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Am Lustspiel gescheitert

Mit "Weh dem, der lügt" versuchte sich der Tragödiendichter Franz Grillparzer an seinem ersten Lustspiel, doch am Wiener Burgtheater scheiterte das Stück grandios. Nach der schnellen Absetzung entschied Grillparzer, für das konservative Wiener Publikum keine Theaterstücke mehr zu schreiben.

Von Regina Kusch | 06.03.2013
    "Was mich am meisten kränkt: dass … gerade … das Wiener Publikum … sich in einer solchen Weise gegen mich benommen hat – am ärgsten in den Logen. … Es soll sie alle der Teufel holen."

    So klagte Franz Grillparzer in seinem Tagebuch, denn sein Stück "Weh dem, der lügt!", war bei der Uraufführung am 6. März 1838 im ausverkauften Burgtheater ausgebuht worden. Grillparzer, hauptberuflich Direktor des österreichischen Finanzministeriums, hatte sich durch seine Dramen "Die Ahnfrau", "Sappho" oder die Trilogie "Das Goldene Vlies" als Tragödiendichter in Österreich und Deutschland einen Namen gemacht.

    Burgtheaterdirektor Joseph Schreyvogel, stets ein literarischer Förderer Grillparzers, hatte auch dessen erstes Lustspiel "Weh dem, der lügt!" auf den Spielplan gesetzt. Es basiert auf einer Anekdote über die Franken aus dem 6. Jahrhundert, verquickt mit einer Liebesgeschichte, die Grillparzer erfunden hatte: Im Krieg zwischen Franken und Germanen muss Gregor, Bischof im fränkischen Chalons, 100 Pfund Lösegeld für seinen Neffen Atalus aufbringen, der im Rheingau gefangen gehalten wird. Leon, der listige Küchenjunge des Bischofs, will seinem Herrn helfen:

    Leon: "Herr, mit Gunst! Da mögt Ihr lange sparen, bis es reicht. Indes quält man den armen Herrn zu Tode."
    Gregor: "Ich fürchte, du hast recht."
    Leon: "Nun Herr, das geht nicht, das muss man anders packen, lieber Herr. Hätt' ich zehn Bursche nur gleich mir, beim Teufel! – Bei Gott! Herr, wollt ich sagen, ich befreite ihn, ich lög ihn schon heraus."
    Gregor: "Weh dem, der lügt!"


    Leon, der dem Bischof versprechen musste, bei der Rettungsaktion nicht zu lügen, sagt deshalb so offensiv die Wahrheit, dass alle sie für einen Scherz halten. Als Koch schmuggelt er sich beim Entführer, dem feindlichen Rheingrafen, ein und verliebt sich in dessen kluge Tochter Edrita. Die flieht mit ihm und dem dünkelhaften Atalus, ebenfalls in Edrita verliebt, die seine Gefühle aber nicht erwidert. Am Ende kann der Bischof von Chalons seinen geliebten Neffen in die Arme schließen und Leon und Edrita seinen Segen erteilen.

    "Grillparzer hat sich gewisse Schauspieler vorgestellt. Sie haben die Rollen nicht so gespielt, wie er sich das vorgestellt hat,"

    erklärt Robert Pichl, Germanist und Vizepräsident der Wiener Grillparzer Gesellschaft, den Misserfolg von "Weh dem, der lügt!".

    "Das Zweite war, dass die tragenden Rollen für bestimmte soziale Stände stehen. … Und dass jetzt alle die, die niedrigeren Standes waren, … die besseren Rollen … haben … war einer der Gründe, dass ein Standesvorurteil hineinprojiziert wurde in das Figurenensemble des Stückes."

    Ein Kritiker schrieb:

    "Die zahlreich erschienenen Adligen äußerten laut ihr Missfallen, gereizt durch Atalus, dessen Beschränktheit sie als eine ihnen geltende Satire auffassten, … und durch das ganz standeswidrige Verlöbnis Edritas mit einem Koch."

    Nachdem das Stück schnell abgesetzt worden war, beschloss Grillparzer, für das konservative Wiener Publikum, das er mit Tieren im Zoo verglich, keine weiteren Theaterstücke mehr zu schreiben:

    "Die Geier in Schönbrunn sollen mit ihrem Wärter sehr unzufrieden gewesen sein, weil er ihnen frisches Fleisch gegeben hat, indes doch Aas ihre Lieblingsspeise ist. Sie sagen, und zwar mit Recht, er hätte sich nach ihrem Geschmacke richten sollen."

    Prof. Robert Pichl: "Nach 1848 hat Heinrich Laube die Burgtheaterdirektion übernommen, das war ein liberaler Geist, und der hat immer wieder Grillparzer-Stücke aufgeführt, die früheren, und hat ihn immer wieder gebeten, doch etwas zu liefern fürs Theater. Aber auch darauf ist er nicht eingegangen."

    Nach seiner Pensionierung erhielt der politisch liberale Grillparzer zahlreiche Auszeichnungen und die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien. Er starb 1872; in seinem Schreibtisch fand man mehrere unveröffentlichte Manuskripte, wie zum Beispiel die Dramen "Libussa" und "Die Jüdin von Toledo", die bis heute aufgeführt werden. Die bisher letzte Burgtheater-Inszenierung von "Weh dem, der lügt!" aus dem Jahr 1999 macht aus dem Lustspiel ein Drama über Gewaltbereitschaft.

    Leon (auf das Getöse eines Fliegerangriffs): "Das Herz vom Hirsch schneide der Länge nach in zwei Hälften. Wälz Speckfäden in Pfeffer und Salz und spick sie damit. Pfeffer und Salz, Gewürzkörner, Rosmarin und einen Strauß Gundelkraut. Zugedeckt dünste alles eine gute halbe Stunde lang." ... (Sirene)