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Ameisen
Von Draufgängern und Drückebergern

US-Forscher haben die These aufgestellt, dass komplette Ameisenkolonien eigenständige Persönlichkeitszüge besitzen könnten. Vor allem die Risikobereitschaft in Bezug auf die Futtersuche soll sich in den einzelnen Völkern stark unterscheiden.

Von Volkart Wildermuth | 11.08.2014
    Sarah Bengston wandert gerne - in Gesteinsspalten. Vom Bundesstaat Washington im Norden bis zur mexikanischen Grenze im Süden sucht sie nach der braunen Felsameise. Hat sie ein Nest gefunden, packt sie Leckerbissen aus.
    "Das einfachste für meine Wanderung sind kleine Dosen mit Katzenfutter, dieses feuchte Zeug, das so stark riecht."
    Oder anziehend riecht. Manche Felsameisen finden die nahrhaften Leckerbissen noch in zehn Meter Entfernung vom Nest, andere wagen sich dagegen erst gar nicht so weit ins unsichere Gelände. Sarah Bengston ist aufgefallen, dass sich der Radius der Futtersuche von Kolonie zu Kolonie unterscheidet.
    Um dieses Phänomen genauer zu untersuchen, hat sie über 60 Ameisenvölker in ihr Labor an der University von Arizona in Tuscon gebracht. Dort gab es eine ganze Batterie von standardisierten Tests für die Insekten: Wie aktiv zeigten sich die Tiere rund ums Nest? Wie hoch war ihre Bereitschaft, neue Futtersorten zu erproben oder ihre Aggressivität gegenüber Eindringlingen? Die jeweiligen Messwerte unterschieden sich stark von Kolonie zu Kolonie und waren über Wochen stabil. Gemäß der biologischen Definition handelt es sich also um Persönlichkeitsmerkmale der Kolonien als Gesamtheit. Einige Kolonien handeln sozusagen vorsichtig.
    "Sie bleiben nahe am Nest und wenn sie Nahrung finden, dann kommen sehr viele Arbeiterinnen, um wirklich alles heimzutragen. Wenn das Nest angegriffen wird, reagieren die Einzeltiere wenig aggressiv, aber alle beteiligen sich an der Verteidigung."
    Ganz anders die risikobereiten Kolonien. Ihre Arbeiterinnen gehen weite Wege, um verstreute aber, ergiebige Futterstellen zu finden. Die Einzeltiere sind kampfbereit, allerdings können sie kaum auf Hilfe ihrer Mitbewohner zählen. Interessanter Weise zeigen vor allem Kolonien aus dem Norden der USA mehr Risikobereitschaft.
    "Das ist wohl ihr Weg, in den wenigen warmen Monaten mit hohem Risiko die großen Futterquellen zu finden. So haben sie genug Energie, um neue Königinnen heranzuziehen. Die Kolonien im Süden können es sich wegen des längeren Sommers leisten, kein Risiko einzugehen und mehr Arbeiterinnen auszusenden. Sie haben keine Eile."
    Aber auch im Süden gibt es einzelne risikobereitere Kolonien. Mit ihren Experimenten belegt Sarah Bengston, dass sich das biologische Persönlichkeitskonzept nicht nur auf Individuen anwenden lässt, sondern auch auf ganze Gruppen von Tieren. Und auch beim Menschen gibt es erste Hinweise auf eine eigenständige Gruppenpersönlichkeit.