Dienstag, 19. März 2024

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Am Oberlauf der Elbe
Wo Goethe Wein und Frauen liebte

Nordböhmen entlang der oberen Elbe und das Böhmische Mittelgebirge hatten es schon Johann Wolfgang von Goethe angetan. Er kam oft und genoss den Melniker Wein. Ein Weingut ist nach ihm benannt, weil er im nahen Teplitz seine letzte große Liebe, die 17-jährige Ulrike von Levetzow, getroffen haben soll.

Von Joachim Dresdner | 11.08.2019
Litomerice, Leitmeritz an der Elbe, Sitz des Bistums Leitmeritz, Region Ústí nad Labem, Nordböhmen, Böhmen, Tschechien, Tschechische Republik,
Blick auf Leitmeritz an der Elbe in der Region Ústí nad Labem (imago/imagebroker)
Der Zug war pünktlich. Doch es war wohl keine so gute Idee, in Ústí nad Labem (Aussig an der Elbe) mein Reisequartier auf dem Aussichtsberg Větruše zu wählen. Von der oberen Etage des neuen Einkaufcenters fährt eine Seilbahn hinauf zu dem über 120-jährigen Hotelschlösschen. Ich blicke auf die Elbe, die hier einen Knick macht, sich durch den Talkessel Richtung Dresden zwängt und höre Lärm von Container- und Kesselwagenzügen. Wenigstens umgeht die Autobahn nach Prag die Stadt. Usti wächst an den Berghängen. An einem wohnt Alena Chrustová, meine Begleiterin bei der Tour durch die Stadt: "Das ist das ganze Böhmische Mittelgebirge mit vulkanischem Grund, aber hier zum Beispiel unter dem Schlösschen Větruše, der Berg ist geschoben und deshalb haben wir dort jetzt Weinberge. Elbtal hat Weinberge."
Ich akklimatisiere mich bei dem Gang durch die Kreisstadt und stehe mit Alena schon bald wieder vor dem Bahnhof: "Unser Bahnhof entstand 1850 nur provisorisch, steht aber bis heute! Das war großer Bau von Prag nach Dresden und nach Berlin. Auf der anderen Seite ist unser Elberadweg, von dem Riesengebirge durch unsere Stadt, bis zum Meer, nach Hamburg."
Wir laufen durch die Unterführung zurück und dann halblinks in die Altstadt. Von der blieb nach Bombardements kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges wenig übrig.
Der schiefe Turm von Ústí
Wo einst die Stadtmauer und ein großer Parkplatz waren, schlängelt sich heute das Einkaufscenter, auch um die Kirche Mariä Himmelfahrt herum.
Sie hat ihren Ursprung im 14. Jahrhundert und seit den Luftangriffen 1945 einen schiefen Turm. Um fast zwei Meter weicht er von der Achse ab. Auf dem einstigen Marktplatz, bleiben wir kurz stehen. Er dient noch heute als Bauernmarkt. Die Pestsäule trägt den Heiligen Anton von Padua. Vieles sei verschwunden, sagt Alena Chrustová, während sie zurück blickt auf die Zeit vor 1945:
"Hier wohnten immer die Deutschen und Tschechen auch, wir waren verbunden wie in österreichischen Monarchie, in unserem tschechischen Kessel, das ist zwischen den Gebirgen." Nun zum Wein! Eine knappe Bahnstunde stromaufwärts die Elbe entlang. An beiden Ufern: Bahnlinien und Landstraßen. Manchmal sehe ich die Berge des Böhmischen Mittelgebirges. Melnik! Vom Bahnhof laufe ich zwei Kilometer bergauf, bis zum historischen Stadtplatz. Dahinter stehen das Schloss Lobkowitz und die gotische Peter und Paul-Kirche. Mittendurch komme ich zur Anhöhe mit weiter Sicht auf’s Land. Der Zusammenfluss von Moldau und Elbe liegt scharf links. Er wurde so oft mit dem gegenüber einmündenden Kanal verwechselt, dass eine schlichte Bronzetafel nötig wurde. Elbe, Moldau, Kanal - steht darauf.
Wieso heißt der Fluss ab hier nicht Moldau, sondern Elbe? Sárka Kalfarová, die das oft von Reisegruppen gefragt wird, lacht:
"Das weiß ja niemand! Also, die Moldau ist sowohl der längere Fluss als auch der Breitere, ja, und trotzdem fließt nicht die Moldau, sondern die Elbe weiter bis nach Hamburg."
Dann erklärt sie mir:
"Dieser Weinberg unter uns, das ist der älteste Weinberg und Name ist gerade Heilige-Ludmilla-Weinberg. Das ist 'Burgunder' und das ist aus der Zeit des Kaisers Karls des Vierten. Er brachte nach Mělník gerade die Burgunder-Rebensorte." Der Legende nach stammt die Heilige Ludmilla aus Melnik.
Auch Goethe war in Melnik
Im Schloss mit Museum und Weinkeller bewohnt die Familie Lobkowicz Räume in der ersten Etage. Der in der Schweiz geborene Jiří Jan Lobkowicz erhielt die von den Kommunisten beschlagnahmten Schlösser und Ländereien zurück.
Seine Familie gehört zu den ältesten hochadeligen böhmischen Adelsgeschlechtern. Ein Lobkowitz sei mit Goethe befreundet gewesen: "Goethe besuchte ihn hier mehrmals im Melniker Schloss und zusammen haben sie auch Melniker Wein hier getrunken."
Die Besichtigung der Möbel- und Gemäldesammlung ist möglich, interessanter ist der alte Weinkeller: "Geh'n wir runter in den Weinkeller. Hier ist es ganz alt, aus dem 11. Jahrhundert!"
Lobkowitz verkauft seine Weine nur in Melnik. Wegen der Nachtfröste Anfang Mai rechnet Kellermeister Zdenék Krisiak mit 40 Prozent Verlust. Der junge Mann absolvierte die einmalige Melniker Weinschule. Er berichtet Kurioses über die französische Weinbauregion um Bordeaux. Sárka übersetzt:
"Vor drei Jahren hat sich Herr Lobkowicz entschlossen, dort die Weinberge zu kaufen. Im 19. Jahrhundert kam es in Frankreich zu einem Problem auf den Weinbergen und zirka 90 Prozent wurden da beschädigt. Die Franzosen hatten dann keine eigenen Weinstöcke und die ursprünglich von Karl IV. haben wir nach Frankreich geschickt. Er sagt immer: Meine 'Burgunder' dort in Frankreich. Na zdraví!"
Ulrike von Levetzow lebte auf Schloss Trieblitz
Auf dem Gaumen erspüren. Im Abgang genießen. Und dann: Abgang! … Zurück! Den Berg hinunter zum nächsten Wein, nach Třebívlice (Trieblitz), etwas abseits der Elbe. Aus der welligen Ebene erheben sich keglige Krater, wie in einer Mondlandschaft, doch kräftig begrünt. Petr Blaha übernimmt die Führung und die geschichtliche Einführung:
"1057 in Leitmeritzer Region Weinrebe, in unserem Dorf Třebívlice, Trieblitz, leider dann, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, waren hier alle Weinreben zerstört durch das kleine Insekt Reblaus aus Amerika und ohne Weinberge für 99 Jahre und für Publikum sind wir seit 2015 geöffnet."
Das Weingut "Johann W." wird an Wochenenden gern auch von deutschen Reisegruppen besucht. Der wohl bedeutendste deutsche Dichter, Johann Wolfgang von Goethe, sei nicht direkt gemeint, sondern Ulrike von Levetzow, erklärt mir augenzwinkernd Petr Blaha:
"Das ist unsere Patronin Ulrike von Levetzow – war die letzte Liebe von Johann Wolfgang von Goethe, darum heißen wir 'Johann W.' Ulrike war 17 Jahre alt und Goethe war 72 Jahre alt. Wir wissen nicht, ob es wahr ist, aber Goethe war zuerst in Liebe mit Großmutti von Ulrike, dann mit Mutti, dann mit Ulrike."
Ulrike von Levetzow verbrachte fast ihr ganzes Leben auf Schloss Trieblitz. Sie heiratete nie und wurde 95 Jahre alt. "Für Ulrike Goethe war Freund, Vaterfigur, aber nicht große Liebe!"
Klar, vollmundig und stark im Geschmack - der Trieblitzer Wein
Blaha ist einer der Väter guter Weine. Er wohnt rund 300 Meter vom Gut entfernt und hofft, dass die Weinberge in zehn, 15 Jahren zu den besten in Europa gehören.
Auf fünf Weinhängen wachsen die Trauben. Sollte es öfter so heiß wie im Sommer 2018 werden, da begann die Lese schon im August, lohne sich mehr Rotwein, schätzt Blaha. Tanks, Fässer, Anlagen, Teile aus fünf EU-Ländern:
"Vier bis fünf Tonnen von Trauben. Vier bis fünf Tonnen am Tag. Der Zylinder dreht sich um, entfernt die Stängel und die Weißen pumpen wir durch eine Röhre in den Pressraum und die Blauen pumpen wir in Edelstahltanks.
Am Ende korkt die Abfüllmaschine alle drei Sekunden eine Flasche: 'So, bitte schön!'
"Wir haben hier: Goldene Farbe, sehr schöne Viskosität, können Gotikfenster sehen, der Wein ist klar, vollmundig, im Geschmack stark." Blaha kredenzt einen Cuvée aus 50 Prozent Weißburgunder, 25 Prozent Silvaner, Riesling und Gewürztraminer.
Dann legt das Ausflugsschiff zur Fahrt zurück nach Ústí ab. Es schippert durch eine grüne Tallandschaft. Auf dem Berggipfel eine Kirche, am Elbufer Angler, dahinter rollen Autos und Züge. Und in der Nähe: Böhmischer Wein…!