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American Football
Gehirnerschütterungen bleiben ein Problem

Eine Arbeitsanweisung für Schiedsrichter, Clubs und Teamärzte soll amerikanische Football-Profis vor Langzeitschäden durch Gehirnerschütterungen schützen. Doch das sogenannte "Concussion protocol" fungiert hauptsächlich als Marketing-Werkzeug.

Von Jürgen Kalwa | 31.10.2017
    Luke Kuechly (59) gilt als einer der besten Defensivspieler in der NFL.
    Luke Kuechly (59) gilt als einer der besten Defensivspieler in der NFL. (imago )
    Auf der Suche nach einem neuen Sympathieträger gelang der National Football League im Frühjahr 2012 ein ziemlicher Coup.
    "With the ninth pick of the 2012 NFL Draft the Carolina Panthers select Luke Kuechly."
    An die Aussprache des Namens, der aus dem Alemannischen kommt und dort Küchli geschrieben wird, musste man sich gewöhnen. An seine Auftritte auf dem Spielfeld jedoch nicht. Der 26-jährige Modellathlet ist Inbegriff des aggressiven, zupackenden Linebackers, der mit Wucht die heranrollenden, gegnerischen Angreifer attackiert. Er gilt als einer der besten Defensivspieler in der NFL.
    "Wilson. Just got it away. There is Kuechly. Touchdown Carolina."
    Donald Trump: "Die Schiedsrichter ruinieren das Spiel"
    Was jemand wie er im Kampf ums Ei jede Woche aufs Spiel setzt, wusste er von Anfang an. Er klagt nicht über Verletzungen.
    "Das geschieht alles sehr schnell. Du rechnest zwar nicht damit", sagte er nach einer seiner vielen Gehirnerschütterungen. Aber wenn etwas passiert, vertraust du den Ärzten.
    Also hält Kuechly seinen Kopf immer wieder hin. So wie Mitte des Monats gegen die Philadelphia Eagles, als er nach einem Zusammenprall benommen vom Platz musste. Letzten Sonntag gegen Tampa Bay durfte er schon wieder ins Getümmel. Denn: Ärzte hatten Kuechly im Rahmen eines ligaweiten Programms, namens "concussion protocol", das seit 2009 existiert und immer wieder verfeinert wird, für spieltauglich erklärt.
    Quarterback Joe Flacco von den Baltimore Ravens wird etwas länger aussetzen. Er wurde am Donnerstag bei einer regelwidrigen Attacke eines Gegners mit dem Helm voran schwer verletzt.
    "Flacco rolling, rolling and running, the ball comes out, helmets off, flags are down."
    Flacco erlitt nicht nur eine Gehirnerschütterung, sondern auch einen blutigen Riss am Ohr. Sinnbild für die Brutalität, die das "concussion protocol" nicht eindämmen kann. Und wohl auch nicht soll. Zu viele Anhänger des Spiels ergötzen sich nach wie vor am Spektakel eines Gladiatorenwettkampfs. Der berühmteste Verfechter harter Gangart? Donald Trump, neulich vor seinen Parteigängern in Alabama:
    "Ich habe das letzte Woche gesehen, eine wunderschöne Attacke. Boom. 15 Yards Positionsverlust Strafe. Die Schiedsrichter ruinieren das Spiel. Sie ruinieren das Spiel."
    Zahl der gemeldeten Gehirnerschütterungen ging von 275 auf 244 zurück
    Immerhin: in der vergangenen Saison ging die Zahl der von der NFL gemeldeten Gehirnerschütterungen von 275 auf 244 zurück. Aber diese Zahl ist immer noch höher als die der Vorjahre. Mit anderen Worten, das "concussion protocol" fungiert hauptsächlich als Marketing-Werkzeug. Tatsächlich sieht sich die Liga auf mehreren Ebenen in einem Rückzugsgefecht – vor allem aus Sorge vor juristischen Konsequenzen. Wie beim teuren außergerichtlichen Vergleich mit ehemaligen Profis, für den die NFL-Klubbesitzer eine Milliarde Dollar bereitstellten. Das Geld soll Betroffenen für die Behandlung der Langzeitschäden zugute kommen.
    Das klingt gut, bis man – wie neulich – erfährt, dass davon alleine über 100 Millionen Dollar an die Anwälte gehen. Nicht der Fehler der Liga, aber Teil des Problems. Die jüngste und vermutlich stärkste Bedrohung keimt übrigens zwei Altersklassen tiefer - beim Footballnachwuchs, der in der Freizeit in sogenannten Pop-Warner-Akademien spielt. Die Gesundheitsrisiken junger Spieler, und hier besonders traumatische Gehirnverletzungen, werden demnächst in einem Gericht in Los Angeles verhandelt. Die Geschworenen könnten mit einem Urteil dem Spiel bereits im Nachwuchsbereich seine körperharte Essenz nehmen. Mit weitreichenden Konsequenzen für die Popularität der Sportart und das mentale Rüstzeug der kommenden Generationen.
    "Vielen ist noch nicht klar, wie sehr diese Krise auch Heranwachsende betrifft, sagt Kimberley Archie. "Wir haben 2500 NFL-Profis und 10.000 Collegespieler. Aber über drei Millionen Kinder, die Football spielen. Die Zahlen sind astronomisch."
    Sie ist einer der engagiertesten Aktivistinnen, die bei ihrem Sohn erlebt hat, dass bereits College-Footballspieler die irreparable Gehirnerkrankung Chronische Traumatische Enzephalopathie, kurz CTE, erleiden können.
    Die Pop-Warner-Verantwortlichen tun allerdings vor dem Prozess so, als müssten diese Jugendlichen mit den Gefahren leben. Wer derart harte Sportarten betreibt, akzeptiere einfach, dass es Risiken gibt, lautet der Standpunkt.