Die Nepal-Expertin Ingrid Norbu hat lange Zeit im Himalajastaat gelebt. Für die meisten Nepalis, erklärt die Journalistin, hat sich seit der politischen Wende wenig geändert. Wie schon vor den Reformen 1990 bestimmen auch heute noch Abhängigkeitsverhältnisse, Armut und Analphabetismus den Alltag der Bürger.
Ingrid Norbu: Auf dem Land gibt es immer noch bis zu 70 Prozent Analphabeten, also Menschen, die überhaupt nie Lesen und Schreiben gelernt haben. Von daher wird es noch sehr lange dauern, bis die Leute erfahren, welche Rechte sie überhaupt haben.
Die Regierungen in Nepal führen den Kampf gegen Armut, Unwissenheit, und traditionelle Knechtschaftsverhältnisse nicht so engagiert, wie es nötig wäre, um soziale Unzufriedenheit abzuwenden. Zunutze macht sich das eine maoistische Gruppierung, die Jahr für Jahr mehr Zulauf erhält. Mit Hilfe von Terror, Mord und Folter rekrutiert diese Bewegung ihre Anhänger vor allem unter der Bevölkerung der ländlichen Regionen. 1996 rufen die Rebellen den Volkskrieg den "People's War" aus. Über ihre Forderungen (eine krude Mischung aus kommunistischem Fundamentalismus und vernünftigem sozialen Gedankengut) diskutiert Nepals Regierung nicht. Die Maoisten gelten als Staatsfeind Nummer eins und werden mit erbitterter Härte verfolgt. Gewalt und Gegengewalt schaukeln sich hoch, erklärt Annemarie Willjes, Nepal-Sprecherin von Amnesty International.
Annemarie Willjes: Da überfallen Maoisten einen Polizeiposten, und das hat dann eine Gegenreaktion zur Folge. Es kommt auch dazu, daß Maoisten Zivilisten töten, dass sie foltern oder verstümmeln. Und die Regierung setzt da Polizeiaufgebote ein, die Dörfer durchsuchen und jeden, von dm sie annehmen, daß er die Maoisten unterstützen würde, verhaften . Es kommt zu Folter, etralegalen Hinrichtungen und Verschwinden-lassen.
In den Zeitungen des Landes finden sich selten Berichte, die beide Seiten dieser Gewalt beleuchten. Nicht nur weil die Jahre der Zensur und des Gefälligkeits-Journalismus vor der Demokratisierung Nepals eine selbstbewußte Presse verhindert und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Medien zerstört haben. Sondern auch, weil man sich in Nepal trotz gesetzlich garantierter Pressefreiheit als engagierter Journalist ganz rasch die Finger verbrennen kann, weiß Ingrid Norbu.
Ingrid Norbu: Ich habe es auch schon erlebt, das war so zu Beginn der Neunziger Jahre, als man noch dachte, jetzt fängt eine ganz neue Zeit an - die große Wende in Nepal - dass Journalisten forsch geworden sind. Die haben dafür gebüßt! Die kommen heut nirgendwo mehr rein. Die sind entlassen worden und müssen jetzt kucken, wie sie sich durchschlagen. Das ist dann das Ergebnis. Und das entmutigt natürlich andere.
Seitdem die maoistischen Rebellen ihren Volkskrieg ausgerufen haben, ist es noch schwerer geworden, unabhängig über die Terroristen zu berichten. Wer die Aufständischen nicht unmißverständlich verurteilt, oder wer das Vorgehen der Sicherheitskräfte beanstandet, läuft Gefahr, verhaftet zu werden. Und wer von den Maoisten als kritisch eingestuft wird, gerät von dieser Seite her unter Druck.
In einer solchen Zwickmühle könnte sich der nepalesische Journalist Amar Budha befunden haben, als er im April '99 im Distrikt Udayapur unterwegs ist. Zu der Zeit wird Wahlkampf geführt in Nepal, und die Regierung ist nervös. Sicherheitskräfte sind überall auf der Suche nach Rebellen. Amar Budha reist im Auftrag der Wochenzeitschrift Yojona. Yojona ist ein kleines, regionales Blatt, das vom nepalesischen Innenministerium als pro-maoistisch eingestuft wird; Mitarbeiter von Menschenrechtsorganisationen in Kathmandu charakterisieren das Blatt zurückhaltender als links-oppositionell. Unabhängig davon , welche Einschätzung zutrifft, verhaftet die Polizei Amar Budha am 9. April 99 in der westnepalesischen Stadt Gaighat unter dem Vorwurf, die Terroristen zu unterstützen und nimmt ihn in Gewahrsam. Amnesty International liegen Informationen über die Behandlung Gefangener im Polizeigewahrsam vor, die Nepals Sicherheitskräfte in ein düsteres Licht setzen.
Annemarie Willjes: Es wird hart geschlagen mit Bambusstöcken oder PVC-Schläuchen oder -rohren. Dann gibt es auch noch spezielle Foltermethoden, zum Beispiel Falanga, in dem man hart mit Bambusstöcken auf die Fußsohlen schlägt. Oder dass man Bambusstöcke beschwert und mit Druck über die Oberschenkel rollt. Oder das gleichzeitige Boxen auf beide Ohren, das 'Telefono' genannt wird. Das sind nur drei genannte Arten, die immer wieder auftauchen.
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation 'Reporter ohne Grenzen' sitzt Amar Buddha immer noch im Polizeigewahrsam. Bis heute ist offiziell keine Anklage gegen ihn erhoben worden; alles spricht dafür, daß er nicht einmal Kontakt zu einem Anwalt aufnehmen konnte. Unklar ist auch, ob die Verhaftung des Mannes sich auf seine journalistische Arbeit bezieht, und bis heute weiß niemand, wie es Amar Budha an seinem unfreiwilligen Aufenthaltsort geht. Die nepalesische Verfassung garantiert allen Beschuldigten ein faires Verfahren nach denen Gesetzen des Landes. Amar Budha konnte bislang vor keinem unabhängigen Gericht Stellung nehmen. Er hatte noch nicht einmal die Chance, zu hören, wessen er sich konkret schuldig gemacht hat.