Sechs Uhr früh, über Assuan geht die Sonne auf. Kapitän Salamé hisst das Leinensegel. Noch im Schlafsack erblicken wir jenseits des Nils das Panorama der Stadt: sandfarbene Häuser und spitze Minarette. Am Ufer ankern Kreuzfahrtdampfer: vierstöckige Riesen, von denen einige wie schwimmende Mietskasernen aussehen.
Wir hingegen haben die Nacht unter freiem Himmel auf einer Feluke verbracht, dem traditionellen Segelboot der Ägypter. Zu neun Touristen teilen wir uns vier Tage und fünf Nächte lang das Deck. Es ist mit Matratzen gepolstert. Dort schlafen und essen wir. Unser Gepäck verstauen wir im Schiffsbauch.
Misou, zugleich Schiffskoch und Matrose, kocht Kaffee und Tee. Dann zieht er das Schwert ein. Wir legen ab, verlassen die Insel Elephantine, wo seit hundert Jahren deutsche Archäologen nach Tempeln graben.
Erster Halt: das Dorf Gharb Aswan. Hadi, unser ägyptischer Führer, bringt uns zu einem niedrigen Haus aus rotbraunem Backstein. Tor und Türen sind geöffnet. Auf der Terrasse stehen einladend ein paar Holzbänke, und in den zwei Zimmern sind Sofas mit Kissen und Decken.
"Wir sind hier im Gemeinschaftshaus. Jedes Dorf in Ägypten besitzt ein solches Haus, eins für die Männer, und ein zweites, wo sich die Frauen treffen, zum Reden und Feiern."
Im Haus der Männer, sagt Hadi, schlichtet der Bürgermeister Streit und spricht Recht. Wird ein Dieb gesucht, so benutzt er einen offenbar schon lange bewährten Lügendetektor:
"Der Bürgermeister zündet ein Feuer an und erhitzt ein Stück Eisen. Dann lässt er die Verdächtigten kommen und befiehlt ihnen, das glühende Metall mit der Zunge zu berühren. Wer danach noch sprechen kann, ist unschuldig. Weil der Dieb Angst hat, bleibt ihm die Spucke weg, und deshalb verbrennt er sich. Aber ich glaube ja eher, dass der Dieb alles zugibt, damit er das Eisen erst gar nicht berühren muss. Ich war noch nie dabei, aber die Leute erzählen mir immer, dass es auch heute noch funktioniert."
Eine Tradition, die es laut Hadi bis heute auch noch im Sinai gibt und in den Dörfern rund um Kairo. Wir gehen weiter auf sandigen Wegen. Gharb Aswan ist ein noch junges Dorf. Hier leben Nubier. Sie sind klein und dunkel, mit arabischen Gesichtszügen. Sie haben eine uralte Kultur, deren Anfänge in das 6. Jahrtausend vor Christus zurückreichen, und eine eigene Sprache.
Ursprünglich lebten die Nubier weiter südlich, doch sie mussten ihre Dörfer verlassen, weil diese nach dem Bau des Assuan-Staudamms in den Fluten des Nils versanken. Über 100.000 Menschen wurden deshalb in den 60er Jahren umgesiedelt. Die neuen Häuser sind weiß getüncht und mit bunten Mustern verziert, die an die Zeichnungen auf Keramiktellern erinnern. Manche Wände sind zudem mit großflächigen Bildern bemalt.
"Wenn die Leute nach Mekka gepilgert sind, zeichnen sie anschließend gerne die Kaaba auf ihre Hauswand und wie sie gereist sind: mit dem Flugzeug, dem Schiff oder dem Dromedar. Naja, Dromedar, das gab es früher mal. Die Wallfahrt nach Mekka gehört zu den Säulen des Islam. Für Leute, die es sich leisten können, ist sie Pflicht."
Die Häuser spenden Schatten. Sie halten aber auch den Wind ab, der auf dem Nil für Frische sorgt. Es wird immer heißer. An vielen Wegkreuzungen stehen Metallgestelle mit Tonkrügen und einem Trinkbecher. Irgendein guter Geist sorgt dafür, dass die Amphoren immer gefüllt sind. Trotz der Hitze bleibt das Wasser erfrischend kühl. Wir wagen allerdings nicht, davon zu trinken, spritzen uns nur ein bisschen nass.
Wir kommen an einem niedrigen, sandfarbenen Gebäude vorbei, das ist die Grundschule. Das Tor zum Schulhof steht offen, und ein Lehrer winkt uns freundlich hinein.
"Dies ist eine richtig gute Schule, schauen Sie sich mal den Computerraum an! Und das ist unser Direktor."
Der Schuldirektor ist ein bisschen misstrauisch, er lässt weder Fotos noch Tonaufnahmen zu. Aber gucken und mit den Lehrern sprechen, das dürfen wir. Die Schüler sitzen in halbdunklen Klassenräumen. Sie lernen neben lesen, schreiben und rechnen auch Englisch und Biologie. An der Wand hängt das Bild einer Verkehrsampel. Das wirkt exotisch in einem Dorf, in dem es nur ungeteerte Wege und Eselskarren gibt. Tatsächlich ist die Schule mit einem Fernseher und zwei Computern ausgerüstet. An denen surfen allerdings gerade die Lehrer.
Zurück auf der Feluke. Der Wind bläst kräftig in das Segel. Er weht uns entgegen, stromaufwärts. Salamé muss im Zickzack segeln. Dabei weicht er geschickt den Kreuzfahrtdampfern aus, die ab und zu wie im Konvoi an uns vorbeiziehen.
Ein dunkelgrünes Band säumt zu beiden Seiten das Ufer des Nils, die Wipfel der Palmen zeichnen sich zackig gegen den Himmel ab. Wir hören fröhliches Kindergeschrei: Nur Jungen plantschen im Wasser. Manche haben leere Plastikflaschen in große Plastiksäcke gesteckt und paddeln nun auf der selbst gebastelten Luftmatratze. Hinter den Plantagen erheben sich sandige Hügel: Ausläufer der Wüste - da wächst nichts mehr.
Am nächsten Tag ankern wir in Daraw. Wir kommen gerade rechtzeitig zum großen Wochenmarkt, auf dem vor allem Tiere gehandelt werden. Die Fellachen pferchen Schafe, Ziegen, Ochsen und Büffel auf einem großen Platz zusammen. Die Dromedare stammen aus dem Sudan. Beduinen haben sie 40 Tage durch die Wüste getrieben, nun werden sie hier für mehrere hundert Euro gehandelt.
Am Rand des Marktes ist eine Teststrecke für Esel. Ein Käufer probiert mehrere Tiere aus, er reitet ohne Sattel, den Stock hält er in der einen, den Halsstrick des Esels in der anderen Hand. Gleich daneben stehen Männer mit großen, klobigen Scheren. Sie rücken Eseln an den Pelz, schnippeln, bis sie kahl sind. Die Eselscherer haben großen Andrang, denn der Sommer naht, und das bedeutet Temperaturen bis zu 50 Grad, sagt Hadi. Da sei auch das Sommerfell noch zu heiß für die Tiere.
Dann bringt uns die Feluke zu einem alten Steinbruch. Die Wände sind erstaunlich glatt und gerade, so als sei hier mit moderner Technik gearbeitet worden. Dabei stammt der Steinbruch Silsilla schon aus pharaonischer Zeit.
"Hier holten sie Steine für den Bau der Tempel von Kom Ombo, Philae und Edfu. Da vorne können wir noch die Löcher im Felsen sehen, an denen sie ihre Feluken befestigten. Sie hatten damals schon Techniken, um die Steinblöcke ganz exakt aus dem Felsen zu brechen. Offenbar trieben sie Holzkeile in den Stein, befeuchteten sie, und ließen das Holz aufquellen."
Es wird Mittag. Der Muezzin ruft zum Gebet. Wir laufen durch das Dorf Faris. Ein alter Mann lädt uns zum Tee ein. Wir folgen ihm durch enge Gassen. Plötzlich öffnet sich ein Platz mit einem üppigen Zitrusbaum. In dessen Schatten sitzen schon mehrere Männer mit weißen Turbanen und in langen hellen Gewändern, der Galabija. Sie saugen genüsslich an der Wasserpfeife. Eine Frau serviert uns den Karkadé – so heißt ein tiefroter Früchtetee, der aus getrockneten Hibiskusblüten zubereitet wird. Er ist heiß und sehr süß. Wir bedanken uns mit dem, was wir gerade in unseren Taschen finden: Kulis, Feuerzeuge, Kaugummi…
Nach der Tee-Pause wandern wir durch die Plantagen. Palmen und Mangobäume sorgen für Frische. Parallel zum Nil verläuft ein Kanal. Von dort leiten die Bauern Wasser ab, um ihre Felder zu bewässern. Alle paar Meter ragen Schaufelräder aus den Feldern. Sie erinnern an stilisierte Sonnen, die aus dem Boden aufsteigen. Kleine Jungen treiben Ochsen an, die das Wasser mit dem Schaufelrad in die Plantagen pumpen. Zuckerrohr wechselt ab mit blau blühender Luzerne. In den Feldern hocken Männer, die Sichel in der Hand, nur ihre Köpfe ragen zwischen den Pflanzen hervor.
In der Nähe des nächsten Dorfes strömen Kinder herbei, rufen "Hallo" und "pen": Keines fragt nach Bonbons oder Geld – was die Kinder wollen sind Stifte. Frauen mit farbigen Kopftüchern schauen aus den Türen, sie grüßen freundlich. Wir sind hier willkommen.
Wir hingegen haben die Nacht unter freiem Himmel auf einer Feluke verbracht, dem traditionellen Segelboot der Ägypter. Zu neun Touristen teilen wir uns vier Tage und fünf Nächte lang das Deck. Es ist mit Matratzen gepolstert. Dort schlafen und essen wir. Unser Gepäck verstauen wir im Schiffsbauch.
Misou, zugleich Schiffskoch und Matrose, kocht Kaffee und Tee. Dann zieht er das Schwert ein. Wir legen ab, verlassen die Insel Elephantine, wo seit hundert Jahren deutsche Archäologen nach Tempeln graben.
Erster Halt: das Dorf Gharb Aswan. Hadi, unser ägyptischer Führer, bringt uns zu einem niedrigen Haus aus rotbraunem Backstein. Tor und Türen sind geöffnet. Auf der Terrasse stehen einladend ein paar Holzbänke, und in den zwei Zimmern sind Sofas mit Kissen und Decken.
"Wir sind hier im Gemeinschaftshaus. Jedes Dorf in Ägypten besitzt ein solches Haus, eins für die Männer, und ein zweites, wo sich die Frauen treffen, zum Reden und Feiern."
Im Haus der Männer, sagt Hadi, schlichtet der Bürgermeister Streit und spricht Recht. Wird ein Dieb gesucht, so benutzt er einen offenbar schon lange bewährten Lügendetektor:
"Der Bürgermeister zündet ein Feuer an und erhitzt ein Stück Eisen. Dann lässt er die Verdächtigten kommen und befiehlt ihnen, das glühende Metall mit der Zunge zu berühren. Wer danach noch sprechen kann, ist unschuldig. Weil der Dieb Angst hat, bleibt ihm die Spucke weg, und deshalb verbrennt er sich. Aber ich glaube ja eher, dass der Dieb alles zugibt, damit er das Eisen erst gar nicht berühren muss. Ich war noch nie dabei, aber die Leute erzählen mir immer, dass es auch heute noch funktioniert."
Eine Tradition, die es laut Hadi bis heute auch noch im Sinai gibt und in den Dörfern rund um Kairo. Wir gehen weiter auf sandigen Wegen. Gharb Aswan ist ein noch junges Dorf. Hier leben Nubier. Sie sind klein und dunkel, mit arabischen Gesichtszügen. Sie haben eine uralte Kultur, deren Anfänge in das 6. Jahrtausend vor Christus zurückreichen, und eine eigene Sprache.
Ursprünglich lebten die Nubier weiter südlich, doch sie mussten ihre Dörfer verlassen, weil diese nach dem Bau des Assuan-Staudamms in den Fluten des Nils versanken. Über 100.000 Menschen wurden deshalb in den 60er Jahren umgesiedelt. Die neuen Häuser sind weiß getüncht und mit bunten Mustern verziert, die an die Zeichnungen auf Keramiktellern erinnern. Manche Wände sind zudem mit großflächigen Bildern bemalt.
"Wenn die Leute nach Mekka gepilgert sind, zeichnen sie anschließend gerne die Kaaba auf ihre Hauswand und wie sie gereist sind: mit dem Flugzeug, dem Schiff oder dem Dromedar. Naja, Dromedar, das gab es früher mal. Die Wallfahrt nach Mekka gehört zu den Säulen des Islam. Für Leute, die es sich leisten können, ist sie Pflicht."
Die Häuser spenden Schatten. Sie halten aber auch den Wind ab, der auf dem Nil für Frische sorgt. Es wird immer heißer. An vielen Wegkreuzungen stehen Metallgestelle mit Tonkrügen und einem Trinkbecher. Irgendein guter Geist sorgt dafür, dass die Amphoren immer gefüllt sind. Trotz der Hitze bleibt das Wasser erfrischend kühl. Wir wagen allerdings nicht, davon zu trinken, spritzen uns nur ein bisschen nass.
Wir kommen an einem niedrigen, sandfarbenen Gebäude vorbei, das ist die Grundschule. Das Tor zum Schulhof steht offen, und ein Lehrer winkt uns freundlich hinein.
"Dies ist eine richtig gute Schule, schauen Sie sich mal den Computerraum an! Und das ist unser Direktor."
Der Schuldirektor ist ein bisschen misstrauisch, er lässt weder Fotos noch Tonaufnahmen zu. Aber gucken und mit den Lehrern sprechen, das dürfen wir. Die Schüler sitzen in halbdunklen Klassenräumen. Sie lernen neben lesen, schreiben und rechnen auch Englisch und Biologie. An der Wand hängt das Bild einer Verkehrsampel. Das wirkt exotisch in einem Dorf, in dem es nur ungeteerte Wege und Eselskarren gibt. Tatsächlich ist die Schule mit einem Fernseher und zwei Computern ausgerüstet. An denen surfen allerdings gerade die Lehrer.
Zurück auf der Feluke. Der Wind bläst kräftig in das Segel. Er weht uns entgegen, stromaufwärts. Salamé muss im Zickzack segeln. Dabei weicht er geschickt den Kreuzfahrtdampfern aus, die ab und zu wie im Konvoi an uns vorbeiziehen.
Ein dunkelgrünes Band säumt zu beiden Seiten das Ufer des Nils, die Wipfel der Palmen zeichnen sich zackig gegen den Himmel ab. Wir hören fröhliches Kindergeschrei: Nur Jungen plantschen im Wasser. Manche haben leere Plastikflaschen in große Plastiksäcke gesteckt und paddeln nun auf der selbst gebastelten Luftmatratze. Hinter den Plantagen erheben sich sandige Hügel: Ausläufer der Wüste - da wächst nichts mehr.
Am nächsten Tag ankern wir in Daraw. Wir kommen gerade rechtzeitig zum großen Wochenmarkt, auf dem vor allem Tiere gehandelt werden. Die Fellachen pferchen Schafe, Ziegen, Ochsen und Büffel auf einem großen Platz zusammen. Die Dromedare stammen aus dem Sudan. Beduinen haben sie 40 Tage durch die Wüste getrieben, nun werden sie hier für mehrere hundert Euro gehandelt.
Am Rand des Marktes ist eine Teststrecke für Esel. Ein Käufer probiert mehrere Tiere aus, er reitet ohne Sattel, den Stock hält er in der einen, den Halsstrick des Esels in der anderen Hand. Gleich daneben stehen Männer mit großen, klobigen Scheren. Sie rücken Eseln an den Pelz, schnippeln, bis sie kahl sind. Die Eselscherer haben großen Andrang, denn der Sommer naht, und das bedeutet Temperaturen bis zu 50 Grad, sagt Hadi. Da sei auch das Sommerfell noch zu heiß für die Tiere.
Dann bringt uns die Feluke zu einem alten Steinbruch. Die Wände sind erstaunlich glatt und gerade, so als sei hier mit moderner Technik gearbeitet worden. Dabei stammt der Steinbruch Silsilla schon aus pharaonischer Zeit.
"Hier holten sie Steine für den Bau der Tempel von Kom Ombo, Philae und Edfu. Da vorne können wir noch die Löcher im Felsen sehen, an denen sie ihre Feluken befestigten. Sie hatten damals schon Techniken, um die Steinblöcke ganz exakt aus dem Felsen zu brechen. Offenbar trieben sie Holzkeile in den Stein, befeuchteten sie, und ließen das Holz aufquellen."
Es wird Mittag. Der Muezzin ruft zum Gebet. Wir laufen durch das Dorf Faris. Ein alter Mann lädt uns zum Tee ein. Wir folgen ihm durch enge Gassen. Plötzlich öffnet sich ein Platz mit einem üppigen Zitrusbaum. In dessen Schatten sitzen schon mehrere Männer mit weißen Turbanen und in langen hellen Gewändern, der Galabija. Sie saugen genüsslich an der Wasserpfeife. Eine Frau serviert uns den Karkadé – so heißt ein tiefroter Früchtetee, der aus getrockneten Hibiskusblüten zubereitet wird. Er ist heiß und sehr süß. Wir bedanken uns mit dem, was wir gerade in unseren Taschen finden: Kulis, Feuerzeuge, Kaugummi…
Nach der Tee-Pause wandern wir durch die Plantagen. Palmen und Mangobäume sorgen für Frische. Parallel zum Nil verläuft ein Kanal. Von dort leiten die Bauern Wasser ab, um ihre Felder zu bewässern. Alle paar Meter ragen Schaufelräder aus den Feldern. Sie erinnern an stilisierte Sonnen, die aus dem Boden aufsteigen. Kleine Jungen treiben Ochsen an, die das Wasser mit dem Schaufelrad in die Plantagen pumpen. Zuckerrohr wechselt ab mit blau blühender Luzerne. In den Feldern hocken Männer, die Sichel in der Hand, nur ihre Köpfe ragen zwischen den Pflanzen hervor.
In der Nähe des nächsten Dorfes strömen Kinder herbei, rufen "Hallo" und "pen": Keines fragt nach Bonbons oder Geld – was die Kinder wollen sind Stifte. Frauen mit farbigen Kopftüchern schauen aus den Türen, sie grüßen freundlich. Wir sind hier willkommen.