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Ameisen mit Charakter

Biologie. - Ameisen sind willige Soldaten, die stoisch jede Aufgabe erledigen, die sich ihnen gerade stellt – auch wenn das bedeutet, dass sie für die Kolonie ihr Leben lassen müssen. Dieses Bild ist nicht ganz richtig, wie Biologen der Universität Mainz jetzt in mehreren Studien nachgewiesen haben. Sie haben herausgefunden: Jede einzelne Ameise hat eine Persönlichkeit und erledigt manche Aufgaben lieber als andere.

Von Joachim Budde | 01.06.2012
    In freier Wildbahn passt eine komplette Kolonie der Ameisenart Temnothorax longispinosus in eine Eichel. Hier im Labor der Evolutionsbiologen an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz nistet eine solche Kolonie in einem drei Millimeter hohen ovalen Hohlraum zwischen zwei Glasplättchen.

    "Wir hätten hier jetzt ein kleineres Nest, wo wir praktisch mehrere Arbeiterinnen haben, eine Königin, noch ein paar Larven, wir haben hier jetzt einige Ameisen, die auf der Brut sitzen, wir haben einige, die im Nest rumrennen, oft hat man auch einige, die im Eingang sitzen, draußen ist jetzt gerade keine, anscheinend haben sie jetzt gerade keinen Hunger, ja, das wäre so ein ganz typisches Bild."

    Andreas Modlmeier nimmt das gläserne Innennest aus einem Plastikkästchen, dessen Grundfläche so groß ist wie eine CD-Hülle. Der Biologe schreibt seine Doktorarbeit über diese Ameisen.

    "Wir haben Drei-Kammer-Nester. Eine Kammer ist da für das Innennest, dann hat man eine mittlere Kammer, wo dann praktisch Nahrung angeboten wird, das ist meist ein halbes Heimchen, also eine halbe Grille und Honig, und eine dritte Kammer, wo wir immer mal Wasser nachgeben. Das ist alles auf einem Gipsboden, das heißt die Luftfeuchte ist immer hoch genug. Und insofern kann man praktisch Hunderte von Kolonien im Labor gleichzeitig auch halten."

    Das ist sehr praktisch, wenn man erforschen will, ob und wie sich die Persönlichkeit von Ameisen unterscheidet. Modlmeier hat einzelne Ameisen auf drei Charakterzüge getestet – jeweils in einer speziellen Arena aus Plexiglas:

    "Ich kann Ihnen die Neugierde-Arena mal zeigen. Also die Neugierde-Arena würde jetzt bestehen aus einer zentralen Kammer, die durch acht Gänge in acht größere Kammern unterteilt wird, in der dann in jeder Kammer ein Objekt war, ein fremdes Objekt war für die, wie zum Beispiel Oregano, Kümmel, eine Tannennadel, also einfach verschiedene Objekte, die auch verschiedene Gerüche haben, was auch wichtig ist. Wir haben nacheinander zehn Ameisen, die wir zufällig gewählt haben, einfach in die Mitte gesetzt und dann für fünf Minuten beobachtet: Wie viele Kammern betreten sie und wie oft antennieren sie mit den Objekten?"

    Ähnliche Versuche hat Modlmeier für Aggressivität und Brutpflegeverhalten gemacht. Er fand heraus, dass die Tiere sich unterschiedlich verhalten. Einige erkundeten besonders intensiv unbekannte Räume und untersuchten neue Gegenstände, andere reagierten ausgesprochen aggressiv auf fremde Ameisen und wieder andere kümmerten sich besonders intensiv um die Brut. Nach einigen Wochen wiederholten die Wissenschaftler den Versuch: Wieder reagierten die Ameisen gleich. Jede einzelne Ameise hat also eine Persönlichkeit, sagen die Forscher. Lange dachte man, dass solche Charakterzüge nicht dauerhaft, sondern zufällig sind, sagt Professorin Susanne Foitzik, die Modlmeiers Doktorarbeit betreut.

    "Nachdem man das in den letzten fünf Jahren jetzt systematisch untersucht, findet man heraus, dass das halt bei Tieren letztendlich ähnliche Persönlichkeiten auftreten wie beim Menschen halt auch."

    Je nach Persönlichkeit übernimmt eine Ameise andere Aufgaben: Eine aggressive wehrt Angreifer ab, eine neugierige erkundet neue Futterquellen. Die Unterschiede in der Persönlichkeit unterstützen die Arbeitsteilung in der Kolonie, die es ohnehin gibt. Die Mainzer Forscher haben zudem herausgefunden, dass Kolonien mit vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten die erfolgreicheren waren.

    "Das heißt, die ziehen pro Arbeiterin mehr Biomasse groß."

    Und Foitzik geht noch weiter, jede Kolonie als ganzes hat eine bestimmte Persönlichkeit: In manchen Kolonien sind alle Ameisen neugieriger als in anderen, andere Kolonien sind insgesamt betrachtet aggressiver. In Feldstudien haben die Mainzer Biologen gezeigt, dass solche Kolonien in Gebieten mit vielen Ameisenvölkern erfolgreicher sind als ihre weniger aggressiven Nachbarn. Foitzik:


    "Jetzt ist natürlich die Frage, warum findet man so eine Verhaltensvarianz? Warum sind nicht alle maximal aggressiv, wenn das so toll ist? Unsere Untersuchungen deuten darauf hin, dass es auf die ökologischen Bedingungen ankommt."

    In Gebieten mit vielen Ameisen, wo also die Konkurrenz groß ist, sind die Kolonien aggressiver, in dünn besiedelten Gebieten überwiegen andere Charaktereigenschaften.

    "Da scheint es eventuell besser zu sein, neugieriger zu sein oder schneller neue Futterquellen eben aufzutun, während Aggression eben da nicht hilft."