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Am Rand der guten Hoffnung

Zehn Jahre ist es her, das Wunder vom Kap: das Ende des rassistischen Apartheid-Regimes und die Machtübernahme durch den ANC. Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft statt Bürgerkrieg und Chaos. Inzwischen ist in Südafrika der Alltag eingekehrt. Am Mittwoch wählt das Volk ein neues Parlament. Beobachter rechnen damit, das der Urnengang weitgehend unspektakulär ablaufen wird.

Von Corinna Arndt |
    Ganz anders 1994, als ein Mix von Gefühlen das Land in Atem hielt: Während die Einen das neu gewonnene Wahlrecht feierten, fürchteten andere um ihre Zukunft. Hoffnung auf ein besseres Leben mischte sich mit Sorgen um das Über-Leben der Wirtschaft. Angst, Trotz, Schuldgefühle hier - Optimismus und große Pläne dort. Und der ANC mittendrin. Verantwortlich für Wohl und Wehe der Nation stand die neue Regierung unter Nelson Mandela vor einem Balanceakt: Die nicht-weiße Bevölkerungsmehrheit wollte die Früchte der Freiheit sehen: Arbeitsplätze, Strom, Wasser und Häuser für alle; ein funktionierendes Gesundheits- und ein besseres Bildungssystem. Doch die Wirtschaft befand sich nach wie vor fest in weißer Hand. Radikales Umverteilen war eine Option. Doch das Ausland und die Weltbank machten Druck - und es passierte etwas, das wenige für möglich gehalten hatten: Den Zusammenbruch des Ostblocks noch vor Augen, warf der ANC seine Jahrzehnte alten sozialistischen Ideale über Bord. Die Partei entschied sich für eine konservative neo-liberale Wirtschaftspolitik, um das Land zu stabilisieren, sagt Jeremy Seekings, Politikwissenschaftler an der Universität von Kapstadt:

    Afrikanische Sozialisten haben den ANC davor gewarnt, ihre Fehler zu wiederholen. Außerdem sah sich die Partei 1994 einer akuten Finanzkrise gegenüber. In seinen letzten Jahren hat das Apartheidregime sich nur mit Hilfe riesiger Staatsausgaben am Leben erhalten. Der ANC hatte gar keine andere Wahl als konservativ zu sein und das Haushaltsdefizit zu reduzieren.

    Zehn Jahre und endlose Diskussionen später hat sich die strikte Fiskalpolitik ausgezahlt. Südafrikas Wirtschaft wächst langsam, aber stetig – um etwas weniger als drei Prozent jährlich. Inflation und Auslandsschulden sind im Griff, das Handelsvolumen hat sich vervielfacht. Investoren, die das Apartheid-Regime boykottiert hatten, fassten wieder Vertrauen und kehrten zurück. Wirtschaftskrisen wie in Asien sind fast spurlos an Südafrika vorbeigegangen.

    Viele Kritiker bemängeln jedoch, dass der ANC mit seiner konservativen Politik über das Ziel hinausgeschossen sei und ziehen Vergleiche mit der Thatcher-Ära in Großbritannien. Moderates Wachstum und Stabilität seien erreicht worden auf Kosten der Armen - auf dem Rücken derer, die schon die Last der Apartheid getragen haben. Profitiert hätten lediglich jene, die ”Black Economic Empowerment” nutzen konnten - ein Regierungsprogramm, dass Schwarzen helfen soll, das ihnen zustehende Stück vom wirtschaftlichen Kuchen abzubekommen.

    Inzwischen ist der Anteil der schwarzen Manager von einem auf zehn Prozent gestiegen, und die Hälfte der mächtigsten Wirtschaftskapitäne - der so genannten ”fat cats” - hat eine dunkle Hautfarbe. Das Geheimrezept ihres Reichtums: Regierungsaufträge.
    Sipho Mseleko ist Präsident der schwarz-dominierten Handelskammer NAFCOC. Er mahnt all jene zur Geduld, die sich eine schnellere Umverteilung des südafrikanischen Reichtums wünschen:

    Wir haben damit gerechnet, dass die Transformation der Wirtschaft länger dauern wird, einfach, weil wir es mit Geld zu tun haben. Der politische Prozess hat Jahrzehnte gedauert, da haben wir auch durchgehalten. Armut und Arbeitslosigkeit verschwinden nur wenn Wirtschaftswachstum und Transformation Hand in Hand gehen.

    Tatsache ist, dass die wirtschaftliche Kluft innerhalb der schwarzen Bevölkerungsgruppe heute breiter ist als zwischen Schwarzen und Weißen. Gemeinsam mit Brasilien hat Südafrika weltweit die größten Einkommensunterschiede. Was auch immer ”Black Economic Empowerment” gebracht hat - wirtschaftliche Transformation auf breiter Basis hat es nicht erreicht, sagt die Ökonomin Nicoli Nattrass:

    Das ist ein irreführender Begriff, denn in der Realität hat nur eine kleine Gruppe schwarzer Unternehmer von einem höheren Einkommen und Status profitiert. Wenn es tatsächlich darum ginge, Schwarze im allgemeinen zu fördern, dann müsste man die Arbeitslosenrate senken. Black economic empowerment ist sicher nötig, aber die Mehrheit der Südafrikaner hat überhaupt nichts davon. Und das sollte man auch so sagen.

    Armut, Arbeitslosigkeit und AIDS - das sind die Probleme, vor denen Südafrika heute steht. Im vergangenen Jahr wuchs die Bevölkerung mit 2 Prozent schneller als die Wirtschaft mit 1,9 Prozent. Seit 1994 sind viele Menschen im Durchschnitt ärmer geworden: Jeder zweite Schwarze lebt unterhalb der Armutsgrenze. Und ohne beträchtlich höhere Wachstumsraten von mindestens 5-6 Prozent wird sich daran so schnell nichts ändern.

    Der Ökonom James Hodge ist dennoch optimistisch. Die Wirtschaft habe die vergangenen zehn Jahre dazu genutzt, um aus dem Schatten der Apartheid-Jahre zu treten und konkurrenzfähig zu werden.

    Dieser Umstrukturierungsprozess ist im Prinzip beendet, unsere Firmen können international mithalten. Jetzt geht es um Expansion, d.h. weitere Investitionen werden auch endlich Arbeitsplätze schaffen. Ähnlich auf Regierungsseite: Die jahrelange strikte Finanzdisziplin zahlt sich aus: Wir haben einen großen potentiellen Haushaltsüberschuss, den wir jetzt verwenden können, um Arbeitsplätze zu schaffen und die Infrastruktur auszubauen.

    Genau das hat der Finanzminister jetzt versprochen.

    Umgerechnet fast zweieinhalb Milliarden Euro sollen in den kommenden vier Jahren in staatliche Beschäftigungsprogramme fließen, um die exorbitante Arbeitslosenrate zu senken: 40 Prozent der Südafrikaner haben keinen Job. Innerhalb der schwarzen Bevölkerungsgruppe sind es sogar über die Hälfte. Die meisten dieser Menschen sind schlecht ausgebildet - eine direkte Folge perfider Apartheidgesetze, die Schwarzen nur eine rudimentäre ”Bantu”- Ausbildung zugestanden. Dabei behauptet die Regierung, schon bis heute zwei Millionen Jobs geschaffen und die Arbeitslosenrate so auf 30 Prozent gedrückt zu haben.

    Geschönte Statistiken, erwidert darauf Nicoli Nattrass. Unter dem Strich gebe es keine neuen Jobs:

    Sie haben einfach die Definition geändert: Danach ist man nicht mehr arbeitslos, selbst wenn man nur eine Stunde in der Woche arbeitet oder irgendeine Art von Einkommen hat. Viele dieser so genannten Jobs sind absolut keine Jobs, sondern einfach der Versuch zu überleben - zum Beispiel indem man irgendwo einen Sack Apfelsinen ersteht und die Apfelsinen dann einzeln weiterverkauft.

    Arbeitslose erhalten keinerlei Hilfe vom Staat. Und so bietet die Schattenwirtschaft Millionen Südafrikanern die einzige Chance, sich über Wasser zu halten. Gleichzeitig koppelt er sie aber von der Gesamtwirtschaft ab. Am anderen Ende der Skala finden sich millionenschwere Konzerne, die längst weltweit tätig sind. Was in Südafrika fehlt, das sind mittelständische Unternehmen.

    Während diese Firmen anderswo als Zugpferde der Wirtschaft fungieren, tragen sie am Kap lediglich mit 35 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Und der mittelständische Nachwuchs kommt nicht aus den Startlöchern: Lediglich 5 Prozent der Schulabgänger denken darüber nach, sich selbständig zu machen. Und 80 Prozent der südafrikanischen Jungunternehmer gehen innerhalb der ersten fünf Jahre bankrott. Diese ernüchternde Zahl hat Christian Friedrich ermittelt, der als Gastprofessor den Unternehmergeist am Kap erforscht:

    Der Unternehmergeist insgesamt ist sehr gering, insbesondere unter Coloureds und Schwarzen. Zurzeit sieht es so aus, dass das Image eines Unternehmers im Land relativ schlecht ist. Jugendliche entscheiden sich fast ausschließlich nur dafür, wenn sie keine andere Chance haben, d.h. es findet eine negative Selektion statt. Die guten versuchen, irgendwo in großen Firmen unterzukommen,die schlechten machen sich selbständig.

    Vielen dieser Jungunternehmer fehle grundlegendes Wissen, um erfolgreich zu sein, sagt Friedrich. Sie zeigten wenig Eigeninitiative, seien nicht sonderlich innovativ und hätten häufig nicht die Geduld, eine Firma langfristig und solide aufzubauen.

    Doch das ist nur die eine Seite des Problems. Viele Banken scheuen das Risiko, schwarze Mittelständler mit Krediten zu unterstützen, erzählt Sedick Jappie. Jappie führt ein erfolgreiches mittelständisches Unternehmen, das in der Nähe von Kapstadt Türen für Küchenschränke produziert. Mit viel Geduld und Schritt für Schritt hat er sich hochgearbeitet. Doch der Anfang vor zehn Jahren war alles andere als einfach:

    Obwohl wir einiges an Erfahrung vorzuweisen hatten, war es schwierig, Kredite zu bekommen. Wegen der Apartheid hatten wir keine Rücklagen, meine Eltern besaßen keine Immobilien, unser Haus war kaum was wert, weil es im Industriegebiet stand. Wir mussten klein anfangen und konnten immer nur so viel investieren, wie die Firma abwarf. Das war das größte Problem.

    Heute beschäftigt Jappie 60 Mitarbeiter und möchte weiter expandieren. Er wird nicht müde, die Regierung für ihre gute Arbeit zu loben. Die Möglichkeiten für Unternehmer seien schier unbegrenzt, erzählt er. Mit minimalem bürokratischen Aufwand könne man in Südafrika eine Firma gründen. Und es gebe mittlerweile auch genug Regierungsprogramme, die den Mittelstand fördern.

    Mit diesem Optimismus mag Sedick Jappie eine Ausnahme sein. Denn zurzeit dreht sich in Südafrika alles um eine Frage: Wie lassen sich die Wachstumsraten langfristig erhöhen - das einzige Mittel, um das Heer der Arbeitslosen in Lohn und Brot zu bringen? Die Wirtschaftspolitik der Regierung - da stimmen die meisten zu - war ein erster, ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Doch es muss mehr geschehen. Das Klagelied der südafrikanischen Wirtschaft hört sich ähnlich an wie das deutsche:

    ...fehlende Investoren, ein überregulierter Arbeitsmarkt, Strukturprobleme...

    Und drei südafrikanische Besonderheiten kommen hinzu: die hohe Kriminalität, AIDS und Thabo Mbeki's Schmusekurs mit Simbabwes Dikator Robert Mugabe. Kein Wunder, dass die Investoren zurückhaltend sind, sagt der Kapstädter Politikwissenschaftler Jeremy Seekings:

    Das hat alles weniger mit der Wirtschaft als mit Zweifeln an der Politik zu tun. Die Investoren fragen sich, wie sie einer Regierung vertrauen können, die sich so irrational verhält - in Bezug auf die Krise in Simbabwe und das Aids-Problem. Investoren stehen Afrika doch sowieso schon skeptisch gegenüber. Eine afrikanische Regierung muss wahrscheinlich 20 Prozent besser sein als jede andere, um Investoren ins Land zu locken. Sobald sie 10 Prozent schlechter ist, kann sie die Investitionen gleich abschreiben.

    Was südafrikanische Politiker schon lange beklagen, bestätigen viele Wirtschaftsvertreter: Der Standort Südafrika hat ein Imageproblem. Mehr und mehr Unternehmen erkennen jedoch, dass das Land Einiges zu bieten hat, sagt Christoph Köpke, Chef von Daimler-Chrysler in Südafrika:

    Da war ja ne Riesenproblem zwischen 1996 und 2001, wo viele hauptsächlich weiße Unternehmer Südafrika ja schlecht gesprochen haben. Und das hat sich geändert. Der Markt wird noch bedeutend wachsen. Von Makrosicht her ist die Wirtschaft sehr, sehr stark. Was uns natürlich fehlt, ist, dass wir die Arbeitslosigkeit unter Kontrolle bringen, aber das Fundament ist über die letzten zehn Jahre gelegt worden, und ich bin zuversichtlich, dass die Wirtschaft sehr, sehr positiv wachsen wird über die nächsten zehn Jahre.

    Doch dieses gute Fundament könnte ins Wanken geraten. Der Grund: Die Immunschwächekrankheit Aids wütet nirgendwo so stark wie in Südafrika.

    Fast 20 Prozent der sexuell aktiven Bevölkerung sind bereits infiziert. Täglich sterben 600 Menschen. Aus ökonomischer Sicht heißt das: Infizierte Arbeiter sind weniger produktiv und häufiger krank. Unternehmen müssen mehr Leute einstellen und ausbilden. Gleichzeitig sinkt die Kaufkraft der Familien von Aids-Opfern. Der Finanzminister schätzt, dass ohne Gegenmaßnahmen Aids Südafrika bis zu einem halben Prozent Wirtschaftswachstum kostet - und das jedes Jahr. Doch genau weis niemand wie stark die Epidemie das Wachstum bremst.

    Als Reaktion auf das Zögern der Regierung haben große Konzerne wie der Bergbauriese AngloGold oder Daimler-Chrysler eigene Aids-Programme gestartet. Sie klären Angestellte über die Seuche auf, betreuen Infizierte und übernehmen häufig schon seit Jahren die Kosten für Aids-Medikamente. Die Unternehmen tun das aus sozialer Verantwortung, aber auch, weil es häufig billiger ist, sagt Andrea Knigge von Daimler-Chrysler:

    Es lohnt sich in der Hinsicht, dass man kontrolliert weniger Arbeiter einstellen muss, weil durch Gabe von Medikamenten Lebensverlängerung und und höhere Lebensqualität erreicht wird, dadurch weniger Arbeitsausfall. Da hat man schon ganz gezielt Kosten-Nutzen-Abwägungen getroffen.

    Anglogold behauptet, die Kosten-Nutzen-Frage nicht beantworten zu können. Doch der Bergbaukonzern glaubt eher, dass die Auswirkungen der Aids-Epidemie auf den Bergbausektor überschätzt werden. Die Kosten, die Anglogold durch die Seuche entstünden, beliefen sich auf unter zwei Prozent der Lohnkosten - und die Löhne im südafrikanischen Goldbergbau sind nicht üppig...

    Manche Experten halten es sogar für möglich, dass die Aids-Epidemie positive Folgen hat - so zynisch das klingt. Nicoli Nattrass:

    Als Folge der Aids-Epidemie wird die Wirtschaft schrumpfen. Aber Aids bringt auch Menschen um. Wenn nun der gesamte wirtschaftliche Kuchen kleiner wird, aber die Bevölkerungszahl noch schneller zurückgeht, dann heißt das im Endeffekt, dass der Einzelne ein größeres Stück vom Kuchen abbekommt. Und zwei von drei makro-ökonomischen Modellen sagen genau das voraus. Wenn wir überhaupt nichts tun, dann sterben zwar viele Menschen, aber das Pro-Kopf-Einkommen wird steigen.

    Der Grund: Unter den Aids-Infizierten finden sich überproportional viele Arbeitslose - und die fallen wirtschaftlich kaum ins Gewicht - nicht einmal als Konsumenten. Ende 2003 hat sich die Regierung allerdings zu einem neuen Aids-Programm durchgerungen und damit begonnen, kostenlose Medikamente auszugeben. Es bleibt abzuwarten, ob diese längst überfällige Intervention die sich explosionsartig ausbreitende Seuche wieder eindämmen kann.

    Ein anderes Wachstumshemmnis wäre leichter aus dem Weg zu räumen: die ausgefeilten und unflexiblen südafrikanischen Arbeitsgesetze. Nach einer Weltbank-Studie schrecken 40 Prozent der Unternehmer davor zurück, Arbeiter einzustellen - aus Angst, sie in Krisenzeiten nicht wieder loszuwerden. Jeremy Seekings sagt, die Gesetze seien nicht angemessen für ein Schwellenland:

    Die Arbeitsgesetze stammen aus den 20er und 30er Jahren und sollten die privilegierte Minderheit der weißen Arbeiter schützen. Aber anders als in Europa hat das in Südafrika nur funktioniert, weil die Mehrheit der Arbeiter, die Schwarzen, davon ausgeschlossen waren. Heute profitieren alle von diesen Gesetzen, aber es ist nach wie vor ein teures System. Und die Arbeitgeber lösen das Problem, indem sie weniger Leute einstellen und dafür teure Maschinen anschaffen.

    Wer in Südafrika Arbeit hat, gehört zur Elite. Und er ist fast so gut geschützt wie in Deutschland. Das hat einen Grund: COSATU, die südafrikanische Gewerkschaftsbewegung, hat Seite an Seite mit dem ANC gegen das Apartheidregime gekämpft und ist bis heute in Form einer Allianz eng mit der Partei verbunden. Während COSATU zähneknirschend die konservative Wirtschaftspolitik der Regierung akzeptiert hat, machte der ANC Zugeständnisse bei der Privatisierung und den Arbeitsgesetzen. Elroy Paulus von COSATU wehrt sich gegen das Argument, Südafrika müsse ökonomisch nach den Regeln eines Schwellenlandes spielen:

    Auch ein Schwellenland hat das Recht, eigenen Prioritäten zu setzen. Wenn Firmen etwas gegen unsere Arbeitsgesetze haben und deshalb nicht in Südafrika investieren wollen, dann brauchen wir sie vielleicht auch nicht. Es gibt im südlichen Afrika genug Unternehmen mit unethischen Geschäftspraktiken. Und eine davon ist, Entwicklungsländer ständig weiter nach unten drücken zu wollen: Mal sehen, wer die meisten Zugeständnisse bei den Arbeitsbedingungen macht... - natürlich immer auf Kosten der Arbeiter. Warum ist es okay, das in unserem Land zu erwarten, aber nicht in Deutschland? Das ist einfach eine moralische Frage.

    Die Regierung scheint Paulus Recht zu geben. Und niemand anderes als Thabo Mbeki selbst ist mehr darauf erpicht, von den Mächtigen dieser Welt als Afrikaner ernst genommen zu werden. Der Präsident hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, den zersplitterten Kontinent zu vereinigen. Initiativen wie NEPAD und die ”Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft” SADC weisen den Weg zu wirtschaftlicher Zusammenarbeit, die sich irgendwann auch politisch auszahlen soll.

    Momentan hat Südafrika jedoch alle Hände voll zu tun, von seinen Nachbarn nicht als die neue Kolonialmacht Afrikas angesehen zu werden. George Monyemangene vom Ministerium für Handel und Industrie möchte diese Sorgen zerstreuen.

    Als die führende Wirtschaftsmacht spielen wir eine kritische Rolle auf dem Kontinent. Aber wir sind sehr entwicklungsorientiert, handeln im Rahmen von Nepad und versuchen, die regionale Integration voranzutreiben. Sicher profitieren wir im Moment unverhältnismäßig von den unausgeglichenen Handelsbeziehungen in Afrika, aber wir wollen das ändern. Das ist der einzige Weg, den Handel langfristig aufrechtzuerhalten.

    Bis auf weiteres liegen Südafrikas wichtigste Handelspartner aber noch in Europa - und Deutschland mischt ganz vorn mit. Matthias Boddenberg ist Geschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer für das südliche Afrika. Er sagt, dass Südafrika aufgrund seiner geographischen Lage und vergleichsweise geringen Konsumentenzahl noch kein bedeutender Markt für deutsche Unternehmen sei - dafür aber einer mit Zukunft.

    In fünf Jahren sehe ich Südafrika als ein stabiles land, das in der Region die Führerschaft übernimmt. Sie haben drum herum jede Menge Länder, die große Wünsche, aber leere Taschen haben, Ausnahme Botswana. alle diese Länder haben Potenzial, müssen aber vernünftig wirtschaftlich geführt werden, und da kommt Südafrika eine ganz wichtige Rolle zu.

    Firmen aus Deutschland hätten durchaus eine Chance, in der Region Fuß zu fassen, sagt Boddenberg. Der Bedarf sei da - und wenn nicht heute, dann in ein paar Jahren:

    Ich sehe Südafrika als Sprungbrett in das südliche Afrika an. Und ich sehe für deutsche Unternehmen, die in Afrika schon Erfahrung gesammelt haben, gute Aussichten, in Angola und Sambia, zum Teil auch in Mozambique erfolgreich zu sein. Das gilt besonders in Gebieten, wo die deutschen Unternehmer Zulieferer sind. Ich traue der E-Technik eine Menge zu, damit meine ich Telefonsysteme, Stromerzeugung, Stromtransport. All das ist ja in Afrika zumindest unterentwickelt, und wer, wenn nicht Südafrika, soll das entwickeln in diesem Kontinent?

    Zehn Jahre nach dem Ende der Apartheid scheiden sich die Geister an der Frage nach Südafrikas Zukunft: Pessimisten sehen bereits das Feuer einer neuen Revolution am Horizont glühen - getragen von einem Heer von Arbeitslosen, das in seiner Verzweiflung den Befreiungskampf wieder aufleben lässt. Optimisten versprechen blühende Landschaften und verweisen auf das legendäre Durchhaltevermögen der Südafrikaner. Außerdem wachse die Wirtschaft ja, die Grundversorgung mit Wasser, Strom und Häusern verbessere sich Jahr für Jahr, und selbst die Aidspolitik habe sich gewendet. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen, meint der Politikwissenschaftler Jeremy Seekings:

    Die meisten Wähler werden weiterhin den ANC unterstützen. Und solange die Gewerkschaften in ANC-Nähe bleiben sind sie ein wichtiger Garant für Stabilität. Das, was nicht so gut läuft - die Arbeitslosigkeit und die Aidspolitik - lässt sich relativ schwer in politischen Protest ummünzen, da gibt es keinen so offensichtlichen Angriffspunkt. Not und Elend - ja. Aber ich denke nicht, dass wir mittelfristig mit Unruhen im Land rechnen müssen.

    In einem sind sich die Experten einig: Die politische Zukunft der Kaprepublik wird zu einem großen Teil auf ökonomischem Terrain entschieden. Und es wäre nicht das erste Mal, dass Südafrika die Pessimisten überrascht.