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Amazon wirkt "ein bisschen wie eine Blackbox"

Die Enthüllungen über die Behandlung von Leiharbeitern bei Amazon haben eine Woge der Empörung ausgelöst. DuMont-Verleger Jo Lendle sieht das Hauptproblem in der fast monopolartigen Stellung des Unternehmens - mit zum Teil fragwürdigem Geschäftsgebaren.

Jo Lendle im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich: |
    Burkhard Müller-Ullrich: Selten, wirklich selten hat eine Fernsehdoku so viel Furore gemacht wie der 30-Minuten-Film von Diana Löbl und Peter Onneken, der vor genau einer Woche im Ersten ausgestrahlt wurde: "Leiharbeiter bei Amazon"; die Wirkung war größer und prompter als von jedem Wallraff-Buch. Zweieinhalb Millionen Zuschauer und seither fast noch mal so viele im Internet. Politiker drohten mit neuen Gesetzen, die Bundesarbeitsministerin kündigte eine Sonderprüfung des Unternehmens an, Kunden schworen, nicht mehr bei Amazon zu kaufen. Der, behutsam gesagt, internetkritischen "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" reicht das nicht. "Jetzt ziehen auch Verleger und Autoren Konsequenzen", schreibt sie in ihrer heutigen Ausgabe.

    Jo Lendle, Sie sind Verleger, zurzeit bei DuMont, bald bei Hanser, und Sie sind Autor. Wie leicht fällt es Buchmenschen, Amazon den Rücken zu kehren?

    Jo Lendle: Es fällt uns aus verschiedenen Gründen jetzt nicht so leicht, dass wir es mit einer hektisch gewedelten Boykottflagge sofort tun, aber wir prüfen natürlich auf verschiedenen Ebenen die Beziehungen zu Geschäftspartnern: Einerseits einfach auf der Ebene des konkreten Umgangs in Konditionen und so weiter, was ja durchaus bei Amazon auch ein Thema ist, als auch in der Frage, ob man das Geschäftsgebaren des Gegenübers anständig findet.

    Müller-Ullrich: Wenn Sie "wir" sagen, dann meinen Sie natürlich sich als Verlagsleiter. Sind Sie denn ein bisschen schadenfroh, dass Amazon so eins auf den Deckel kriegt, denn mit Selbstverlagsmöglichkeiten, Desktop-Publishing und so weiter ist Ihnen Amazon ja sowieso ein Dorn im Auge?

    Lendle: Sagen wir mal, die Probleme, die Amazon in die Buchwelt hineinträgt, sind vielfältig und die neue Erkenntnis mit dieser Leiharbeiterpraxis ist jetzt vielleicht einfach nur ein besonders augenfälliges und natürlich besonders schlimmes Ereignis, das einem Angst und Bange macht. Ansonsten ist Amazon für uns natürlich ein ganz, ganz wichtiger und großer und stark wachsender Vertriebspartner, der wie alle Vertriebspartner, die so stark wachsen, dann irgendwann eine fast monopolartige Stellung bekommen, wo wir natürlich in Sorge sind – und teilweise wird das ja jetzt von den Verlagen, die aussteigen, auch schon moniert -, dass da zu horrende Forderungen gestellt werden.

    Müller-Ullrich: Wobei die Verlage, die aussteigen, wie Sie sagen, das sind ja doch relativ unbedeutende bis jetzt.

    Lendle: Ja, 2004 hat Diogenes das auch schon mal mit Amazon durchgekämpft und ist ausgelistet worden. Also die Frage prinzipiell stellt sich schon länger.

    Müller-Ullrich: Aber ich meine, Amazon hat doch sehr adäquat reagiert, hat sich von miesen Personalvermittlern getrennt, von einem anrüchigen Überwachungsdienst getrennt, ziemlich schnell, sodass man eigentlich sagen kann, das, was ja heute auch Grundlage von Business ist, nämlich Ethik, funktioniert und vielleicht geht Amazon dadurch gestärkt hervor.

    Lendle: Das mag ja gut sein. Das freute mich auch zu hören. Ich habe prinzipiell überhaupt nichts gegen Amazon und jeder kann einkaufen, wie er will. Amazon legt starken Wert auf erst mal eine Kundenfreundlichkeit. Manchmal wirken sie ein bisschen wie eine Blackbox, wie ein Geldautomat, der nach außen hin gut aussieht, wo man aber nicht genau weiß, was drinsteckt. Jeder der schon mal in Schwierigkeiten mit Amazon war und versucht hat, das was rauszukriegen, stellt eben auch fest: Die sind so stark gewachsen in letzter Zeit, dass der direkte Kontakt alles andere als leicht ist.

    Die Entscheidung, diese Sicherheitsfirma nicht weiter zu beschäftigen, finde ich richtig. Auf anderen Ebenen ist jetzt noch keine riesige Stellungnahme erfolgt zu den anderen Vorwürfen, die im Raum stehen, und das ist natürlich betrüblich und gibt einem ein bisschen das Gefühl, ein anonymes Gegenüber zu haben.

    Müller-Ullrich: Was würden Sie da erwarten? Geht es einfach um%e, um Margen?

    Lendle: Es geht um alles Mögliche. Es geht weiterhin um die Behandlung der Leiharbeiter, es geht um Margen, es geht um die Frage, wie sehr Amazon die Aktivitäten, jetzt selber ins Verlagsgeschäft einzusteigen, möglicherweise nutzt, um Bücher unterschiedlich zu gewichten, da hätten wir natürlich Bauchschmerzen, und es geht im Wesentlichen darum, was macht man mit einem Quasi-Monopol allen anderen Beteiligten gegenüber.

    Müller-Ullrich: Ich merke an Ihrer Vorsicht in den Antworten aber doch, dass man sich vorsichtig auf dem Teppich bewegt und nicht doch gegenüber Amazon einfach auf den Tisch haut, auch nicht in den Medien jetzt.

    Lendle: Ja ich bin ehrlich gesagt auch jetzt kein Freund von riesigen Boykottaufrufen. Ich verstehe jeden, der sagt, das ist schön bequem, da einzukaufen, aber so, wie die Kunden in den letzten Jahren vielleicht durch ihre Abwanderung ins Netz den Buchhändler vor Ort gezwungen haben, sich Gedanken zu machen, was ist eigentlich das Versprechen, was ich geben kann, der Mehrwert, den ich geben kann, so kann jetzt vielleicht Amazon eine kleine Aufregungspause auch mal nutzen, um sich zu fragen, was wollen wir eigentlich außer Wachstum noch.

    Müller-Ullrich: ... , sagt der Verlagsleiter und Autor Jo Lendle. Vielen Dank für die Auskünfte.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.