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Amalric-Film "Das blaue Zimmer"
Macht, Schmerz und Leidenschaft

Ein leidenschaftlicher Seitensprung, eine Blutstat, ein irgendwie irreales Verhör - das ist die Rezeptur des Films "Das blaue Zimmer" nach der Romanvorlage von Georges Simenon. Regisseur Mattieu Amalric, als Schauspieler Frankreichs Superstar, hat in seine Story viele kleine Widerhaken eingebaut, die eigentlich ihren ganzen Reiz ausmachen.

Von Josef Schnelle | 03.04.2015
    "Ich hab die allerbeste Frau. Eine Tochter, die ihr ähnlich sieht und die ich liebe. Ein hübsches Haus. Eine Firma, die bestens läuft. Ich bin der glücklichste Mann Delphine und wer das Gegenteil sagt, ist ein Lügner."
    Zu gut um wahr zu sein geht's dem Vertreter für Traktoren Julien. Doch seine heile Welt wird bald Risse bekommen, wie immer bei Georges Simenon, auf dessen Roman "Das blaue Zimmer" dieser Film beruht. Ihm begegnet eine andere Frau, die er für sein Glück hält, die aber tatsächlich sein Unglück sein wird. Die Apothekerin Esther von nebenan verführt ihn zu einer leidenschaftlichen Affäre. Sie ist eine alte Schulfreundin und fordert ein niemals eingelöstes Liebesversprechen ein.
    "Vielleicht willst Du einmal versuchen, mich zu küssen."
    Längst geht das, was die beiden in einem Hotelzimmer mit blauen Tapeten erleben, über alles hinaus. Die Nähe zu Esther ist gefährlich wie die Liebesunfälle in einem Filme von Claude Chabrol. Für ein paar Stunden existiert für die beiden Liebenden keine Außenwelt mehr. Doch bald tropft der erste Tropfen Blut aufs schneeweiße Bettlaken. Was wie eine gewöhnliche Allerweltsaffäre beginnt, wird bald weite Kreise ziehen.
    "Hab ich Dir wehgetan?" – "Nein." – "Du bist mir böse. Ob Deine Frau Dir Fragen stellt?" – "Glaub ich nicht." – "Könntest Du Dein ganzes Leben mit mir verbringen?"
    "Das Leben im Augenblick ist etwas anderes als es später zu zerpflücken." Das sagt Julien wenig später zu den Kriminalbeamten, die ihn zum Verhör abholen. Damit ist auch die Zweiteilung des Filmes beschrieben, aus dem die Leidenschaft bald entweicht und einer peinlichen Befragung durch die Polizei Platz macht. Es sind nämlich Menschen gestorben: Erst der Mann der Apothekerin und dann die blonde Idealfrau des Traktorenvertreters. Freie Bahn für eine neue Beziehung also? So einfach ist das nicht, wie selbst die akribischen Kriminalisten feststellen müssen.
    "Also, als sie ihm geschrieben haben: Nun Du. Da meinten sie.." – "Dass ich auf ihn warte. Dass er jetzt das Nötige unternehmen müsste." – "Die Scheidung einreichen? Und seine Frau?" – "Die hätte nicht lange um ihn geweint." – "Woher wissen Sie das, hat sie ihn nicht geliebt." – " Nicht so wie ich. Solche Frauen sind doch zu wahrer Liebe nicht fähig."
    Eine leicht irreale Stimmung
    Mattieu Amalric, als Schauspieler Frankreichs Superstar, hat in seine Story viele kleine Widerhaken eingebaut, die eigentlich ihren ganzen Reiz ausmachen. Die Motive der Figuren bleiben unklar und auch deren Auflösung ist nicht vollkommen befriedigend. Klar ist immerhin, dass die sexuelle Leidenschaft der beiden Hauptfiguren auch mit Machtspielchen und Schmerz zu tun hat. Im Poker um die Deutungshoheit dieser verhängnisvollen Affäre verstricken sich alle handelnden Personen in ein Geflecht aus Lügen, Halbwahrheiten und Wunschgedanken. Amalric versteht es, dem "blauen Zimmer" eine eigene Dynamik zu geben. Der Traumzeit des unwirklichen "blauen" Hotelzimmers entspricht die surreale Überhöhung des Sujets. Gegen die nüchterne Verhörsituation hat dieses Szenario den Vorteil, Fantasien auszulösen. Häufig finden die Dialoge außerhalb des Bildes statt. Die Kamera von Christophe Beaucarne untermalt diese Szenen mit Stillleben und erzeugt so eine leicht irreale Stimmung.
    Aber was ist wirklich geschehen? Dieser Frage nähert sich der Film so vorsichtig wie ein Film von Alfred Hitchcock. Amalric ist bisher als Bösewicht bei James Bond in "Ein Quantum Trost" und als regungsloser Held in "Schmetterling und Taucherglocke" bekannt geworden. Und in einer ganz ähnlich gelagerten Rolle in Polanskis "Venus im Pelz". Schon mit seiner Schauspielerkomödie "Tournée" erntete Almaric 2010 auf den Filmfestspielen von Cannes auch als Regisseur erste Anerkennung. Für "Das blaue Zimmer" nach einem Roman, der bislang als unverfilmbar galt, zeichnete er als Drehbuchautor, Regisseur und Hauptdarsteller verantwortlich. Mit diesem beachtlichen Film in der Tradition der schwarzen Serie versucht er nun, seine Rolle im französischen Film neu zu definieren.
    "Ich bin auch nicht verrückt." – "Davon war auch nie die Rede." – "Warum befragen Sie mich denn jetzt zum sechsten oder siebten Mal. Weil die Zeitungen schreiben, ich wäre ein Monster."