Christine Langer schreibt vor allem Natur- und Liebeslyrik – und steht damit, "naturgemäß" möchte man sagen, in einer jahrhundertealten Tradition. Da ist es nicht leicht, noch einmal etwas neu zu sehen und zu sagen – aber trotzdem möglich. Natur- und Körpererfahrung verschmelzen in ihren besten Texten auf unerhörte Weise.
"Für mich hängen Natur und Erotik sehr oft zusammen. Ein Empfinden in der Natur ist für mich oft auch ein erotisches Empfinden. Ich kann das gar nicht so genau voneinander trennen",
sagt die Autorin im Interview.
"Der Anblick des Ganzen – dazu gehören auch die Spitzen und die Ränder –, der Anblick des ganzen Körpers, der ganzen Figur beeindrucken mich immer wieder. Das Gras, das Barfuß-im-Gras-Gehen, ist ... ja ... Jetzt bin ich sprachlos."
In ihrem Buch freilich hat sie dafür Worte gefunden. "Barfuß im Gras..." heißt das Gedicht. Es besteht fast nur aus Hauptwörtern, aus Pflanzennamen – dennoch bilden Rhythmus und Klangfarbe gekonnt innere und äußere Bewegungen ab:
""Barfuß im Gras
barfuß gehen stehen gehen barfuß Gras-
halme Lamellen Heublumen im Gras Glockenblumen Flocken
Grünfelder Grüngewächs Klee Gras Zittergras Rispen lauter
[kleine
Nesseln und Disteln barfuß gehen im Gras Halme wie Hölzer
Streichhölzer die sich entzünden lichterloh Halme wie Heu
Lichthöfe in grün Sommerwurz Habichtskraut Hahnenfuß
Wie es wuchert stehen und gehen im Gras im zitternden Honig-
[gras
Spitzwegerich Wiesenschaumkraut Bärenklau barfuß
über Weidenröschen Wiesensalbei Nelkenwurz
Und Schafgarbe und Steinklee und blaßrosa und gelb
kleine Lichthöfe Leuchthöfe und eine Spur von blau
eine Spur am Himmel Federwolken Blüten im Gras
im Gras""
Doch es gibt nicht nur dieses Drängen, diese Wortmalerei bei Langer. Es gibt auch zurückhaltende, schlanke Texte. "Im November" heißt ein Gedicht, in dem lakonisch ein paar Natureindrücke aneinandergereiht sind – und das zugleich von einem Menschen spricht. Von "ungelösten Fragen" ist die Rede, von November-Grau über "vorherigen Leben". Am Ende aber steht ein verhalten optimistisches Bild:
"""Im November
Rundumoben die Wolken
verschließen die restlichen
ungelösten Fragen
Grauseen überlappen vorige
Jahre vorherige Leben
Noch immer duften die Wälder
Durch Zweige blickt noch immer
schwaches Licht
Hell hinterbringt der Wind
schon wieder
einen Amselschrei vom kahlen Baum""
Der Titel des Bandes, "Lichtrisse", ist ambivalent – und passt zu Langers Gedichten. Es ist viel Licht in ihnen, Leben und Natur werden bejaht. Aber sie sprechen auch von "Rissen", inneren und äußeren Beschädigungen:
"Zu jedem Ja gehört auch ein Nein, zu jeder Welt gehört eine Gegenwelt, auch eine poetische Gegenwelt. Es ist ja nicht alles so, wie man in einem Blick sieht."
Im Gespräch sagt Christine Langer, sie stelle sich beim Schreiben manchmal einen Klumpen Lehm vor, den sie forme und knete, bis sich daraus eine Figur, ein ästhetisch differenziertes Gebilde ergebe. Genau so sind ihre Gedichte, vor allem jene aus den letzten zwei, drei Jahren. Manche ältere Texte des Bandes sind noch etwas sperrig – und lehnen sich nicht nur mit ihren Schrägstrichen und kursivierten Wörtern an Gedichte von Friederike Mayröcker an.
Dass viel Arbeit in ihnen steckt, merkt man ihnen leider an. Die jüngeren dagegen wirken entspannt, wie aus einem Guss – und sind interessanterweise auch schneller entstanden als die alten, wie die Autorin verrät. Ihre Naturgedichte sind kein abgehobenes Gräser-Bewispern – man spürt den Klumpen Lehm als Substanz deutlich, die Texte haben einen "Körper", stehen mit beiden Beinen fest in der Natur, die sie beschreiben. Und die erotischen Passagen wirken nie verschämt. Trotzdem sind Langers Texte filigran und zart – und manchmal mit kleinen, beiläufigen Ironien versehen:
""Choreographie
Neumond – dies Goldlicht, wir wiegen
unsere Körper in die Chiffren der Schatten
den Abend in die sichelförmige Aussicht
Wir schmiegen die Haut
uns zu
und lassen die Finger unter der Decke
Ich küsse deine Stirn halte mich an einer Strähne
bis du das Fenster öffnest, weit,
damit der Mond herüberblickt, nackt""
Christine Langer: Lichtrisse. Gedichte
Klöpfer & Meyer, 116 Seiten, 16 Euro
"Für mich hängen Natur und Erotik sehr oft zusammen. Ein Empfinden in der Natur ist für mich oft auch ein erotisches Empfinden. Ich kann das gar nicht so genau voneinander trennen",
sagt die Autorin im Interview.
"Der Anblick des Ganzen – dazu gehören auch die Spitzen und die Ränder –, der Anblick des ganzen Körpers, der ganzen Figur beeindrucken mich immer wieder. Das Gras, das Barfuß-im-Gras-Gehen, ist ... ja ... Jetzt bin ich sprachlos."
In ihrem Buch freilich hat sie dafür Worte gefunden. "Barfuß im Gras..." heißt das Gedicht. Es besteht fast nur aus Hauptwörtern, aus Pflanzennamen – dennoch bilden Rhythmus und Klangfarbe gekonnt innere und äußere Bewegungen ab:
""Barfuß im Gras
barfuß gehen stehen gehen barfuß Gras-
halme Lamellen Heublumen im Gras Glockenblumen Flocken
Grünfelder Grüngewächs Klee Gras Zittergras Rispen lauter
[kleine
Nesseln und Disteln barfuß gehen im Gras Halme wie Hölzer
Streichhölzer die sich entzünden lichterloh Halme wie Heu
Lichthöfe in grün Sommerwurz Habichtskraut Hahnenfuß
Wie es wuchert stehen und gehen im Gras im zitternden Honig-
[gras
Spitzwegerich Wiesenschaumkraut Bärenklau barfuß
über Weidenröschen Wiesensalbei Nelkenwurz
Und Schafgarbe und Steinklee und blaßrosa und gelb
kleine Lichthöfe Leuchthöfe und eine Spur von blau
eine Spur am Himmel Federwolken Blüten im Gras
im Gras""
Doch es gibt nicht nur dieses Drängen, diese Wortmalerei bei Langer. Es gibt auch zurückhaltende, schlanke Texte. "Im November" heißt ein Gedicht, in dem lakonisch ein paar Natureindrücke aneinandergereiht sind – und das zugleich von einem Menschen spricht. Von "ungelösten Fragen" ist die Rede, von November-Grau über "vorherigen Leben". Am Ende aber steht ein verhalten optimistisches Bild:
"""Im November
Rundumoben die Wolken
verschließen die restlichen
ungelösten Fragen
Grauseen überlappen vorige
Jahre vorherige Leben
Noch immer duften die Wälder
Durch Zweige blickt noch immer
schwaches Licht
Hell hinterbringt der Wind
schon wieder
einen Amselschrei vom kahlen Baum""
Der Titel des Bandes, "Lichtrisse", ist ambivalent – und passt zu Langers Gedichten. Es ist viel Licht in ihnen, Leben und Natur werden bejaht. Aber sie sprechen auch von "Rissen", inneren und äußeren Beschädigungen:
"Zu jedem Ja gehört auch ein Nein, zu jeder Welt gehört eine Gegenwelt, auch eine poetische Gegenwelt. Es ist ja nicht alles so, wie man in einem Blick sieht."
Im Gespräch sagt Christine Langer, sie stelle sich beim Schreiben manchmal einen Klumpen Lehm vor, den sie forme und knete, bis sich daraus eine Figur, ein ästhetisch differenziertes Gebilde ergebe. Genau so sind ihre Gedichte, vor allem jene aus den letzten zwei, drei Jahren. Manche ältere Texte des Bandes sind noch etwas sperrig – und lehnen sich nicht nur mit ihren Schrägstrichen und kursivierten Wörtern an Gedichte von Friederike Mayröcker an.
Dass viel Arbeit in ihnen steckt, merkt man ihnen leider an. Die jüngeren dagegen wirken entspannt, wie aus einem Guss – und sind interessanterweise auch schneller entstanden als die alten, wie die Autorin verrät. Ihre Naturgedichte sind kein abgehobenes Gräser-Bewispern – man spürt den Klumpen Lehm als Substanz deutlich, die Texte haben einen "Körper", stehen mit beiden Beinen fest in der Natur, die sie beschreiben. Und die erotischen Passagen wirken nie verschämt. Trotzdem sind Langers Texte filigran und zart – und manchmal mit kleinen, beiläufigen Ironien versehen:
""Choreographie
Neumond – dies Goldlicht, wir wiegen
unsere Körper in die Chiffren der Schatten
den Abend in die sichelförmige Aussicht
Wir schmiegen die Haut
uns zu
und lassen die Finger unter der Decke
Ich küsse deine Stirn halte mich an einer Strähne
bis du das Fenster öffnest, weit,
damit der Mond herüberblickt, nackt""
Christine Langer: Lichtrisse. Gedichte
Klöpfer & Meyer, 116 Seiten, 16 Euro