte -, das er sich über Jahre herangezogen hat - der Mann war ja 35 Jahre in München tätig - der konnte bei diesem Teil des Publikums fast nichts falsch machen. Die wollten eigentlich das, was ihnen so als texttreues Theater angeboten worden ist, was aber in einen sehr possierlichen Pappdeckelrealismus irgendwie gemündet ist, speziell beim Käthchen. Also für mich und ich glaube auch für einen großen Teil der Kritiker und für viele auch jüngere Zuschauer war das kein Erfolg, aber er hatte natürlich seine angestammte Crew von Zuschauern, seine Fans, die ihn da durchgetragen haben.

    Fischer: Man kann sich bei Kleist ja immer produktiv streiten - Sie haben das erwähnt, und die Feuilletons haben das ja auch gemacht - über die Modernität dieses Schriftstellers und seiner Stücke, die mal schroff, mal sehr unbedingt, mal romantisch untergründet, mal auch schlecht spielbar erscheinen. Was die jüngere Regieriege daraus heute macht, ist ja aber meist noch mal was ganz anderes. Hatten Sie den Eindruck, dass Heinrich von Kleist in seinem Sprachfuror ernst genommen wurde auf den deutschen Bühnen im vergangenen Jahr, oder wurde er mehr so trashig, modisch, jung aufgemotzt und eher verspielt?

    Leibold: Na ja, bei Jan Bosse, den ich schon erwähnt habe, in Berlin, das war vielleicht nicht aufgemotzt, aber man wusste eben nicht so richtig, wie man mit diesem Ernst, der aber immer sehr schnell auch ins unfreiwillig Komische kippt, umgehen soll. Und Bosse zum Beispiel ist sehr offensiv ins Alberne gegangen, da gab es also scheppernde Rüstungen, da gab es Puppen dazu - was bei Kleist ja immer so gleich legitimiert, ist eben wegen dem Aufsatz über das Marionettentheater, aber dann wird dann doch sehr unsauber damit umgegangen. Das waren tatsächlich sehr trashige Puppen vom Berliner Puppentheater "Das Helmi". Und Andreas Kriegenburg, in der gleichen Stadt, nur einen Monat später, auch mit dem "Käthchen von Heilbronn", der hat sich eigentlich drum gedrückt, um den Kleist, der hat nämlich sechs Kleist-Doubles in eine Schreibstube gesetzt und dann so die allmähliche Verfertigung des Dramas beim Erzählen, beim Schreiben inszeniert. Das ist aber dann sehr schnell sehr fade geworden, und dann wurde doch wieder mit Rüstungen gekracht und geklimpert. Letztendlich wurde das dann auch veralbert. Also man tut sich sehr schwer, gerade den Kleist in der Form ernst zu nehmen, weil das ja von der Form doch teilweise sehr aus unserer Zeit ist.

    Fischer: In Salzburg gab es im Sommer keinen Kleist, dafür aber den ganzen "Faust" in der Regie von Nicolas Stemann. Lassen Sie uns ein paar Worte zur letzten Saison von Thomas Oberender als Chef der Schauspielsparte dort verlieren. Wie war die?

    Leibold: Na ja, da muss man natürlich gleich auf diesen "Faust" eingehen, den "Faust I und II" in einem achteinhalbstündigen Theatermarathon mit vier Pausen. Das war nicht nur ein Salzburger Highlight, sondern für mich eines der relativ spärlich gesäten Highlights in diesem Theaterjahr. Also den "Faust I", den Stemann - man muss vielleicht kurz zwei, drei Sätze dazu sagen - mit nur drei Schauspielern inszeniert hat, mit einem Darsteller als Faust, einem Mephisto und einem Gretchen, die jeder so ein Drittel dieses Stücks sozusagen selber bestritten haben, auch die anderen Figuren mitgesprochen haben, sodass dieser Faust so eine Art dreigespaltene Persönlichkeit wurde, ... Und man hat dieses Stück meines Erachtens vollkommen neu erlebt, weil das ist ja fast so eine Zitatenparade, wo man jeden zweiten Satz mitsprechen kann und deshalb nicht mehr genau hinhört, und so hat man das Stück neu erlebt. Das war ganz großartig. Und überhaupt hat Thomas Oberender dieses Jahr bei der Wahl der Stoffe und Regisseure eigentlich ein sehr glückliches Händchen gehabt, das er nicht in all seinen Salzburger Jahren gehabt hat. Auch die Handke-Uraufführung "Immer noch Sturm" durch Dimiter Gotscheff war vielleicht nicht das ganz große Highlight für mich, aber auch ein sehr spannender Abend mit einem ganz tollen Jens Harzer in der Hauptrolle, ein gut besetztes, Young Directors Project mit internationalen Produktionen, die sehr viel eingegangen sind auf das Verhältnis zwischen Zuschauer und dem, was er auf der Bühne sieht, also neuere Formen. Und für mich auch eigentlich ein sehr schönes Stück, auch wenn es bei den Kollegen nicht so gut weggekommen ist: "Die vier Himmelsrichtungen" von Roland Schimmelpfennig, tolles Schauspielertheater. Also Oberender hat einen starken Abgang gehabt.

    Fischer: Er wird jetzt Leiter der Berliner Festspiele, aber schon angefangen haben zwei andere Theatermacher, nämlich Martin Kušej am Residenztheater in München als Nachfolger von dem schon besprochenen Dieter Dorn, und Steffan Valdemar Holm, wenn auch durch bauliche Widrigkeiten verzögert, in Düsseldorf. Wie beurteilen Sie diese zwei Starts?

    Leibold: Ja, in Düsseldorf habe ich von Holm den "Hamlet" gesehen, der sozusagen nachgereicht war, was ein bisschen unglücklich war, weil er eben warten musste, bis sein großes Haus saniert ist. Das war ein, ja, für mich eher fast etwas Enttäuschendes, aber vielleicht dann auch doch so Erwartetes - von dem, was man vorher über ihn gehört hat, man kannte ihn ja vorher hierzulande nicht - ... Aber es war noch nicht so der große Wurf, nicht besonders mutig, vielleicht natürlich auch ein Friedensangebot zunächst an das Düsseldorfer Publikum, und dann muss man sich so weitertasten. Und ähnlich scheint mir Martin Kušei in München vorgegangen zu sein, und das war schon fast eine Enttäuschung. Ich habe vorhin schon gesagt, 35 Jahre Dieter Dorn in München, da waren die Erwartungen natürlich hoch, und auch Kušei selbst hat gesagt, mein Auftrag ist Erneuerung, und irgendwann lag natürlich die Latte so hoch, dass was revolutionär Anderes passieren würde - da war es natürlich fast schon leicht, dann locker unten drunter durchzuspazieren. Man musste schon aufhorchen im April, als Kušei seine Pläne vorstellte und sagte, er würde anfangen mit Arthur Schnitzlers "Das weite Land" und sagte, ich interessiere mich neuerdings für psychologische Vorgänge. Und da dachte ich mir schon, hmmm, der Mann ist ja eigentlich bekannt für seine kräftige Regiepranke, jetzt auf einmal die Psychologie, die ins Spiel kommt - was ich ja nicht rundheraus ablehnen will -, aber das klang so nach einem Friedensangebot an die Dorn-Fans in München, und so ähnlich kam diese Inszenierung daher: Es war eine sehr symbolschwere Kulisse, ein Gefühlsdschungel, in den die Figuren ein- und austauchten, aber davor doch sehr konzentriertes, kammerspielartiges Theater, das durchaus gelungen war, aber irgendwie zu klein für die große Bühne, und der Funke wollte nicht recht überspringen. Und leider ging es so in diesem Stil weiter. Also diesen großen Schnitt, den München erhofft hat, auf den warten wir bis heute.

    Fischer: Dann erzählen Sie zum Schluss, Christoph Leibold, doch bitte noch, ob Sie in diesem Jahr Entdeckungen machen konnten, was neue Handschriften, jüngere Regisseure oder Regisseurinnen oder Theaterästhetiken betrifft.

    Leibold: Ein Regisseur, der in München mir gut gefallen hat, ein Serbe, Miloš Lolić, der "Die Bluthochzeit" von Lorca inszeniert hat, den hat das Münchner Volkstheater entdeckt, der eine Stunde eigentlich nur durch Sprache, durch rhythmisches Klopfen diese blutige Bauerntragödie von Lorca, eben die Bluthochzeit, zu einem soghaften Blutrausch inszeniert hat - das war in der Formstrenge einfach ein packender, ganz spannender Zugriff, wo man sagt: Dieser junge Mann weiß schon sehr genau, was er möchte. Das war beeindruckend. Und einen anderen Regisseur, den ich gesehen habe, Sarantos Zervoulakos mit einer "Iphigenie", schwieriges Stück, von Goethe, in Oberhausen, und mit einem Schimmelpfennig'schen "Goldenen Drachen" in Graz, der auch ein Mann ist, der sich so über kleinere Bühnen anpirscht, und der zum Beispiel in Graz mit dem "Goldenen Drachen" von Schimmelpfennig, dieses Stück, was in einem chinesischen Restaurant spielt, in eine Art Schüssel, in und um eine Reisschüssel oder eine Art World Wide Wok - weil es geht ja auch um die Globalisierung - inszeniert hat, also eine ganz pfiffige, aber auf den Punkt gebrachte Bildidee für so ein Stück, wo man irgendwie denkt, da ist gar nicht viel Spielraum, was anders zu machen. Also das hat mir sehr gefallen, den Mann werde ich weiter beobachten, mal sehen, wie sich das weiter entwickelt.

    Fischer: Und das war Christoph Leibold, Theaterkritiker aus München und Mitglied der Theatertreffen-Jury, zu den Höhepunkten und Neustarts im Theaterjahr 2011.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.