Amal und Odelia. Heute 18 Jahre alt - sie leben in zwei Welten: Amal kommt aus einer traditionellen arabischen Familie und wohnt noch bei ihren Eltern in Ost-Jerusalem. Die Jüdin Odelia lebt in einer Wohngemeinschaft in Tel Aviv. Zwei junge Frauen, zwei Welten - die Autorin und Herausgeberin des Buches, Sylke Tempel, hat die beiden drei Jahre lang begleitet:
Es gibt eine ganze Menge Kommentare zum Nahen Osten, die jeweils davon ausgehen, dass es eine neue Spirale von Gewalt gibt oder eine neue Hoffnung für den Friedensprozess. Aber wie das aussieht für diejenigen, die das täglich bewältigen müssen und vor allem für die Jugendlichen, das hat mich interessiert. Und dann jemanden aus Jerusalem zu nehmen, schien mir einfach sinnvoll, weil man da zeigen konnte, es ist eine Stadt, und in einer Stadt gibt es ja keine sichtbaren Grenzen und keine Checkpoints und keine Armeeposten, und dennoch sind es vollkommen unterschiedliche Welten.
Normalerweise wären Amal und Odelia sich kaum begegnet, denn meistens bleiben Araber und Juden seit Ausbruch der 2. Intifada für sich, in ihrem Teil der Stadt. Kennen gelernt haben sich die beiden als 15-jährige Mädchen bei "Peace Child Israel", einer Organisation, die junge Juden und Araber zusammenbringt, um den Friedensprozess zu fördern. Erfahrungsgemäß sind diese Begegnungen schwierig, denn oft kommen die Jugendlichen über gegenseitige Anschuldigungen und das Beharren auf der eigenen Position nicht hinaus. Amal und Odelia jedoch bleiben im Gespräch. Vielleicht ist es der Mittlerrolle von Sylke Tempel zu verdanken, dass sie ihre Standpunkte genau erklären, der anderen zuhören und sich schließlich einander annähern. Das Buch ist ein Mikrokosmos des Nahostkonflikts, und genau das macht es so lesenswert: Wer Amal und Odelia zuhört, beginnt die Hintergründe des Konflikts auf einer ganz persönlichen Ebene zu verstehen: Auf der einen Seite zeigt sich, wie wenig Israelis häufig über arabische Kultur und Tradition wissen. Auf der anderen Seite schockiert die ignorante Haltung vieler Araber gegenüber der jüdischen Geschichte - oft bis hin zur Leugnung des Holocaust. - Anfangs zeigt Odelia viel mehr Verständnis für Amal als umgekehrt. Amal klagt die Israelis an. Es fällt ihr schwer zu begreifen, dass auch Odelia unter dem Nahostkonflikt leidet. Denn Amal sieht zunächst nur eines: die alltägliche Diskriminierung der Palästinenser:
So wie dieses Mal, als ein israelisches Mädchen in der Warteschlange hinter mir zu mir sagte: "Warum grinst du so dämlich, du blöde Araberin?" Natürlich hätte ich sie am liebsten dafür geschlagen. Aber das wäre in einem Supermarkt im jüdischen Teil Jerusalems inmitten Hunderter von Israelis mit Sicherheit keine gute Idee gewesen. Also lächelte ich einfach weiter.
Odelias Antwort: Sie hasst den Rassismus in Israel. Gleichzeitig gibt sie aber zu, dass auch sie nicht frei ist von Angst und Vorurteilen gegenüber Arabern. Der Grund: Sie könnte jederzeit Opfer eines Attentats werden:
Man hat oft Angst, man schaut sich im Bus um, und mehr als einmal bin ich schon ausgestiegen, weil mir jemand verdächtig vorkam. Ich fühle mich schrecklich dabei. Weil ich Angst habe und weil ich misstrauisch gegenüber jedem sein muss, der arabisch aussieht. Ein Rassist ist das Letzte, was ich sein will.
Der Briefwechsel macht deutlich, wie sehr die alltägliche Situation Hass und Vorurteile auf beiden Seiten schürt, und wie schwer es ist, aufeinander zuzugehen. Während dieses Buch entstand, starben zahlreiche Israelis durch Attentate und viele Palästinenser durch Angriffe der israelischen Armee. Trotzdem kam Amal und Odelia nie der Gedanke, den Kontakt abzubrechen. Der Briefwechsel zeigt, was auch in Verhandlungen auf höchster politischer Ebene eine Rolle spielt, aus einer persönlichen und dadurch nachvollziehbaren Sicht. So fühlen sich beide, Amal und Odelia, tief verwurzelt in Jerusalem. Beide leiten das palästinensische, bzw. israelische Anrecht auf die Stadt aus der Vergangenheit ab: Amal argumentiert, dass ihre Familie über Jahrhunderte dort lebte. Odelia hält dem entgegen, es sei auch ihre Heimat, weil sie dort geboren wurde und Jerusalem für ihre Vorfahren immer von großer religiöser Bedeutung war. Amal kann das so nicht akzeptieren. Sie legt den Widerspruch offen, den es tatsächlich im Gründungsmythos des Staates Israel gibt und über den auch Historiker streiten:
Ich tue mich schwer damit, die religiöse Verbindung der Juden mit unserem Land zu verstehen. In der Schule brachte man uns bei, dass die ersten Zionisten, die hierher kamen, sich überhaupt nicht um ihre Religion scherten, sondern nur an der Errichtung ihres Staates interessiert waren. Da frage ich mich natürlich schon, aus welchem Grund sie dann eigentlich hierher und nicht nach Uganda oder Argentinien gekommen sind.
Nun sagt Amal dann natürlich zurecht, Moment, was gibt euch dann das Recht hier zu sein, das ist sehr trickreich, weil Odelia sagt, das bringt mich in eine komische Situation, denn ich bin ja eigentlich die, die friedenswillig ist und die zum Teilen bereit ist und die eben nicht auf diesen ganzen religiösen Dingen besteht und auf der spirituellen Verbindung, sondern die sagt, wir sind hier, weil wir jetzt hier sind und das muss ausreichen als Bedingung, wir sind hier, weil wir 50 Jahre lang etwas aufgebaut haben, weil wenn man uns jetzt vertreibt, es wiederum Unrecht gibt, und es gibt eine historische Verbindung, die uns vielleicht nicht mehr so bedeutsam ist, aber sie ist da. Das dürfte für Amal schwer zu begreifen sein.
Nach einer langen Zeit des Briefwechsels begegnen sich Amal und Odelia wieder, um miteinander zu reden. Sie treffen sich in einem Café, manchmal in West, manchmal in Ostjerusalem. Sie sind sich nähergekommen in den drei Jahren, und beiden ist klar: Nur wenn sie das Land teilen, haben sie eine Zukunft. Vielleicht ist es Amal, die nach erheblichen Widerständen den größeren Schritt auf die andere zugeht: Zeigte sie anfangs noch Verständnis für die Attentate, räumt sie nun ein, dass die arabischen Schulen sich kaum engagierten, um Jugendlichen eine friedlichen Lösung nahe zu bringen. Und am Ende kann sie sogar akzeptieren, dass Odelia zur israelischen Armee gehen wird - jedoch nur, weil die israelische Freundin ihr versprochen hat: Sie wird keiner Kampfeinheit beitreten und keine Waffe tragen. Beide sind erstaunt, wie intensiv sie in den letzten drei Jahren über Politik nachgedacht haben und wie sehr diese ihr Leben bestimmt.
Für Amal war auch wichtig zu erfahren, was jetzt jeweils in den jungen Leuten auf israelischer Seite vor sich geht, weil es ernsthafte junge Leute gibt, die sagen, wir möchten nicht für etwas kämpfen, wofür wir nicht stehen, nämlich die Besatzung der Westbank. Das sagt Amal ja auch an einer Stelle: "Ich hab ja erst mit dir begriffen, dass nicht alle Israelis da draußen drauf und dran sind uns umzubringen". Für Odelia war es ja ganz wichtig zu sehen, an welcher Stelle die Emotionen der Palästinenser hochgehen, dass es eine Vertriebenengeschichte gibt, die ganz tief in den Knochen der Leute sitzt, selbst, wenn sie nicht vertrieben worden waren. Das wusste sie alles theoretisch, aber das direkt noch mal von den Leuten zu hören, die davon betroffen waren, ist eine andere Geschichte. Ich glaube, das ist schon ein wesentlicher Prozess, dass sie beide inspiriert waren, Dinge, die sie zu wissen glaubten, doch noch mal über Bord zu werfen und sich vielleicht ein paar andere Sachen anzuhören, und dann kann ich nur sagen, ich bin ungemein stolz auf die beiden, denn wer schafft das schon.
Das Buch macht Mut, weil es zeigt, dass intensive und beharrliche Gespräche weiterführen. Und tatsächlich sind ja viele Nahost-Friedensverhandlungen einst aus den Initiativen einzelner entstanden.
Amal Rifai, Odelia Ainbinder mit Sylke Tempel: Wir wollen beide hier leben. Eine schwierige Freundschaft in Jerusalem, erschienen im Rowohlt Verlag, Berlin. 175 Seiten, 14 Euro 90.
Es gibt eine ganze Menge Kommentare zum Nahen Osten, die jeweils davon ausgehen, dass es eine neue Spirale von Gewalt gibt oder eine neue Hoffnung für den Friedensprozess. Aber wie das aussieht für diejenigen, die das täglich bewältigen müssen und vor allem für die Jugendlichen, das hat mich interessiert. Und dann jemanden aus Jerusalem zu nehmen, schien mir einfach sinnvoll, weil man da zeigen konnte, es ist eine Stadt, und in einer Stadt gibt es ja keine sichtbaren Grenzen und keine Checkpoints und keine Armeeposten, und dennoch sind es vollkommen unterschiedliche Welten.
Normalerweise wären Amal und Odelia sich kaum begegnet, denn meistens bleiben Araber und Juden seit Ausbruch der 2. Intifada für sich, in ihrem Teil der Stadt. Kennen gelernt haben sich die beiden als 15-jährige Mädchen bei "Peace Child Israel", einer Organisation, die junge Juden und Araber zusammenbringt, um den Friedensprozess zu fördern. Erfahrungsgemäß sind diese Begegnungen schwierig, denn oft kommen die Jugendlichen über gegenseitige Anschuldigungen und das Beharren auf der eigenen Position nicht hinaus. Amal und Odelia jedoch bleiben im Gespräch. Vielleicht ist es der Mittlerrolle von Sylke Tempel zu verdanken, dass sie ihre Standpunkte genau erklären, der anderen zuhören und sich schließlich einander annähern. Das Buch ist ein Mikrokosmos des Nahostkonflikts, und genau das macht es so lesenswert: Wer Amal und Odelia zuhört, beginnt die Hintergründe des Konflikts auf einer ganz persönlichen Ebene zu verstehen: Auf der einen Seite zeigt sich, wie wenig Israelis häufig über arabische Kultur und Tradition wissen. Auf der anderen Seite schockiert die ignorante Haltung vieler Araber gegenüber der jüdischen Geschichte - oft bis hin zur Leugnung des Holocaust. - Anfangs zeigt Odelia viel mehr Verständnis für Amal als umgekehrt. Amal klagt die Israelis an. Es fällt ihr schwer zu begreifen, dass auch Odelia unter dem Nahostkonflikt leidet. Denn Amal sieht zunächst nur eines: die alltägliche Diskriminierung der Palästinenser:
So wie dieses Mal, als ein israelisches Mädchen in der Warteschlange hinter mir zu mir sagte: "Warum grinst du so dämlich, du blöde Araberin?" Natürlich hätte ich sie am liebsten dafür geschlagen. Aber das wäre in einem Supermarkt im jüdischen Teil Jerusalems inmitten Hunderter von Israelis mit Sicherheit keine gute Idee gewesen. Also lächelte ich einfach weiter.
Odelias Antwort: Sie hasst den Rassismus in Israel. Gleichzeitig gibt sie aber zu, dass auch sie nicht frei ist von Angst und Vorurteilen gegenüber Arabern. Der Grund: Sie könnte jederzeit Opfer eines Attentats werden:
Man hat oft Angst, man schaut sich im Bus um, und mehr als einmal bin ich schon ausgestiegen, weil mir jemand verdächtig vorkam. Ich fühle mich schrecklich dabei. Weil ich Angst habe und weil ich misstrauisch gegenüber jedem sein muss, der arabisch aussieht. Ein Rassist ist das Letzte, was ich sein will.
Der Briefwechsel macht deutlich, wie sehr die alltägliche Situation Hass und Vorurteile auf beiden Seiten schürt, und wie schwer es ist, aufeinander zuzugehen. Während dieses Buch entstand, starben zahlreiche Israelis durch Attentate und viele Palästinenser durch Angriffe der israelischen Armee. Trotzdem kam Amal und Odelia nie der Gedanke, den Kontakt abzubrechen. Der Briefwechsel zeigt, was auch in Verhandlungen auf höchster politischer Ebene eine Rolle spielt, aus einer persönlichen und dadurch nachvollziehbaren Sicht. So fühlen sich beide, Amal und Odelia, tief verwurzelt in Jerusalem. Beide leiten das palästinensische, bzw. israelische Anrecht auf die Stadt aus der Vergangenheit ab: Amal argumentiert, dass ihre Familie über Jahrhunderte dort lebte. Odelia hält dem entgegen, es sei auch ihre Heimat, weil sie dort geboren wurde und Jerusalem für ihre Vorfahren immer von großer religiöser Bedeutung war. Amal kann das so nicht akzeptieren. Sie legt den Widerspruch offen, den es tatsächlich im Gründungsmythos des Staates Israel gibt und über den auch Historiker streiten:
Ich tue mich schwer damit, die religiöse Verbindung der Juden mit unserem Land zu verstehen. In der Schule brachte man uns bei, dass die ersten Zionisten, die hierher kamen, sich überhaupt nicht um ihre Religion scherten, sondern nur an der Errichtung ihres Staates interessiert waren. Da frage ich mich natürlich schon, aus welchem Grund sie dann eigentlich hierher und nicht nach Uganda oder Argentinien gekommen sind.
Nun sagt Amal dann natürlich zurecht, Moment, was gibt euch dann das Recht hier zu sein, das ist sehr trickreich, weil Odelia sagt, das bringt mich in eine komische Situation, denn ich bin ja eigentlich die, die friedenswillig ist und die zum Teilen bereit ist und die eben nicht auf diesen ganzen religiösen Dingen besteht und auf der spirituellen Verbindung, sondern die sagt, wir sind hier, weil wir jetzt hier sind und das muss ausreichen als Bedingung, wir sind hier, weil wir 50 Jahre lang etwas aufgebaut haben, weil wenn man uns jetzt vertreibt, es wiederum Unrecht gibt, und es gibt eine historische Verbindung, die uns vielleicht nicht mehr so bedeutsam ist, aber sie ist da. Das dürfte für Amal schwer zu begreifen sein.
Nach einer langen Zeit des Briefwechsels begegnen sich Amal und Odelia wieder, um miteinander zu reden. Sie treffen sich in einem Café, manchmal in West, manchmal in Ostjerusalem. Sie sind sich nähergekommen in den drei Jahren, und beiden ist klar: Nur wenn sie das Land teilen, haben sie eine Zukunft. Vielleicht ist es Amal, die nach erheblichen Widerständen den größeren Schritt auf die andere zugeht: Zeigte sie anfangs noch Verständnis für die Attentate, räumt sie nun ein, dass die arabischen Schulen sich kaum engagierten, um Jugendlichen eine friedlichen Lösung nahe zu bringen. Und am Ende kann sie sogar akzeptieren, dass Odelia zur israelischen Armee gehen wird - jedoch nur, weil die israelische Freundin ihr versprochen hat: Sie wird keiner Kampfeinheit beitreten und keine Waffe tragen. Beide sind erstaunt, wie intensiv sie in den letzten drei Jahren über Politik nachgedacht haben und wie sehr diese ihr Leben bestimmt.
Für Amal war auch wichtig zu erfahren, was jetzt jeweils in den jungen Leuten auf israelischer Seite vor sich geht, weil es ernsthafte junge Leute gibt, die sagen, wir möchten nicht für etwas kämpfen, wofür wir nicht stehen, nämlich die Besatzung der Westbank. Das sagt Amal ja auch an einer Stelle: "Ich hab ja erst mit dir begriffen, dass nicht alle Israelis da draußen drauf und dran sind uns umzubringen". Für Odelia war es ja ganz wichtig zu sehen, an welcher Stelle die Emotionen der Palästinenser hochgehen, dass es eine Vertriebenengeschichte gibt, die ganz tief in den Knochen der Leute sitzt, selbst, wenn sie nicht vertrieben worden waren. Das wusste sie alles theoretisch, aber das direkt noch mal von den Leuten zu hören, die davon betroffen waren, ist eine andere Geschichte. Ich glaube, das ist schon ein wesentlicher Prozess, dass sie beide inspiriert waren, Dinge, die sie zu wissen glaubten, doch noch mal über Bord zu werfen und sich vielleicht ein paar andere Sachen anzuhören, und dann kann ich nur sagen, ich bin ungemein stolz auf die beiden, denn wer schafft das schon.
Das Buch macht Mut, weil es zeigt, dass intensive und beharrliche Gespräche weiterführen. Und tatsächlich sind ja viele Nahost-Friedensverhandlungen einst aus den Initiativen einzelner entstanden.
Amal Rifai, Odelia Ainbinder mit Sylke Tempel: Wir wollen beide hier leben. Eine schwierige Freundschaft in Jerusalem, erschienen im Rowohlt Verlag, Berlin. 175 Seiten, 14 Euro 90.