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Ambitioniert und umstritten

Die Wiener Großbahnhöfe - beides reine Kopfbahnhöfe - werden den Anforderungen des europäischen Zugsverkehr nicht mehr gerecht. Ab 2013 soll der Bau des neuen Wiener Hauptbahnhofs abgeschlossen sein. Doch es gibt noch einige Fallstricke.

Von Günter Kaindlstorfer |
    Es wird bereits heftig geschachtet und gebaggert am Wiedner Gürtel in Wien.
    Wo derzeit noch der Südbahnhof steht – ein versiffter Nachkriegsbau von heruntergekommener Modernität – soll in wenigen Jahren einer der imponierendsten Bahnhöfe Europas stehen: der neue Wiener Hauptbahnhof, ein Milliardenprojekt mit angeschlossener Bahnhofs-City, Shoppingcenter, großem Park und einem weitläufigen Schul-Campus. Der "Südbahnhof", zurzeit noch Kopfbahnhof mit Zugverbindungen nach Belgrad, Warschau oder Rom, wird vollständig abgerissen, der einige Kilometer gürtelaufwärts gelegene "Westbahnhof" in seiner Bedeutung dramatisch zurückgestuft werden.

    Das aktuelle Wiener Bahnhofskonzept stammt noch aus k.-und-k.Zeiten, ist auf Wien als habsburgische Reichs- und Residenzhauptstadt zugeschnitten. Die Wiener Großbahnhöfe – beides reine Kopfbahnhöfe – werden den Anforderungen des europäischen Zugsverkehr heute nicht mehr gerecht, erklärt Eduard Winter, Projektleiter der Stadt Wien für das neue Hauptbahnhofs-Projekt.

    ""Die beiden alten Bahnhöfe sind in die Jahre gekommen. Ihre Konzeption ist 150 Jahre alt, stammt noch aus den Zeiten der Monarchie. Wir leben im 21. Jahrhundert, Wien muss die transeuropäischen Netze bedienen, und Österreich ist da eine wichtige Drehscheibe. Es geht darum, eine durchgehende Verbindung von Paris nach Istanbul zu schaffen, von Danzig bis Athen, und dafür ist ein neuer Hauptbahnhof einfach notwendig."

    Zuletzt hat es einigen Ärger gegeben mit der Ausschreibung des Mammut-Projekts. Erst vor wenigen Tagen sahen sich die Österreichischen Bundesbahnen gezwungen, Teile des Hauptbahnhofs neu auszuschreiben. Man wolle die "Interessen der Fahrgäste stärker berücksichtigen", heißt es. In Wirklichkeit dürften die Kosten des Projekts aus dem Ruder gelaufen sein. Ob man bei den ambitionierten Entwürfen des Wiener Architektur-Ateliers Albert Wimmer Abstriche wird machen müssen, steht derzeit noch nicht fest. Wobei sich der Wiener Architekturkritiker Christian Kühn gar so nicht besonders angetan zeigt von Wimmers Plänen.

    "Bahnhöfe leben heute vom Dach. Es gibt die große Bahnhofshalle, wie man sie von früher her kennt, nicht mehr, also dieses Vorgebäude, sondern eine Inszenierung der Bahnsteigüberdachungen, in diesem Fall eines Durchgangsbahnhofs. Hier ist eine Art von Waschbrettraspeldach vorgesehen, mit gefalteten Elementen, die da über den Bahnsteigen schweben. Was bemerkenswert ist, ist, dass diese Dächer eine ansteigende Bewegung machen, zum Bahnhofsplatz hin. Das ist eine vollkommene Überinszenierung, die weder vom Betrieb, noch vom Stadtbild her gerechtfertigt ist. Es handelt sich um einen Durchgangsbahnhof, der eigentlich sehr gleichmäßig in beide Richtungen sich ausdrücken sollte. Und ich bin auch sehr gespannt, ob jetzt bei der Überarbeitung nicht von dieser Aufblähungsgeste einiges wegfallen wird, um Kosten zu sparen."

    Der neue Wiener Hauptbahnhof wird – genau wie derzeit der Südbahnhof – am "Gürtel" liegen, einer mehrspurigen, übel beleumundeten Hauptverkehrsstraße mit zahlreichen Wettbüros, Sex-Shops und windigen Kreditvermittlungsagenturen, die sich ringförmig um die Wiener Innenstadt schlingt. Keine besonders glamouröse Adresse. Aus diesem Grund übt Christian Kühn auch Kritik an der Inszenierung des Bahnhofsvorplatzes.

    "Im Prinzip ist das ein Bahnhofsvorplatz, der überhaupt nirgendwo hinweist. Der läuft sich tot am Gürtel und im Vierten Bezirk. Er wird auch nur von wenigen Menschen begangen werden, weil es sich um eine Wechselstation handelt: Er wird aber inszeniert, als wäre das ein Bahnhofsvorplatz. Das Projekt ist da sicher nicht ein absolut zukunftsweisendes."

    Dennoch: Ein monumentales Ding wird er auf alle Fälle, der Wiener Hauptbahnhof. Der neue Bahnknotenpunkt entsteht auf einem Baugrund von 110 Hektaren, in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs wird ein eigener Stadtteil entstehen, mit Wohnungen für 13.000 Menschen und Büros für 20.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Bahnhof wie Stadtviertel werden als Immobilienprojekt aufgezogen, das heißt, neben der öffentlichen Hand beteiligen sich auch private Investoren an dem Ganzen. Was zu gewissen Reibeflächen zwischen kommerziellen Investoren und den Bedürfnissen der Öffentlichkeit und vor allem auch der Österreichischen Bundesbahn führen könnte und auch schon geführt hat.

    Gewisse Spannungen sind auch mit der UNESCO nicht ausgeschlossen. Der neue Wiener Hauptbahnhof wird nur wenige Meter neben dem berühmten Barockschloss Belvedere in die Höhe wachsen, und da die Wiener Innenstadt Teil des UNESCO-Weltkulturerbes ist, ruhen die Blicke der UNESCO-Wächter mit besonderem Argwohn auf dem Bahnhofsprojekt. Eduard Winter, Projektleiter der Stadt Wien, bemüht sich um eine deeskalierende Sicht der Dinge.

    "In Sachen Weltkulturerbe schaut's sehr positiv aus. Ursprünglich wollte man einen 100 Meter hohen Büroturm errichten. Nachdem man Visualisierungen angefertigt hat, ist man auf 88 Meter heruntergegangen. Bis Ende des Jahres sollen neue Visualisierungen von verschiedenen Standpunkten aus erstellt werden, von der Uni Aachen, dann wird man mehr wissen. Es wird da sicher noch Gespräche mit der UNESCO geben, aber an und für sich schaut's sehr positiv aus."

    Mit der UNESCO will sich die traditionell konfliktscheue Wiener Stadtplanung keinesfalls anlegen. Konfrontationen zwischen Alt und Neu, zwischen Denkmalschutz und avancierter Moderne gehen in Wien in der Regel zugunsten des Überlieferten aus. Wie's derzeit aussieht, darf der Büroturm am neuen Hauptbahnhof nicht einmal 88 Meter hoch werden, man wird wohl noch einmal ein paar Geschosse nachlassen müssen. UNESCO-Wort ist Gotteswort in der österreichischen Hauptstadt. Wien, so das Kalkül der Stadtgewaltigen, Wien darf schließlich nicht Dresden werden.